Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Sieben
Die wilde Reiterin  

Vier weiße Fesseln, dich reitet ein Kind
Drei, und dich reitet eine Jungfer geschwind
Zwei, und du trägst eine Braut in ihr Heim
Eine, und dein Reiter wird die Königin sein

(Kinderreim auf Rohirric)

Prinzessin Lothíriel konzentrierte sich auf ihr Pferd, das sich aus dem Schritt in einen sanften Trab bewegte; sie sprach leise mit der Stute. Éomer verspürte Erleichterung, als er sah, dass sie einen guten Sitz hatte und die Zügel fest, doch mit leichter Hand hielt. Winterhauch lauschte ihrer neuen Reiterin aufmerksam und reagierte willig auf jede Hilfe, die sie ihr gab. Zuerst hatte die Prinzessin es beinahe allzu krampfhaft versucht, doch nach einer Weile hatte sie sich entspannt und die alten Reflexe hatten übernommen.

In einem Rohirric-Gewand sah sie vollkommen anders aus. Éomer fragte sich, wer ihr üblicherweise dabei half, ihre Kleidung auszusuchen, da sie die Farben nicht selbst sehen konnte. Éowyn hatte der Prinzessin eine weiße Bluse geliehen, in einem Stil, den sie selbst am liebsten hatte. Eine ärmellose Tunika, bestickt mit kleinen, weißen Blumen, und ein Paar eng sitzender Wildlederhosen gehörten dazu. In Éomers Augen stand das lebhafte Rot der Tunika Prinzessin Lothíriel weit besser als die mattbraunen Kleider, die sie bisher getragen hatte.

Sie hatten beschlossen, einen Ritt zum nördlichen Tor des Rammas Echor zu machen, der großen Mauer, die den Pelennor umgab, möglicherweise darüber hinaus und ein kleines Stück die Große Weststraße entlang. Nicht zu weit allerdings, weil sie rechtzeitig genug zum Verlobungsessen später an diesem Abend zurück sein mussten. Prinzessin Lothíriels Brüder waren alles andere begeistert, als sie heraus fanden, welches Geschenk ihre Schwester erhalten hatte, aber sie hatten beide entschieden, mitzukommen. Jetzt ritten sie rechts und links von Éowyn und Lothíriel und beäugten ihre Schwester nahezu argwöhnisch. Was die Prinzessin anging, so glaubte Éomer nicht, dass sie mehr um sich herum wahrnahm als ihr Pferd.

Feuerfuß schnaubte ungeduldig und er beugte sich vor, um dem Grauen den Hals zu tätscheln. Der Hengst brannte auf ein raschen Lauf, aber sie waren durch die schiere Größe ihrer Gruppe dazu gezwungen, sich an ein geruhsames Tempo zu halten. Nicht nur hatten die Herrin Annarima und ihre gesamte Familie beschlossen, mitzukommen, sondern auch die beiden jungen gondoreanischen Edelleute, und – ziemlich zu seiner Belustigung – ein großer Trupp seiner eigenen Reiter. Er hatte den Eindruck, dass sie vor allem gekommen waren, um einen Blick auf die Prinzessin von Dol Amroth zu erhaschen. Die Geschichte, wie er am Ende mit einem zusätzlichen Packpferd dagestanden hatte, hatte am letzten Abend im Handumdrehen im Lager die Runde gemacht. Selbst sein Barde hatte sich ihrem Ausflug angeschlossen.

Éomer betrachtete die beiden Frauen, die vor ihm her ritten und sich lebhaft miteinander unterhielten. Sie mochten gleich gekleidet sein, aber da endete die Ähnlichkeit auch schon. Éowyn trug ihr blondes Haar offen; es floss über ihren Rücken hinab, während die Prinzessin ihre dunklen Locken zu einem festen Knoten am Hinterkopf aufgesteckt hatte. Natürlich brachten die Leute hier in Gondor loses Haar mit dem entsprechenden Benehmen in Verbindung, obwohl die wagemutigeren Damen es inzwischen hin und wieder zuließen, dass eine Haarsträhne der Frisur entkam. Zweifellos fühlten sie sich durch das Beispiel ermutigt, das ihnen ihre wunderschöne Elbenkönigin setzte.

Tatsächlich ritt eine dieser wagemutigeren Damen genau in diesem Moment neben ihm. Als würde sie seine Augen auf sich spüren, blickte die Herrin Wilwarin auf und lächelte ihn an.

„Was für ein bezaubernder Einfall dieser Ausritt ist, mein König,“ sagte sie mit leiser Stimme. Der weiße Zelter, auf dem sie saß, war sanft und wohlerzogen und so hübsch wie seine Herrin.

„Es ist nett, ein bisschen draußen zu sein, nicht wahr?“

„Vor allem bei diesem frühlingshaften Wetter,“ nickte die Herrin Wilwarin. Ihr Reitgewand schmiegte sich eng um ihre Rundungen und ließ ihre langen, schlanken Armen entblößt.

„Und so ein wunderschönes Pferd habt Ihr der lieben Prinzessin Lothíriel geschenkt,“ sagte sie mit einer anmutigen Geste ihrer Hand.

„Nun, tatsächlich ist es Éowyns Geschenk,“ musste er in aller Ehrlichkeit zugeben.

„Wie freundlich von ihr. Die arme Prinzessin, sie kommt so selten herum.“ Die Herrin Wilwarin senkte ihre Stimme. „So furchtbar traurig, meint Ihr nicht?“

Éomer hatte schon vor langer Zeit gelernt, nicht mit einer Frau über eine andere zu reden, also nickte er nur kommentarlos.

Vor ihnen lachte Éowyn. „Bist du sicher, dass du dem gewachsen bist?“ fragte sie ihre Begleiterin.

Es gefiel ihm zu sehen, dass seine Schwester in ihrem neuen Heimatland eine erste, tastende Freundschaft geschlossen hatte. Wenn er sie mit den anderen Damen des Hofes zusammen beobachtete, fühlte er sich oft an einen Falken mitten in einem Schwarm von Singvögeln erinnert. Sicher, sie würde wahrscheinlich den Großteil ihrer Zeit in Emyn Arnen verbringen und Faramir dabei helfen, Ithilien wieder aufzubauen, aber selbst so war es gut zu sehen, dass sie neue Freunde fand.

Prinzessin Lothíriel nickte eifrig. „Ich bin sicher, ich komme zurecht.“

Elphir holte scharf Atem. „Lothíriel, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist.“

Éomer entschuldigte sich höflich einen Augenblick bei der Herrin Wilwarin und drängte Feuerfuß voran, um sich der Gruppe anzuschließen. „Welche Idee?“

„Lothíriel würde gern einen kurzen Galopp machen,“ erklärte Éowyn.

Éomer bedachte die Angelegenheit, während die Prinzessin ihm ihr Gesicht entgegenhob, auf dem ein stiller Ausdruck des Flehens lag. Ihre grauen Augen hatten diesen leicht ziellosen Blick, der sie sogar noch größer und schmelzender erscheinen ließ.

Nur wenig befahren, führte ihre Straße vom östlichen Tor nahe Osgiliath zum nördlichen Tor, das auf die Große Weststraße hinaus ging. Von dort, wo sie sich befanden, verlief sie etwa zwei Meilen weit geradeaus, bevor sie nordwärts zum Tor abbog, und er konnte niemanden sonst darauf sehen. Feuerfuß regte sich ungeduldig, als könnte er die Stimmung seines Reiters spüren.

„Nun, warum nicht,“ sagte Éomer langsam, „solange Ihr vorsichtig seid. Schließlich werden wir bei Euch sein.“

Die Herrin Wilwarin war ihm gefolgt und neigte sich jetzt in Richtung Prinzessin. „Ich bin überzeugt, es ist eine reizende Idee, aber seid Ihr sicher, dass Ihr das fertig bringt, meine liebe Lothíriel?“

„Oh, macht Euch keine Sorgen,“ erwiderte die Prinzessin sofort. „Ich verspreche, ich werde achtsam sein.“

Elphir gab einen weiteren Laut des Protestes von sich, während Amrothos zweifelnd drein schaute. „Ich bin nicht sicher, ob du weißt, wie man achtsam ist,“ begann er, nur um sofort von Prinzessin Lothíriel unterbrochen zu werden.

"Unsinn! Du hast ja bloß Angst, dass du auf deinem lahmen Klepper zurückgelassen wirst!“

Mit einem Grinsen trieb sie ihr Pferd zu einer schnelleren Gangart an, und Éowyn schloss zu ihr auf und bewegte Windfola zu einem leichten Galopp. Éomer tat es ihr auf Prinzessin Lothíriels anderer Seite nach und behielt sie genau im Auge. Während Winterhauch für ihr ausgeglichenes Temperament bekannt war, waren Reiterin und Pferd noch immer damit beschäftigt, sich aneinander zu gewöhnen, und er wollte nichts riskieren.

Die Prinzessin lachte in reinem Entzücken. „Oh, können wir noch schneller reiten?“

Éomer warf einen Blick über seine Schulter zurück. Sie waren der restlichen Gruppe ein gutes Stück voraus; nur ihre beiden Brüder hatten beschlossen, ihnen zu folgen.

„Nun, vielleicht...“

Die Prinzessin beugte sich über Winterhauchs Hals hinunter, grub die Fersen in ihre Flanken und schoss davon wie ein Pfeil von der Bogensehne. Feuerfuß wieherte und wäre ihr gefolgt, doch Éomer hatte ihn automatisch gezügelt. Einen gefrorenen Herzschlag lang begegnete er Éowyns aufgeschrecktem Blick, dann trieben beide ihre Pferde hinter der Prinzessin her. Hinter sich konnte er Amrothos wütend fluchen hören. Die Prinzessin ritt, als wären wilde Wölfe aus Mordor hinter ihr her. Als Schlachtross war Feuerfuß in erster Linie seiner Kraft und Ausdauer wegen ausgesucht worden, und obwohl er bemerkenswert schnell war, hatte die Prinzessin einen Vorsprung, und ihr Pferd trug eine viel leichtere Last. Éomer blieb ihr grimmig auf den Fersen und trieb seinen Hengst zu größerer Anstrengung an, aber er wusste, er hatte wenig Hoffnung, sie einzuholen. War das Tier am Ende mit ihr durchgegangen?

Nach mehreren grauenvollen Minuten richtete Prinzessin Lothíriel sich im Sattel auf und verlangsamte ihr Pferd wieder. Als er mit ihr auf einer Höhe war, wandte sie ihm ein Gesicht zu, das vor Freude glühte.

„Oh Éowyn!“ rief sie aus. „Wie absolut wundervoll! Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich einen guten Galopp auf einem Pferd vermisst habe.“

Éomer schluckte die ersten Worte herunter, die ihm auf den Lippen lagen. „Prinzessin Lothíriel,“ sagte er und betonte jedes Wort sehr sorgfältig, “lasst mich Euch gegenüber eines klarstellen...“

Sie schenkte ihm ein freundliches Lächeln. „Oh, Ihr seid es, König Éomer! War das nicht ein Spaß? Wisst Ihr, dass es über acht Jahre her ist seit meinem letzten anständigen Ritt?“

Jetzt hatte Éowyn sie erreicht, die beiden Prinzen noch immer im Kielwasser. Sie warf nur einen einzigen Blick in sein Gesicht, bevor sie sich an die Prinzessin wandte.

„Was hast du dir nur dabei gedacht, Lothíriel? Es sollte ein kontrollierter Galopp sein!"

„Kein Rennen quer über den halben Pelennor!“ warf Amrothos beleidigt ein.

Mit einem Stich sah Éomer, wie die Freude aus dem Gesicht der Prinzessin wich, als ihr endlich aufging, dass ihre Gefährten ungehalten waren. Trotzdem hatte Éowyn damit Recht, sie zu rügen; was sie getan hatte, war gefährlich und närrisch gewesen.

„Aber du sagtest, die Straße wäre gerade und frei!“ protestierte die Prinzessin. „Ich sehe nicht, wo die Schwierigkeit liegen soll!“

Éowyn wechselte einen gequälten Blick mit ihm, offensichtlich nicht bereit, ihrer neuen Freundin zu erklären, dass die Schwierigkeit in ihrer Blindheit bestand. Ihre beiden Brüder wollten ihm ebenfalls nicht recht in die Augen sehen; sie ließen ihre Pferde ein wenig zurückfallen und überließen es ihm, der Prinzessin entgegen zu treten.

Er räusperte sich. „Prinzessin Lothíriel, Ihr hätte leicht stürzen und Euch eine Verletzung zufügen können.“

Sie verdrehte die Zügel in den Händen. „Ich nehme an, ich war ein kleines bisschen waghalsig...“

„Ein bisschen?“

Sie ließ den Kopf hängen. „Ich wollte nicht, dass Ihr Euch Sorgen macht.“ Aber dann straffte sie sich wieder. „Wie auch immer, meine Brüder können bestätigen, dass ich eine gute Reiterin bin.“ Sie drehte sich im Sattel um, als würde sie ihre Brüder suchen. „Nicht wahr?“

„Nun, das ist wahr genug...“ Amrothos geriet zwischen dem vertrauensvollen Lächeln seiner Schwester und dem gekränkten Starren seines Bruders sauber in die Falle.

Die Prinzessin wandte sich an Éomer zurück. „Sehr Ihr?“ sagte sie glücklich. „Aber ich verspreche, ich werde vorsichtig sein mit meinem wundervollen, neuen Pferd.“

Sie beugte sich vor, um der Stute den Hals zu tätscheln, und Éomer gab es auf, der Prinzessin Vorhaltungen zu machen. Er würde einfach dafür sorgen müssen, dass es nicht noch einmal geschah.

Als könnte sie seine Gedanken lesen, blickte sie zu ihm auf. „Ich verspreche, Euch das nächste Mal vorzuwarnen,“ sagte sie mit einem schelmischen Lächeln, „oder noch besser, ich gebe Euch einen Vorsprung.“

Ihr großzügiges Angebot machte Éomer sprachlos.

*****

Sobald sie erst einmal das Tor im Rammas Echor passiert hatten, nahmen sie einen wenig benutzten Seitenpfad, der sie an einem Fluss entlang führte, der von den Weißen Bergen in den Anduin strömte, östlich von ihnen. Die Gegend war dicht bewaldet, und während sie unter den Baumriesen mit ihren niedrig herab hängenden Zweigen hindurch kamen, erinnerte sie die eindeutige Kälte in der Luft daran, dass es immer noch erst Frühling war.

Nach einer Weile erreichten sie eine große Waldlichtung, wo der Strom einen sanften Bogen um einen Kiesstrand machte. Das gegenüber liegende Ufer war steil, und dicht mit Farn und Brombeerbüschen bedeckt, aber auf der näheren Seite lag ein grünes Rasenstück, wie ein riesiger Smaragd in die Schneise zwischen den Bäumen eingesetzt. Bei ihrer Ankunft flogen ein paar Fasane erschreckt davon und suchten eilig die Deckung der Bäume.

In allgemeiner Übereinstimmung hielten alle an, um Rast zu machen und stiegen ab. Anerkennend stellte Éomer fest, dass Éothain keine Zeit verlor, Wachen überall rings um die Lichtung aufzustellen. Selbst in Friedenszeiten konnte man nie vorsichtig genug sein. Es hatte Gerüchte gegeben, dass immer noch gelegentlich Orkbanden durch diese Wälder streiften.

Er streckte zufrieden die Arme aus, genoss die Frühlingsluft und sah zu, wie die Damen eine sonnige Stelle aussuchten und sich auf einer Decke niederließen, die einer der Diener zu ihrem Gebrauch mit gebracht hatte. Die Wiese war mit wilden Blumen gesprenkelt, und in ihren leuchtend roten und blauen Kleidern sahen sie selbst wie exotische Blüten aus. Die beiden jungen Edelleute der Herrin Wilwarin waren im Wald verschwunden; sie hatten erwähnt, dass sie nach Jagdbeute Ausschau halten wollten, aber sie litt keinen Mangel an Bewunderern.

Sie lächelte anmutig über eine Bemerkung, die Elfhelm gerade ihr gegenüber gemacht hatte und wirkte beinahe wie eine Königin, die Hof hielt. Éomer war so mit seinen Gästen beschäftigt gewesen – und vor allem mit der Prinzessin – dass er unglücklicherweise nicht die Möglichkeit gehabt hatte, mehr als ein paar Worte mit ihr zu wechseln.

Sein Knappe kam zu ihm, um die Zügel von Feuerfuß zu nehmen und den Hengst dorthin zu führen, wo seine Reiter ihre Pferde tränkten. Mit einem belustigten Lächeln registrierte Éomer, dass Oswyn zuerst der Prinzessin geholfen hatte, sich um Winterhauch zu kümmern. Anscheinend war seine eigene Bedeutung in den Augen seines Knappen beträchtlich gesunken.

Gerade als er vorhatte, sich den Damen im warmen Frühlingssonnenschein anzuschließen, kam Elphir auf ihn zu. „Darf ich kurz mit Euch sprechen?“

„Ja, natürlich.“ Éomer nickte.

Der Prinz zog ihn ein Stück beiseite. „Es betrifft dieses Pony,“ erklärte Elphir. „Mein Vater würde Euch gern wissen lassen, dass wir durchaus bereit sind, uns selbst darum zu kümmern. Ihr müsst Euch nicht damit belasten.“ Éomer schüttelte den Kopf. Die Wichtigkeit, die die Familie von Dol Amroth der ganzen Angelegenheit beizumessen schien, hörte nicht auf, ihn zu verblüffen - als ob es irgend etwas zu bedeuten hatte, dass er noch ein weiteres Packpferd in seinem Zug besaß.

„Es ist überhaupt keine Last. Wie auch immer, ich habe der Prinzessin versprochen, für Galador zu sorgen.“

Bei dem Namen schauderte Elphir. „Wenn Ihr das sagt. Aber bitte... schafft Euch das Pony nicht vom Hals, wenigstens nicht, solange Ihr in Gondor seid.“ Hatte der Mann denn nicht gehört, dass er sein Wort gegeben hatte? Und mehr noch, er hatte den starken Eindruck, dass die Prinzessin nichts dabei finden würde, ihn den gesamten Weg bis in die Riddermark zu verfolgen, um eine Erklärung von ihm zu verlangen, wenn sie jemals davon hören sollte. Er glaubte nicht, dass die Aussicht, den König der Mark in seiner eigenen Halle entgegen zu treten, sie in irgendeiner Weise abschrecken würde.

„Das werde ich nicht,“ sagte er brüsk.

Amrothos hatte sich ihnen ebenfalls angeschlossen. „Seht Ihr, ein Edelmann aus Dol Amroth adoptierte ein paar von ihren Streunern,“ erklärte er, „und hinterher stellte sich heraus, dass er die Hunde hatte töten lassen, weil sie ihm zu viel Mühe machten.“

Elphir seufzte bei der Erinnerung. „Lothíriel zog Herrn Pelendur vor dem versammelten Hof zur Rechenschaft; sie nannte ihn einen ehrlosen, verachtungswürdigen Lumpen.“

Éomer lachte kurz. „Ich bin nicht überrascht. Wenn er sein Wort gebrochen hat, dann hat er es meiner Meinung nach verdient.“

„Das nehme ich auch an,“ sagte Elphir, „aber lasst mich Euch sagen, es verursachte einen ziemlichen Aufruhr. So, wie sie es sagte, dachte jedermann zuerst, er hätte... nun, Ihr wisst schon, was...“ Er blickte bedeutungsvoll drein.

Amrothos grinste. „Elphir hier drohte, ihn an die Fische zu verfüttern. Der arme Pelendur wagt noch immer kaum, sein Gesicht bei Hof zu zeigen, selbst wenn sie ihn heutzutage nur noch mit eisiger Höflichkeit behandelt.“

„Immerhin,“ fügte er mit einem schrägen Grinsen hinzu,“ ich denke, wir haben letzte Nacht Glück gehabt, dass es am Ende nur um ein Pony ging.“

„Wieso?“ fragte sein Bruder.

„Nun, weißt du, sie hätte statt dessen beschließen können, dass die Damen, die in der Taverne arbeiten, gerettet werden müssten...“

Einen Moment blickten die drei Männer sich gegenseitig an, dann brachen sie gleichzeitig in Gelächter aus.

„Dabei hätte ich gern das Gesicht Eures Vaters gesehen,“ bemerkte Éomer, was für neuerliche Heiterkeitsanfälle sorgte.

„Was ist so komisch?“ fragte Éowyn von hinter ihnen. Sie hörten jäh auf zu lachen.

„Es ist ein ziemlich komplizierter Witz,“ versuchte Éomer Ausflüchte zu machen. Es klang lahm, sogar in seinen eigenen Ohren.

Seine Schwester stützte die Hände auf die Hüften und betrachtete sie mit zusammen gekniffenen Augen. „Zu kompliziert, dass ich ihn verstehe, nehme ich an,“ sagte sie und hob die Brauen.

Als keiner von ihnen antwortete, wandte sie sich an Elphir. „Ich kam, um zu fragen, ob Ihr Eure Schwester gesehen habt?“ Éomer blickte dorthin hinüber, wo die Damen auf ihrer Decke saßen und stellte fest, dass die Prinzessin von Dol Amroth tatsächlich fehlte. Ein plötzlicher Schrecken durchfuhr ihn. Was war geschehen? Diese Mädchen brauchte einen ständigen Aufpasser.

Amrothos deutete in Richtung Strom. „Ich glaube, sie hat Alphros mitgenommen, um sich den Fluss anzuschauen.“

„Den Fluss!“

Als er sich umdrehte und hinsah, entdeckte er tatsächlich die schlanke Gestalt der Prinzessin gemeinsam mit ihrem Neffen auf dem Kiesstrand. Sie hatte ihre Stiefel ausgezogen und ihre Hosensäume aufgerollt. Jetzt stand sie mit bloßen Füßen im Wasser und lachte über irgend etwas, das der Junge gesagt hatte.

„Ist das sicher?“ fragte er unwillkürlich.

Amrothos zuckte die Achseln. „Oh, ich glaube nicht, dass es dort tief ist; und sie ist sowieso in Dol Amroth aufgewachsen und schwimmt wie ein Fisch.“

Jetzt beugten die beiden sich hinunter und sammelten ein paar von den größeren Steinen auf. Sie bauten sie abwechselnd übereinander zu zwei Stapeln auf. Alphros' Lachen klang quer über die Lichtung, als der Stapel seiner Tante immer wieder umfiel. Éomer lächelte, als er das Spiel als eines erkannte, das er selbst als Junge gespielt hatte; in der Mark wurde es ,die zwei Türme umwerfen' genannt. Mit einem unerwartet neidischen Stich fragte er sich, wie es sein würde, eine Frau und einen Sohn zu haben, eine eigene Familie...

In diesem Moment zog ein lautes, schnappendes Geräusch aus dem Wald ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die drei Männer wirbelten herum. Es klang, als würde sich irgendetwas gewaltsam seinen Weg durch das Unterholz bahnen. Hinter ihnen wieherte erschrocken ein Pferd.

„Was ist das?“ rief Amrothos aus.

Die Posten am Rand der Lichtung waren sofort alarmiert und suchten mit den Augen die Bäume ab. Drüben auf der Wiese wechselte Éothain, der Hauptmann seiner Wache, einen besorgten Blick mit seinem König. Was ging hier vor?

Dann stolperten zwei Männer unter den Bäumen hervor und erzwangen sich rennend einen Pfad durch die Büsche. Ihre Kleidung war stellenweise zerrissen, und sie wedelten wild mit den Armen. Mit jähem Schrecken erkannte Éomer die beiden jungen Edelleute, die die Herrin Wilwarin begleitet hatten.

„Lasst sie durch!“ rief Éomer auf Rohirric, als die Wachen ihnen den Weg versperrten. Mit einem verängstigten Blick über die Schulter taumelte einer der beiden auf sie zu.

„König Éomer!“ keuchte er.

„Was ist los?“ fragte Éomer scharf.

Sein Gesicht zerkratzt und blutig, die Augen geweitet vor Furcht, zeigte der Mann auf den Wald. „Irgend eine Art Tier,“ stammelte er. „Es hat uns verfolgt.“

Die Pferde wieherten und zerrten an ihren Zügeln, und mehrere seiner Männer rannten hin, um sie zu beruhigen. Irgendetwas war eindeutig nicht in Ordnung.

In diesem Moment schrie eine Frau. Éomer blickte auf und sah, dass die Herrin Annarima in Richtung Fluss deutete, eine Hand entsetzt auf den Mund gepresst. Dann fiel sie in Ohnmacht. Neben ihm rang Amrothos heftig nach Luft.

Mit sinkendem Herzen schaute Éomer zum Fluss.


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