Ernil i Duremmen von Marnie
übersetzt von Stephanie Dorer

In den Tagen der Dunkelheit, als die Zwei Bäume in Valinor blühten und die Eldar in Glückseligkeit zu Füßen der Valar lebten, lag endloses Zwielicht über Mittelerde.

Sterne zogen über Beleriand dahin. In den tiefen Niederungen des Landes pfiffen und sangen fremdartige Geschöpfe. Orks durchstreiften auf Pfaden das Land und Raubtiere wurden von Angband ausgesandt, so dass die Elben, die noch in Ennor verweilten und den Ruf der Mächte ablehnten, scheu geworden waren und einzig Sicherheit im Verborgenen suchten.

In jenen Zeiten kehrten die Valar Mittelerde den Rücken und die Moriquendi glaubten sich verlassen, um nach ihren Möglichkeiten in einer Welt zu leben, die von Morgoth’s Herrschaft überzogen wurde. Doch Orome, als einziger der Mächte, kehrte oft in die Wälder Beleriands zurück und jagte die Diener Morgoth’s, wo immer er sie finden konnte. Wenn das gewaltige Horn Valaroma in den Schatten erschallte und die Hufe Nahars, des weißen Rosses von Orome, dahindonnerten und zwischen den Bäumen widerhallten, flohen die Quendi, aber ihre Herzen waren leichter, denn sie wussten, dass nichts Böses näher zu kommen wagte.

Häufig auf seinen Reisen gelangte Orome auf eine Lichtung im Walde von Nan Elmoth, umsäumt von Buchen und Birken, wo der gemächliche Fluss Celon sich zu einem See von solcher Ruhe verbreiterte, dass ein Blick auf seine Oberfläche einem Blick auf den Tanz der Sterne darüber gleichkam. Dort stieg er vom Pferd und nahm seinen Helm ab, ließ Nahar grasen und rastete, während er die weißen Glockenblüten der Ackerwinde pflückte und in neuen Bildern inmitten der gespiegelten Pracht des Himmels treiben ließ.

Nun geschah es eines Tages, als der Wind heftig blies, dass Orome seiner Gewohnheit gemäß in Nan Elmoth Rast hielt. Die Oberfläche des Sees war dunkel aufgewühlt durch den wilden Sturm und der Regen prasselte auf die Blätter der Bäume hernieder, dass es an Meeresrauschen erinnerte. Ein Kranz weißer Blumen, von ungeübten Händen grob geflochten, lag in der Mitte der Lichtung und sogleich war sich Orome bewusst, beobachtet zu werden.

Er fuhr herum, bemerkte ein Blatt, das in einem anderen Rhythmus als dem des Regens erzitterte und schleuderte seinen Speer in das Versteck des Beobachters. „Zeig dich, Eindringling!“

Heller Stahl glitt schimmernd durch die Schatten, bis er scharf das Haar und die Wange des Beobachters passierte, und im Spiegel der Speerspitze erkannte Orome seine Bedrohung. Es war ein Kind. Entsetzt erbebte der Vala. Gelähmt vor Furcht, die flache Klinge an seinem Gesicht, starrte das Kind mit weit aufgerissenen grünen Augen zu Orome empor, während der Regen sein langes, helles Haar, das silbern wie eine scharfe Klinge glänzte, durchweichte. Einen Augenblick lang rührte sich keiner von beiden, staunte nur über den anderen.

„Du bist kühn, so nah zu kommen“, rief Orome schließlich. „wo selbst die Krieger deiner Sippe vor mir fliehen.“

„Mein Vater sagt, Ihr jagt das Böse“, antwortete der Junge heftig. „Und ich bin nicht böse.“

Da erkannte Orome Weisheit in dem Kind. Vorsichtig zog er seinen Speer von dem Kind fort, gab seiner Stimme einen freundlichen Ton und zog den Kleinen auf die Lichtung hinaus. „Und hast du mich gejagt?“

„Ihr kamt im letzten Jahr hierher“, sagte der Junge und wischte sich mit einem Ärmel den Regen vom Gesicht. „Ich sah das Licht, aber sie erlaubten mir nicht, näher zu kommen, denn sie sagten, Nan Elmoth sei gefährlich.“

Er schien verunsichert, nicht wissend, ob es erlaubt sei, die Älteren seiner Sippe vor einem Gott zu kritisieren. „Aber ich dachte &Mac226;wie kann es gefährlich sein, wenn Tauron hier ist? Müsste es nicht der sicherste Platz der Welt sein?’ So wartete ich, bis Euer Horn vernommen wurde und dann kam ich wieder hierher.“

„Allein?“

„Ja, mein Herr.“

„Unzweifelhaft hast du damit deine Naneth und Adar entsetzlich geängstigt“, sagte Orome und versuchte sich daran zu erinnern, wie Eltern mit ihren Kindern sprachen. Seine Strenge war nicht überzeugend, denn in Wahrheit war er entzückt von dem Kind. „War das nun gut getan?“

„Ich wollte sie nicht ängstigen.“ Der Junge blickte auf und sah mit Augen, in denen nichts als Ehrfurcht lag, in Oromes Gesicht. „Doch auch wenn ich bestraft werde, großer Herr, wird es das wert sein.“

Wenn die Kinder der Moriquendi nicht schneller heranwuchsen als jene Valinors, dann war er ungefähr zehn Sommer alt und Orome war berührt von seiner Offenheit. „Hast du dir einen Segen von mir erhofft?“

„Nein, Herr.“ Unbehaglich zog das Elbenkind eine nasse Strähne seines Haares durch seine Finger. „Ich begehrte Euch zu sehen und...“ Er wühlte in einer Tasche an seiner Seite. „Und ich habe Eurem Pferd einen Apfel mitgebracht.“

Für einen Moment vergaß Orome die großen Sorgen der Mächte und lachte laut auf. Bei diesem Klang hielt der Sturm überrascht inne und die Wolken über ihnen brachen auf. „Niemals“, sagte er, „hat Nahar ein solches Geschenk von den Kindern der Sindar erhalten. Komm her und biete es ihm an.“

Hell erstrahlte Menelvagor („Himmelsschwertkämpfer“, i.e. Stermbild des Orion, Anm. d. Ü.) durch die Wolkenlücken, als das Pferd seinen gewaltigen Kopf über die Hand des Jungen beugte. Gleich einem Windstoß blies der Atem des Pferdes die Haare des Kindes nach hinten. Bewegungslos, zwischen Furcht und Freude schwankend, blieb das Elbenkind stehen und das Schimmern von Nahars Mähne leuchtete auf seinem Gesicht.

Orome sah, dass das Kind bis auf die Haut durchnässt war und zitterte und er zog es an sich, wickelte seinen Umhang um den Jungen und gab ihm aus seinem Trinkschlauch zu trinken, wovon sie beide gestärkt wurden. Sie schwiegen eine Weile, bis der Junge fragte: „Lieben uns die Valar nicht?“

„Ich verstehe nicht, was du meinst.“

„Liebt Ihr nur diejenigen Quendi, die mit Euch nach Valinor kamen? Werden wir deswegen &Mac226;die Verlassenen’ genannt – weil die Valar sich nicht mehr um uns bekümmern?“

Da war Orome betrübt in seinem Herzen und wusste nicht, was er antworten sollte. Denn oft hatte er sich dasselbe gefragt und die anderen Mächte gedrängt, auch jene zu beachten, die noch geblieben waren. „Stets“, sagte er schließlich. „Stets gilt die Sorge der Valar den Kindern Iluvatars. Dies ist der Grund dafür, dass wir euch sicher an einem Ort wissen wollten, den wir beschützen können.“

„Und dem Feind alles Übrige überlassen?“

„Diese Dinge sind zu hoch für dich, Kind“, sagte Orome, verstimmt darüber, dass das Elbenkind so klar seine Gedanken zu erkennen schien. Da er nicht weiter sprechen konnte, ohne sich selbst oder die anderen Valar zu betrügen, erhob er sich, nahm das Kind und setzte es vor sich auf Nahar. „Komm, ich werde dich zu deinem Vater bringen.“

Sie ritten zusammen durch die lange Dämmerung als die grauen und silbernen Wolken am Himmel sich wieder zusammenzogen. Es war nur ein kurzer Ritt von Nan Elmoth zu den magischen Grenzen von Doriath, denn die Schritte des Pferdes waren schnell und ausgreifend.

Als Orome das Kind hochhob, um es abzusetzen, ergriffen die kleinen Hände fest die seinen. „Warum müsst Ihr gehen? Warum könnt Ihr nicht kommen und bei uns bleiben? Dann müssten wir nicht in den Westen fliehen. Wenn Ihr bei uns wärt, dann wären wir hier sicher genug.“

„Mit uns? Sprichst du für dein ganzes Volk, kleiner Elb?“

„Ja, Herr, das tue ich“, sagte der Junge schlicht, seinen Griff lockernd. „Denn ich bin ihr Prinz.“

Nun erkannte Orome in dem Jungen die Ähnlichkeit zu Olwe, König der Teleri, als ob das Kind ein enger Verwandter wäre. Und wieder einmal empfand er vor diesem vergessenen Abkömmling eines königlichen Hauses die Trennung der Quendi als einen Fehler. „Ich werde deine Worte mit in den Westen nehmen, kleiner Prinz“, sagte er ernst. „Doch weiß ich nicht, was sie bewirken werden.“

Dann klopfte das Kind Nahar den Hals, verneigte sich in ungelenker Höflichkeit und verschwand in dem Verborgenen Reich.

Aufgerüttelt durch seine Worte kehrte Orome auf den Taniquetil zurück. Ungeduldig sprach er mit den anderen Mächten und drängte auf eine stärkere Beteiligung an den Geschehnissen in Mittelerde. Doch letzten Endes konnte er den Rat nicht umstimmen. Seine Besuche in Ennor wurden von dieser Zeit an häufiger, so dass die Orks viele Jahre lang in Angst durch Beleriand zogen.

Der Prinz von Doriath kehrte zu seinem Volk zurück. Berührt von der Macht Oromes wuchs er groß und schön heran, ähnlich einem Elb in Valinor. Doch setzte er keine Hoffnungen in sein Treffen mit dem Hohen Herrn. Wenn er überhaupt jemals darüber gesprochen hat, so ist uns davon nach dem Untergang seiner Stadt nichts überliefert worden.

ENDE

Tauron (Herr des Waldes) – so nannten die Sindar Orome

Ennor ist die Sindarin-Bezeichnung für Mittelerde

Moriquendi – die sogenannten Dunkelelben, so bezeichnet, wie sie nie das Licht der zwei Bäume von Valinor gesehen haben


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