Euch zu Diensten
von Lialathuveril, übersetzt von Cúthalion


Kapitell Dreizehn
Fremdlinge und Gewürze 

Der geschickte Krieger wird nicht mehr als die Länge eines Herzschlages nötig haben, um sowohl die Schwächen als auch die Stärken seines Gegners wahrzunehmen. Er wird sie weder im Schwung des Schwertes sehen noch im gespannten Bogen, sondern in den Augen seines Feindes. Denn dort wird er den wahren Kern dieses Mannes erkennen.
(Hyarmendacil: Die Kunst des Krieges)

Lothíriel umklammerte seinen Arm und schnappte nach Luft. Éomer schaute belustigt zu, als sie sich vorbeugte, um sicher zu sein, dass ihr kein Wort entging; ihr Mund formte ein kleines, aufgeregtes ,O'.

„...und dann versuchte der Drache einen weiteren Angriff auf unseren Helden; er stürzte sich aus der Sonne herab, um ihn mit seinen Krallen zu zerfetzen. Doch Baranor, mächtiger Krieger und Liebster von Silmarien der Schönen, verzagte nicht unter seinem Ansturm.“

Der Geschichtenerzähler machte eine dramatische Pause, und die Menge hielt gemeinsam den Atem an. Lothíriel verstärkte ihren Würgegriff um Éomers Arm, und er gewann den Eindruck, sie wäre am liebsten vor Erregung auf und ab gehüpft, ganz wie die Kinder, die vorne am Rand des Kreises standen.

Während der alte Mann fortfuhr und erzählte, wie der Held den Drachen durch ein paar höchst unwahrscheinliche Waffenkunststücke besiegte, stellte Éomer fest, dass es viel interessanter war, Lothíriels Gesicht zu beobachten, als der Geschichte zuzuhören. Sie hatte keinerlei Aufmerksamkeit für ihre Umgebung übrig, sondern schien vollkommen von der Erzählung eingenommen zu sein. Sie biss sich ängstlich auf die Unterlippe, während der Kampf sich fortsetzte und klatschte entzückt in die Hände, als Baranor endlich die Bestie tötete und der wunderschönen Silmarien seine unsterbliche Liebe erklärte.

„Oh!“ hauchte sie. „War das nicht ganz einfach großartig?“

Éomer strich den reichlich maltraitierten Ärmel seiner Tunika glatt und wechselte einen belustigten Blick mit Faramir. Der Verlobte seiner Schwester hatte sich ihnen auf dem Weg hinunter zum Haupttor von Minas Tirith angeschlossen. Er hatte vorgeschlagen, auf dem Jahrmarkt einen Halt einzulegen, da er etwas kaufen musste – ein Plan, der von den Damen begeistert gutgeheißen wurde.

„Großartig,“ pflichtete Faramir ihr bei. „Denkst du, wir können jetzt gehen?“

Lothíriel grinste ihn an; ganz offensichtlich ließ sie sich von seinem strengen Ton nicht täuschen. „Wirst du ungeduldig, liebster Vetter? Wenigstens bleibe ich nicht an jedem Stand stehen, der Frauentand feil bietet.“

„Nein, aber du bleibst stehen, wo immer ein Barde oder Geschichtenerzähler sein Gewerbe ausübt. Der hier ist schon der dritte.“

Der alte Mann hatte seinen Hut genommen, machte die Runde und sammelte seine Belohnung von der Menge ein. Seine Augen leuchteten auf, als Éomer ihm eine kleine Silbermünze zuwarf.

„Vielen Dank, edler Herr, an Euch und Eure liebliche Gattin.“ Er verneigte sich tief, bevor er weiterging.

Lothíriel zog den Kopf ein, aber nicht rasch genug, um die Farbe zu verbergen, die sich über ihren Wangen ausbreitete. Éomer fand die Art, wie sie beim geringsten Anlass errötete, ziemlich reizend; da er sie aber nicht noch mehr in Verlegenheit bringen wollte, legte er ihre Hand in seine Armbeuge und wandte sich ab, um weiterzugehen.

Plötzlich war da irgendwo seitlich eine Bewegung, die er mehr fühlte als sah. Aus dem Nichts strichen eiskalte Finger ihm das Rückgrat hinunter. Éomer wirbelte herum; eine Hand ging zum Knauf seines Schwertes, zur Verteidigung oder zum Angriff. Mit der selben Bewegung schob er Lothíriel hinter seinen Rücken.

„Éomer?“ fragte sie verwirrt und klammerte sich an ihn.

Seine Wachen waren sofort aufmerksam. Angespannt wie eine Bogensehne suchte er die Menge ab. Sie hatte sich fast zerstreut, doch auf der gegenüber liegenden Seite des kleinen Platzes stand ein hoch gewachsener Mann und starrte ihn an. Éomer gewann den raschen Eindruck von einem dunkelhäutigen Gesicht und durchdringenden, schwarzen Augen, ehe der Mann sich eilig hinter zwei Vorübergehenden duckte und zwischen zwei Zelten einen kleinen Seitenweg hinunter verschwand.

Faramir hatte sein eigenes Schwert halb gezogen. „Was ist denn los?“

Einen Moment später zuckte Éomer die Achseln. „Ich bin nicht sicher. Einfach jemand, der uns angestarrt hat.“

Und doch durchsang ihn noch immer die Vorahnung von Gefahr. Der Mann hatte sich mit der glatten Sicherheit eines geübten Kriegers bewegt. Sein Hauptmann Éothain schickte zwei seiner Wachen los, um den Weg hinunter nachzusehen, wohin der Fremde verschwunden war, aber nach einem kurzen Moment kamen sie zurück und schüttelten die Köpfe. Dann zog Lothíriels weißes Gesicht seine Aufmerksamkeit auf sich, und er verspürte Reue, dass er sie verängstigt hatte.

Er nahm ihre Hand und legte sie wieder auf seinen Arm. „Es tut mir Leid. Ich wollte Euch nicht erschrecken.“

„Sollten wir zu den Pferden zurück gehen?“

Er dachte einen Moment darüber nach. „Ich denke nicht, dass das nötig ist. Was für eine Gefahr es auch immer gegeben hat, sie ist vorbei.“

Trotzdem warf Éomer noch einen Blick zurück, ehe sie den Platz verließen; die ganze Zeit über schalt er sich, dass er überreagierte. Die Wachen nahmen seine Stimmung auf und suchten misstrauisch die Menge ab. Er hatte ein paar seiner Männer außerhalb des Jahrmarktes bei den Pferden warten lassen, aber Éothain hatte darauf bestanden, den Rest mitzunehmen. Während Éomer daheim in Edoras ganz ohne Wachen auskam, hatte sein Hauptmann eisern darauf beharrt, dass sie in Minas Tirith immer dabei waren. Vielleicht hatte er ja Recht. Und doch geschah nichts, während sie weiter den schmalen Weg entlang gingen, der auf beiden Seiten von Ständen eingerahmt wurde, und Éomer zwang sich selbst, sich wieder zu entspannen. Der Krieg war vorüber; er würde sich wirklich daran gewöhnen müssen, dass er in Friedenszeiten lebte. Und doch starben alte Gewohnheiten manchmal nur langsam.

Die Prinzessin hatte still an seiner Seite Schritt gehalten, aber jetzt hob sie ihm ihr Gesicht entgegen. „War es jemand, den Ihr kennt?“

„Das denke ich nicht.Tatsächlich bin ich noch nicht einmal sicher, wieso ich so reagiert habe.“ Er seufzte. „Alte Instinkte, die an die Oberfläche kommen, nehme ich an.“

Eine Falte erschien zwischen ihren Augen, während sie darüber nachdachte. „Ihr solltet Euren Instinkten trauen. Versprecht mir, vorsichtig zu sein.“

Gerührt lächelte er auf sie hinunter. „Das werde ich. Wie auch immer, es war wahrscheinlich nichts.“

Neben ihnen schlenderten Éowyn und Faramir Arm in Arm, und Éomer spürte, wie sich seine Lebensgeister hoben, als er hörte, wie seine Schwester über irgend etwas lachte, das Faramir gesagt hatte. In den Jahren zuvor waren solch sorglose Klänge in Meduseld selten geworden. Es wärmte ihm das Herz, sie endlich glücklich zu sehen, auch wenn er sie sehr vermissen würde.

Éomer wandte sich Faramir zu. „Was ist es, das du kaufen möchtest?“

„Ein Feuerboot für heute Nacht. Ein bisschen weiter hinten sollte es eine ganze Reihe Stände geben, an denen sie verkauft werden. Tatsächlich glaube ich, das ich sie sehen kann.“

„Was ist ein Feuerboot?“ fragten Éowyn und Éomer gleichzeitig.

Faramir blickte überrascht drein. „Habt ihr diese Hochzeitssitte denn nicht in Rohan? Sie sehen aus wie kleine Spielzeugboote. Man stellt einen Kerzenstummel hinein, zündet ihn an und schickt das Boot den Fluss hinunter. Der Tradition nach tragen sie eure Wünsche über das Westliche Meer.“

„Jedermann kann mitmachen,“ fügte Lothíriel hinzu. „In der Nacht sieht es wirklich zauberhaft aus.“

Einen Moment lang wunderte sich Éomer, wie sie das wissen konnte, bevor ihm klar wurde, dass sie den Brauch mit angesehen haben musste, als sie noch ein Kind gewesen war. Sie hatten die Stände erreicht, auf die Faramir sie hingewiesen hatte, und er blieb stehen, um sich die Waren anzuschauen. Es gab Boote von der Größe winziger Nussschalen bis hin zu kunstvoll geschnitzten Schiffen, die länger waren als sein Arm. Die meisten von ihnen hatten Segel, die den Weißen Baum von Gondor zeigten, mit der Krone und den sieben Sternen darüber, aber es gab auch ein paar mit seinem geliebten, weißen Pferd auf grünem Grund. Er hob eines hoch, in dessen Bug eine winzige Sonne graviert war.

„Darf ich mal sehen?“ fragte Lothíriel. Als er ihr das Boot reichte, ließ sie ihre Finger darüber hin gleiten.

„Nehmt ein anderes,“ riet sie ihm. „Der Boden ist viel zu flach, und es hat keinen Kiel. Seht Ihr, Boote mit einem hohen Aufbau mögen sehr hübsch sein, aber sie kentern bei der leichtesten Brise.“

Éomer musste grinsen. „Ich beuge mich Eurem überlegenen, seemännischen Wissen.“

Ein Boot nach dem anderen wurde einer genauen Prüfung unterzogen, bis sie sich mit einem einverstanden erklärte. Éomer begann zu feilschen.

„Gibt es welche mit dem Schwan von Dol Amroth?“ fragte Lothíriel ihn, als er seinen Handel abgeschlossen hatte.

Éomer schaute sich um, konnte aber keine finden. „Ich glaube nicht.“ Als er sah, dass Éowyn und Faramir ihr Boot gemeinsam kauften,kam ihm eine Idee. „Würdet Ihr gern meines mit mir teilen? Immerhin habt Ihr es ausgesucht. Ich bin sicher, es ist groß genug, um zwei Kerzen zu tragen.“

Sie errötete sogar noch heftiger als vorhin. „Oh nein, das wäre unziemlich!“

Éomer fragte sich, was er wohl gesagt hatte, um sie in Verlegenheit zu bringen. „Ich wollte Euch nicht kränken.“

„Ich verstehe schon,“ stammelte sie, „es ist bloß so, dass man die Feuerboote nur mit seiner Familie teilt. Oder wenn man versprochen ist...“

Hatte er Lothíriel versehentlich die Ehe angetragen? „Das war es nicht, was ich gemeint habe,“ versicherte er ihr hastig.

„Nein, natürlich nicht,“ sagte sie zustimmend, die Wangen noch immer brennend rot. „Ich denke, ich nehme eines mit dem Weißen Baum.“

Doch am Ende entschied sie sich für ein mittelgroßes Boot mit dem weißen Pferd von Rohan auf dem Segel. Mit einem Lächeln befingerte sie die beiden grob geschnitzten Seeleute an Deck. „Immerhin bin ich Éowyns Trauzeugin. Sie können meine Wünsche für mich zu den Valar tragen.“

Faramir wurde von seiner Base um eine Anleihe gebeten, und der Standbesitzer versprach, ihre Boote in das Lager der Rohirrim liefern zu lassen. Er schien sehr darüber erfreut zu sein, solch illustre Kunden zu haben.

„Holen wir uns etwas zu Essen,“ schlug Éowyn vor, als sie weiter gingen.

Lothíriel schnüffelte in der Luft herum. „Ich glaube, ich kann Beerentörtchen riechen.“

Faramir lachte. „Du bist ein gefräßiger Süßschnabel, Lothíriel!“

Die Stände, die ihren Weg säumten, boten eine verwirrende Anzahl an Gerichten an, von gegrillten Lammspießen über kleine, mit Karotten und Erbsen gefüllte Pasteten zu gedämpftem, in Kohlblätter gewickeltem Süßwasserfisch. Unter einem Sonnensegel hatte ein findiger Händler eine Reihe Tische aufgestellt, wo man gegen eine kleine Gebühr sein Essen im Sitzen einnehmen konnte. Ein paar kleine Jungen, denen Faramir dafür Geld anbot, rannten eifrig davon, um eine Auswahl an Esswaren und etwas Bier als Getränk herbei zu schaffen.

Faramir grinste, während er Éowyn neben sich auf die Bank zog. „Ich muss dich warnen; ich weiß nichts über die Güte des Bieres, aber ich denke, es ist immer noch die bessere Wahl als der Wein.“

Éomer setzte sich ihnen gegenüber, und Lothíriel schlüpfte ganz natürlich auf den Platz neben ihn. Einige ihrer Männer kamen zu ihnen an den Tisch, während die anderen Wache standen. Éomer hielt das nicht länger für eine unnötige Vorsichtsmaßnahme.

Lothíriel strahlte zu ihm auf. „Das ist solch ein Abenteuer!“

Er musste über die unverstellte Freude in ihrem Gesicht lächeln – sie war wie ein Kind, dem man ein unerwartetes Vergnügen bereitete. Und doch war das die selbe Frau, die Guthláf mit einer Stimme voll stiller Autorität mitgeteilt hatte, was einen Mann ausmachte – und was nicht. Die Prinzessin von Dol Amroth war voller Überraschungen.

Er erinnerte sich daran, dass ihr Vater nicht gewollt hatte, dass sie den Jahrmarkt besuchte. Sicherlich würde Imrahil aber nichts dagegen haben, dass sie in seiner und Éowyns Begleitung hin ging? „Wir bereiten Euch doch keine Schwierigkeiten mit Eurem Vater, oder?“

Sie zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich. Aber das ist es wert. Übermorgen ist ohnehin die Hochzeit, und er kann mir nicht sehr gut verbieten, hin zu gehen.“

Faramir lehnte sich herüber. „Lothíriel glaubt fest daran, erst nach der Tat um Vergebung zu bitten.“

„Ich gestehe, es ist eine Politik, die mir in der Vergangenheit gute Dienste geleistet hat,“ grinste sie, „und die ich von einem gewissen Waldläufer gelernt habe.“

Éomer und Éowyn wechselten einen Blick. Diese Art freundlicher Neckerei kam ihnen vertraut vor.

Lothíriel wandte sich an Éowyn, einen unschuldigen Ausdruck auf dem Gesicht. „Es schockiert dich vielleicht, dass unser Fürst von Ithilien eine buntscheckige Vergangenheit hat.“

„Lothíriel!“ sagte Faramir warnend, gerade, als Éowyn sich eifrig vorbeugte. „Erzähl mal!“ sagte sie.

„Nun...“ Die Prinzessin senkte die Stimme. „Zum Beispiel gibt es da die schreckliche Geschichte, wie in einem Sommer der junge Herr Eradan von Lebennin auf dem Heimweg feststellte, dass seine Satteltaschen voller verfaulender Austern waren.“

Faramir blickte drein wie vom Donner gerührt. „Du warst nur ein kleines Kind! Wie hast du davon gehört?“

„Amrothos.“

„Verfaulende Austern?“ warf Éowyn ein; sie mühte sich, missbilligend auszusehen, was ihr in keinster Weise gelang.

Lothíriel nickte. „Scheinbar musste der arme Herr Eradan seine Satteltaschen verbrennen, den gesamten Inhalt eingeschlossen. Anschließend hatte er keinen Faden Kleidung zum Wechseln mehr übrig.“

„Glaubt mir, dieser aufgeblasene Esel hatte es verdient,“ schnaubte Faramir.

Éomer versuchte verzweifelt, ernst zu bleiben. „Ihr schockiert mich mit dieser Geschichte über den künftigen Gemahl meiner Schwester. Ich fange an, mich zu fragen, welcher Art Mann ich sie anverlobt habe.“

Éowyn verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun, wie es der Zufall will, habe ich auch ein paar interessante Geschichten zu erzählen.“

Nun war Lothíriel damit an der Reihe, sich vorzubeugen. „Hast du?“

„Wir wollen das nicht vertiefen,“ unterbrach Éomer sie hastig. Er dachte an einige der Streiche, die er sich als Knabe geleistet hatte. Der Tod seiner Eltern hatte diesem Teil seines Lebens ein jähes Ende bereitet, aber ihre alte Haushälterin in Aldburg hatte noch immer einen riesigen Vorrat solcher Geschichten auf Lager. Zu seinem Glück rettete ihn die Ankunft von Essen und Getränken vor weiteren Fragen.

Die kleinen Jungen kehrten zurück, stellten Platten mit verschiedenen Gerichten auf ihren Tisch und reichten Krüge mit Bier und irdene Becher herum, aus denen sie trinken konnten. Éomer gab die, die am wenigsten angeschlagen waren, an Lothíriel und Éowyn weiter.

Das Bier war nicht allzu stark verdünnt; tatsächlich übertraf es Éomers Erwartungen, und Lothíriels Gegenwart machte die Mahlzeit denkwürdig. Sie legte eine ansteckende Begeisterung an den Tag, gab freudige Ausrufe von sich, wenn sie ihr Lieblingsessen vorgesetzt bekam und war eifrig darauf erpicht, alles, was sie nicht kannte, zu versuchen. Éothain saß auf ihrer anderen Seite und war zu höflich, sich zu weigern, als sie ihn drängte, einige stark gewürzte Fleischbällchen zu probieren, eine Delikatesse aus dem Süden. Das Gesicht seines Hauptmannes und sein hastiger Griff nach dem Becher Bier, nachdem er lediglich eines der scharfen Dinger gegessen hatte, warnte Éomer, einen vollen Magen vorzuschützen, als sie sich mit dem selben Angebot an ihn wandte. Er hatte den quälenden Verdacht, dass selbst die Hunde diese Spezialität verschmähen würden.

Die Hunde! Ganz plötzlich wurde Éomer die Tatsache bewusst, dass ihr Tisch das Interesse von einigen der Streuner auf sich gezogen hatte, die den Jahrmarkt nach etwas Futter absuchten, das sie sich erbetteln konnten. Einer von ihnen saß direkt hinter ihrer Bank, ein hoffnungsvolles Grinsen auf dem Gesicht und mit wedelndem Schwanz. Éomer spürte, wie ihn bei der Vorstellung, ein versammeltes Rudel Hunde zusätzlich zu Galador mit nach Hause in die Riddermark zu nehmen, ein Gefühl durchfuhr, das stark an Panik erinnerte. Rasches Nachdenken war ganz eindeutig angebracht. Er beugte sich vor und erteilte der Wache, die am Ende ihrer Bank saß, knappe Anweisungen auf Rohirric. Der Mann blickte einen Moment überrascht drein, dann aber nickte er und stand auf.

Kurz darauf kam einer der Jungen, der ihnen ihr Essen gebracht hatte, mit einem Teller voller Reste vorbei. Er pfiff, und die Hunde sprangen eifrig auf und folgten ihm. Auf Éomers Nicken hin ging seine Wache mit, um darauf zu achten, dass kein hässlicher Kampf ausbrach. Mit einem befriedigten Lächeln wandte sich Éomer wieder seiner eigenen Mahlzeit zu, nur, um dem nachdenklichen Blick seiner Schwester zu begegnen. Mit einem Mal erinnerte er sich an die forschenden Fragen, die ihm Éowyn an diesem Morgen darüber gestellt hatte, wo er am Abend zuvor gewesen war, und er schaute sie mit einem leichten Stirnrunzeln an. Éowyn senkte die Augen, aber es kam Éomer so vor, als würde ein Lächeln darin lauern.

Zum Glück war sein kleines Täuschungsmanöver vollkommen an Lothíriel vorüber gegangen; sie bombardierte Éothain mit Fragen über den großen Pferdemarkt, der jeden Herbst in Edoras abgehalten wurde.

„Es geht nicht nur darum, Pferde zu verkaufen,“ erklärte sein Hauptmann, „sondern auch darum, einen Augenblick der Entspannung zu haben zwischen der harten Arbeit der Ernte und dem einsetzenden Winter.“

Lothíriel nickte. „Wir haben ähnliche Bräuche unten in Dol Amroth; bei denen spielt das Meer eine Rolle.“

Einer der kleinen Jungen lieferte eine Platte mit Törtchen ab, und sie nahm eines und bot es Éothain an. „Versucht dieses hier; ich rieche Rharbarber.“

Sein Hauptmann dankte ihr und betrachtete die Pastete misstrauisch.

„Wisst Ihr, was für diesen Nachmittag geplant ist?“ fragte sie ihn.

Éothain nahm einen kleinen, vorsichtigen Bissen. „Das Hauptereignis wird ein Bogenschieß-Wettbewerb auf dem Pferderücken sein, und einige unserer jungen Reiter werden ihr Können vorführen. Und Wettrennen, natürlich.“

Éomer nahm sich ebenfalls ein Törtchen. Es war noch heiß vom Ofen, und der saure Geschmack des Rhabarbers passte gut zu dem süßen Teig. „In der Riddermark gibt es ein Sprichwort: wenn sich mehr als zwei Rohirrim begegnen, dann halten sie ein Rennen ab.“

Lothíriel lachte. „In Dol Amroth sagen wir das selbe über Seeleute. Wenn ich daran denke, wie oft sich meine Brüder gegenseitig quer über die Bucht gejagt haben! Ich vermute, es gibt viele unterschiedliche Rennen?“

„Oh ja. Nur über verschiedene Weglängen.“

„Sagt mir, kann jedermann teilnehmen?“ Sie knabberte an ihrem Rhabarbertörtchen und schaute gedankenvoll drein.

Éomer nickte. „Ja, die Rennen sind offen für alle Wettkämpfer, ob sie aus Rohan stammen oder aus Gondor.“

„Die Gondoreaner werden ohnehin keine Chance haben,“ warf Éothain ein.

Sie lächelte sittsam. „Meint Ihr nicht?“

Éomer hatte noch einen Bissen von seinem Törtchen genommen, und jetzt verschluckte er sich beinahe, als ihm endlich klar wurde, worauf ihre Fragen abzielten. „Lothíriel! Denkt nicht einmal daran - “ Er hielt abrupt inne, als er das schelmische Lächeln sah, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete.

„Ihr...“ Eine ganze Welt aus Drohungen lag in seinem Tonfall.

Sie blickte zu ihm auf, ihre wunderschönen, grauen Augen in gespielter Unschuld geweitet. „Ja, mein König?“

Plötzlich wurde ihm klar, dass seine Männer ihn mit breitem Grinsen beobachteten. Ein strenger, finsterer Blick von seiner Seite wischte ihnen diesen Ausdruck aus den Gesichtern und verwandelte das Lachen in hastig ersticktes Husten. Wenigstens konnte er noch den Respekt seiner Reiter einfordern, wenn schon nicht den der Prinzessin von Dol Amroth.

„Mit Euch wird es dieser Tage noch ein böses Ende nehmen,“ sagte er rundheraus zu Lothíriel.

Sie lachte ihn an.

Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, kehrten sie dorthin zurück, wo der Rest seiner Männer mit den Pferden wartete. Es stellte sich heraus, dass sie langsam voran kamen; die Menge sammelte sich um Gaukler, Wahrsager und Musiker, wo immer der Weg ein wenig breiter wurde. Éomer entdeckte einen Mann auf Stelzen, die doppelt so hoch waren wie er selbst und einen anderen, der scheinbar kleine Münzen aus der Luft hervor zog. An einem Stand kaufte Éowyn einige bunte Bänder, und die Prinzessin wäre gern jedes Mal stehen geblieben, wenn sie einen Barden oder Geschichtenerzähler hörte. Es hätte Éomer nichts ausgemacht, noch länger auf dem Jahrmarkt zu bleiben, aber am Nachmittag wurde von ihm erwartet, bei einigen der Wettbewerbe in ihrem Lager als Preisrichter zu fungieren, also mussten sie sich beeilen. Endlich ließen sie den Jahrmarkt hinter sich und der Druck der Leute wurde schwächer. Ihre Pferde waren ein Stück abseits im Schatten eines Baumwäldchens angebunden.

Lothíriel war Arm in Arm mit Éowyn zurück gegangen, und jetzt kamen die beiden zu ihm, wo er stand, um sich seinen Hengst noch einmal anzusehen, bevor er aufstieg. Die Prinzessin holte ein Stück Brot aus einer der Taschen in ihrem Gewand.

„Ich habe das von unserem Mittagessen aufgehoben. Darf ich es an Feuerfuß verfüttern?“

Der Hengst machte einen Schritt auf sie zu und ließ die Ohren eifrig nach vorne spielen. Éomer legte ihm warnend eine Hand auf den Hals. „Sachte!“ Zu Lothíriel sagte er: „Ihr dürft.“

Sie streckte ihre Hand aus und der große Graue nahm sich behutsam das Brotstück; samtige Lippen streiften an ihrer Handfläche entlang.

Lothíriel langte nach oben und streichelte Feuerfuß. „Danke, dass du mir gestern das Leben gerettet hast.“

Sie wandte sich an Éomer. „Amrothos hat gesagt, er war großartig.“

Éowyn lehnte sich hinüber, tätschelte Feuerfuß und warf Éomer ein boshaftes Grinsen zu. „Und was bekommt mein Bruder?“

Éomer betrachtete sie stirnrunzelnd. „Die Prinzessin hat mir bereits gedankt.“

Lothíriel gluckste. „Ich hatte sowieso nur ein Stück Brot.“

Éomer konnte eine gewissen Ärger nicht unterdrücken, als seine Schwester sich vor Lachen krümmte. Es war höchste Zeit, sie zu verheiraten.


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