Ode an das Licht (Antiphon to Light)
vonThevina Finduilas, übersetzt von Cúthalion

Erleuchtung

„Wer von den Galadhrim, der weise Celeborn selbst nicht ausgenommen, könnte an der alten Heimat vorübergehen, ohne sie sehen zu wollen, und wäre sie auch unterdessen zu einer Drachenhöhle geworden?“

Gimli brauchte kostbare Sekunden, um zu begreifen, um wahrhaftig zu verdauen, was sie gesagt hatte.

Zwerge haben eine sehr rasche Auffassungsgabe, deshalb war das außergewöhnlich. Gimli wusste, dass andere, weniger erleuchtete Rassen – vor allem Elben – glaubten, dass Zwerge, da sie von Gold und Edelsteinen eingenommen waren und nicht bei der geringsten Herausforderung Poesie hervorsprudeln ließen, langsame Denker seien. Dies war natürlich völliger Unsinn. Die Mitglieder ihrer kleinen Gemeinschaft – die Menschen und Hobbits, auch Gandalf, waren weit klarsichtiger gewesen. Nein, Gimlis Geist war nicht etwa benommen; es waren die Worte selbst, ausgesprochen mit ihrer gesenkten, klingenden Stimme. Dieses Geschöpf, dieses strahlende, gebieterische, leuchtende Geschöpf hatte ihn verteidigt. Sie hatte Gimlis Begeisterung verteidigt, das Heim seiner Vorväter zu sehen; indem sie das tat, hatte sie ihren Gemahl zurechtgewiesen.

Gimli war von Ehrfurcht überwältigt. Gebannt. Verzaubert. Das musste es sein. Ohne jeden Zweifel wetteiferte ihre Macht mit der von Gandalf – eigentlich auch mit der von Elrond; dies war elbische Zauberkunst.

Er wurde aus seinen widersprüchlichen Grübeleien gerissen, als sie fortfuhr; sein Geist verfiel in verblüfftes Schweigen, als Galadriel die Namen der Stammesorte aussprach, an denen sie zuletzt vorbei gekommen waren. Das Khuzdul ging ihr sicher und anmutig über die Lippen. Gimli war ausgedörrt, er dürstete nach jedem fallenden Wort, das in seine Ohren tröpfelte. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er die Silben seiner Muttersprache mit solcher Schönheit ausgesprochen gehört. Einfach, indem sie das Wort sagte, traten die unauslotbaren Tiefen von Kheled-zâram vor sein inneres Auge. Die Haare auf seinen Armen und seiner Brust stellten sich auf, als er begriff, dass sie sie auf dieselbe Weise sah. In einer blitzartigen, blendenden Erkenntnis wurde Gimli gestattet zu begreifen, dass sie dort gewesen war, als die Tore geschaffen wurden. Sie kannte seine Rasse, die entschlossenen Naugrim, die die Steine zum Singen gebracht hatten. Sie – er - besaßen ihren Respekt.

Er blickte voller Staunen auf und sah, dass sich in ihrem Gesichtsausdruck eine überwältigende Zärtlichkeit offenbarte. Als er anhob, ihr gebührend zu danken, fühlte sich Gimli zum ersten Mal in seinen 140 Jahren schwach.


Lobpreisung

Rauch kräuselte sich in dünnen Schlangenlinien in die Luft. Gimli war in Erinnerungen gefangen, seine Finger in einem seiner Zöpfe verwoben. Er fühlte sich überraschend friedlich, wenn man die Tatsache bedachte, dass es dieser Gegend an soliden Felsen mangelte. Selbst in Bruchtal hatte es viele Gebäude aus Stein gegeben, von fester Struktur, wenn auch ästhetisch nicht nach seinem Geschmack. Aber Galadriel befand
sich hier, irgendwo in diesem Land von Feldern und von Bäumen, die so fremdartig und gleichzeitig so anziehend waren.

„Darf ich mich zu dir setzen?“ fragte eine muntere Stimme mit gewisser Vorsicht.

Gimli wandte sich zu seinem Besucher, der grüßend die Pfeife hochhob. „Sicher, Peregrin.“

Gimli war mehr denn je davon überzeugt, dass das gesamte Land hier verzaubert war; was ihn verblüffte, war die Tatsache, dass es ihn nicht in mindesten kümmerte. Er nahm an, dass er sich mehr Sorgen über seine eigene Großzügigkeit machen sollte, aber auch das kümmerte ihn nicht sonderlich. Der Hobbit paffte neben ihm in kameradschaftlichem Schweigen; sein Benehmen war gleichermaßen ungewöhnlich. Es hielt nicht lange an.

„Ich nehme an, wir gehen bald fort,“ sagte er gedankenvoll, „Es ist ein Jammer. Ich hab mich hier sicher gefühlt, selbst, wenn alles ein bisschen so war wie im Traum, wenn du weißt, was ich meine.“

Gimli nickte. Es war, als sei die gesamte Luft von Heilung durchtränkt, obwohl er das gewiss nicht so empfunden hatte, als sie zuerst angekommen waren. Er gluckste leise in sich hinein, als er an Legolas rechtschaffene Gekränktheit darüber dachte, dass er eine Augenbinde tragen musste. Die Herrin hatte zugelassen, dass die Tücher abgenommen wurden; Galadriel hatte ihr Vertrauen schon in Gimli gesetzt, noch bevor sie ihn zu Gesicht bekam. Vielleicht hatte sie ihn aus weiter Ferne gespürt, es war ganz und gar möglich. Er fühlte sich gefangen in seiner Sprache, weil sie ihre Weisheit und durchschimmernde Schönheit schlichtweg nicht einfangen konnte.

„Woran denkst du denn?“ fragte Pippin; er drehte sich zu Gimli um und sah ihn an. „Ich wüsste nicht, dass ich dich früher je hätte lachen sehen.“

„Nichts, das für dich von Interesse wäre,“ erwiderte Gimli und milderte die Zurückweisung dadurch ab, dass er Pippins Knie tätschelte. „Es sei denn, du denkst auch über unsere überaus wundersame Gastgeberin nach. Vrâlsfire,“ murmelte er voller Verehrung.

Pippin schaute ihn verwirrt an. „Vrâl – was?“

„Vrâlsfire,“ wiederholte Gimli. „Diamant. Galadriel,“ sagte er und glättete die Silben beim Sprechen, als würde er den wirklichen Edelstein polieren.

Pippins Gesicht behielt seinen verblüfften Ausdruck. Endlich zog er an seiner Pfeife und die Wangen wurden hohl, während er den Kopf schüttelte. „Du bist der einzige Zwerg, den ich je gekannt habe“, sagte er, als er ausatmete und der duftende Tabakrauch vor seinem Gesicht aufstieg. „Und ohne ungezogen sein zu wollen... aber ich muss sagen, dass ich dich manchmal nicht so ganz verstehe.“

Für ein paar Augenblicke dachte Gimli an die Silberschmiede seines Volkes zurück, und an einen ganz bestimmten Edelsteinschneider. Ihre Art und ihre Gewohnheiten waren für ihn absolut sinnvoll, ganz wie es sich gehörte. Er verzehrte sich keineswegs nach dem Berg – oder etwas ähnlich Gefühlvolles und Lächerliches – obwohl seine Hände die Werkzeuge vermissten, die er normalerweise jeden Tag stundenlang gebrauchte. Wie erschien er diesem jungen Hobbit? Es war ihm ganz ehrlich nie in den Sinn gekommen, sich solche Dinge zu fragen, vor allem seit Gandalfs Sturz, dem ihre hastige Reise in dieses Reich so rasch gefolgt war.

„Was meinst du damit?“ fragte er endlich.

Pippin schien erst verblüfft zu sein, dann aber war er entzückt, dass er die Unterhaltung fortsetzen konnte. „Nun, Zwerge mögen keine Elben. Das war ganz offensichtlich. Aber seit du Celeborn und Galadriel getroffen hast, hat sich das geändert. Du läufst sogar mit Legolas in der Gegend herum, bloß ihr zwei. Es überrascht mich nur, das ist alles.“

Gimli kaute auf dem Stiel seiner Pfeife. „Vielleicht sind Zwerge komplizierter, als dir klar war.“ Er beugte sich vor und sprach mit gesenkter Stimme. „Ich bin verändert, weil sie in mich hinein geblickt hat. Sie mag eine Elbenkönigin sein, Peregrin, aber sie sieht mit Zwergenaugen.“

Zufrieden mit der Tiefgründigkeit seines Kompliments, lehnte er sich zurück. Pippin grübelte eine Weile über seinen Kommentar, ehe er leicht die Achseln zuckte.

„Ich bin ziemlich sicher, dass ich dich immer noch nicht verstehe. Hunger?“

Gimli schüttelte den Kopf und winkte ab. Als er wieder allein war, schloss er die Augen; er sah Galadriels ätherisches Gesicht vor sich und lächelte.


Totenklage

Er konnte nicht schlafen. Gimli ärgerte sich zunehmend über sich selbst, weil er seinen Gedanken gestattete, auf Wanderschaft zu gehen. Nach mehreren Tagen Fahrt auf dem Fluss – wobei fast jeder in der Gemeinschaft in Gedanken versunken war – hatte Gimli es nötig zu reden. Dankenswerterweise war es Legolas , der Wache hielt. Wäre es irgendjemand anderes gewesen, er hätte weiter vor sich hin gegrummelt, bis er endlich eingeschlafen wäre. Mit stiller Umsicht schälte er sich aus seiner Schlafrolle und umrundete die kleine Phalanx der Hobbits. Als er weiterging, an den Männern vorbei, sah er, dass sie beide tief und fest schliefen. Aragorns Gesicht kam ihm immer noch weniger sorgenvoll vor – ein Geschenk ihrer Tage in den Wäldern, gar kein Zweifel.

Endlich sah er Legolas, der ein Stück weiter entfernt reglos auf einem Hügel stand. Gimli ging zu ihm hinauf und zog leise eine Spur durch das Unterholz, bis sie Seite an Seite standen. Die Nacht war erstickend finster, das Licht des Mondes in den Wolken verborgen. Dessen ungeachtet bewahrten Legolas’ Augen ihr eigenes Licht, und Gimli sah mit Dankbarkeit, dass sich im Blick des Elben keinerlei Spott fand.

„Du vermisst sie,“ sagte Legolas leise.

Gimli nickte ernsthaft. „Zwerge fürchten den Tod nicht, aber ich möchte diese Welt nicht verlassen, ohne einen Schrein gemacht zu haben, der ihres Geschenkes würdig ist. Das Metall, und wie es gestaltet werden muss – es bleibt mir im Sinn, und es ist ein köstlicher Zeitvertreib, aber ich weiß, dass meine Gedanken zu den Aufgaben zurückkehren müssen, die vor uns liegen.“

Legolas dachte über Gimlis gedämpftes Grummeln nach, bevor er antwortete. „Wo ist dein Geschenk?“

Gimli zog ein Gesicht, aber endlich klopfte er sich auf das Herz. Niemand würde ihm seinen Schatz rauben. Vor allem Legolas würde es nie in Betracht ziehen, die bleichen Finger unter seine Weste zu schieben, um Galadriels goldene Strähnen zu retten, wenn Gimli erschlagen und auf irgend einem Schlachtfeld liegen gelassen würde, um zu verfaulen – jedenfalls nahm Gimli das an.

Oder vielleicht wäre es genau das, was Legolas tun würde.

„Glaubst du, dass wir sie jemals wiedersehen?“ fragte Gimli, überrascht von der Verzweiflung in seiner Stimme. Er begriff, dass in der Frage eine weitere mitschwang, die er stoisch für sich behielt: würden sie jemals wieder nach Hause kommen, und wenn ja, würde es dort einen Platz für ihn geben? Er war jetzt so verändert; selbst seine liebsten Brüder mochte ihn jetzt unzugänglich oder sogar merkwürdig finden. Was für ein Zwerg war er, dass er es passend fand, seine Gefühle mit einem halbwüchsigen Hobbit zu teilen, und dass er besessen war von drei Haaren vom Kopf einer Elbenfrau? Er brauchte seine Axt in der Hand und ein paar Orks zum Umbringen. Das würde helfen, ihm den Kopf zurechtzusetzen.

In der andauernden Stille klangen Galadriels Abschiedsworte in seinem Kopf wider; ihr Wunsch für ihn war durch und durch zwergisch gewesen. Wie am Ende einer langen, befriedigenden Nacht mit Liedern und Bier spürte Gimli, wie das Bedürfnis nach Ruhe ihn überkam. Er wandte sich in Richtung Lager; er nahm an, dass Legolas zu der Angelegenheit nichts zu sagen hatte.

„Die Zukunft ist ein dunkler Nebel der Unwissenheit,“ sagte Legolas. Gimli drehte sich um und sah ihn an, überrascht, dass er sprach.

„Ich möchte wieder in ihrer Gegenwart sein und in ihren schönen Wäldern Lieder der Erneuerung singen.“ Ein schwaches Lächeln spielte um Legolas’ Lippen. „Und ich hoffe, mein Freund, dass du dann an meiner Seite bist.“

Gimli nickte. „Mag es Mahals Wille sein.“

„Gute Nacht, Gimli.“

Einmal zurück unter seiner Decke, legte Gimli die behandschuhte Hand auf die Brust und fiel in tiefen Schlaf.


ENDE

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Notiz der Autorin:

Vrâlsfire ist ein Anagramm. Ich habe es aus dem hoch-isländischen Wort für Diamant gemacht: Alsverfir.


ENDE


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