In den Westen (Eine Hommage an die Elben)
von meldis (Übersetzung von "Into the West" von Cúthalion)

Abschied... Zeit zum Abschied ist es nun
Schließ die Augen, lass den Kopf hier bei mir ruh'n
Träume süß... die vor dir gingen, sie sind nah
Hör sie rufen: „Komm zu uns, wir sind schon da!"

Kein Weinen mehr...die Zeit für Tränen ist vorbei,
Dein Herz wird heil, von allen Ängsten wirst du frei
sicher bei mir, in meinen Armen.

Was siehst du dort weit in der Ferne
hörst du die Möwen schrei'n?
Bleich strahlt der Mond und hell die Sterne
das Schiff ist hier, nun trägt es dich heim...

Zu Silber wird der Dämmerglanz
Ein Licht auf den Wellen
heilt dich ganz

Hoffnung geht dahin, der Weg ist weit
führt in den Westen, aus Erinnerung und Zeit
Leb wohl... heut' musst du alleine geh'n
Am weißen Ufer werden wir uns wiederseh'n
Und nah bei mir schläfst du dann in Frieden...

Die Möwen schrei'n,
ihr fernes Rufen zieht dich aufs Meer hinaus
Bleich strahlt der Mond, und hell die Sterne
das Schiff ist hier, es trägt dich nach Haus...

Zu Silber wird der Dämmerschein
Ein Licht auf den Wellen
leuchtet hell, und du bist daheim.

„Abschied... Zeit zum Abschied ist es nun...“

Niemand außer mir wird je erfahren, wie es in deinem Herzen aussieht. Dein Blick ist verschleiert, gebrochen wie Glas. Schmerz und Erinnerungen, die ich dir so gerne abnehmen möchte, beherrschen deine Gedanken. Nichts kann dich ablenken, nicht einmal ich vermag dies zu tun.

„Schließ die Augen, lass den Kopf hier bei mir ruh'n...“

Meine Hände streicheln zärtlich über dein gebeugtes Haupt, das Schutz sucht in meinem Schoß, sich versteckt vor der Nacht, die hereinbricht und deine Erinnerungen wieder lebendig werden lässt. Doch du braucht keine Angst zu haben, denn nun ist deine Reise vorbei...

„Träume süß... die vor dir gingen, sie sind nah...“

Sanft streiche ich über deine Wange; ich spüre, wie du dich langsam entspannst und versuchst, das Vergangene zu vergessen, um nur noch bei mir zu sein, hier, in diesem Moment. Doch es gelingt dir nicht richtig, ich sehe es an der Trauer in deinem Gesicht...

„Hab keine Angst, ich bin bei dir.“ flüstere ich und halte deine Hand. Deine Augen werden langsam glasig; du entfliehst in Ilúvatars Traumreich und träumst von längst vergangenen, hellen Zeiten...

„Hör sie rufen: „Komm zu uns, wir sind schon da!"

Ich kann spüren, wie dich ihre Rufe locken, dich wegziehen, fort von mir. Am liebsten würde ich dich ewig in meinen Armen halten, doch ich weiß, dass du den Rufen bald folgen wirst, und dass selbst meine Liebe dich dann nicht halten kann. Mein Herz ist voller Gram, wenn ich daran denke, dass sie so weit entfernt sind... und doch scheinen sie dir näher zu sein, als ich es je sein werde.

„Kein Weinen mehr...die Zeit für Tränen ist vorbei...“

Deine Tränen benetzen durch den Stoff meines Gewandes warm meine Haut, doch ich will dich jetzt nicht wecken. „Weine ruhig, mein Prinz“ flüstere ich dir leise zu, denn nur im Schlaf kannst du loslassen. Nur im Schlaf kann ich erkennen, wer du wirklich bist, und diesen Moment kann mir niemand nehmen.

„Dein Herz wird heil, von allen Ängsten wirst du frei...“

„Fürchte dich nicht, Melethron*, es ist vorbei.“ Ich wiege dich sacht in meinen Armen, während sich das Licht der Sterne weich in deinen goldschimmernden Haaren spiegelt. Ob du weißt, dass deine Ängste nun ein Ende haben? Mir scheint, als wärest du gefangen in der Vergangenheit und könntest ihr nicht entrinnen. Doch bald wird das alles von dir abfallen, denn die Schatten sind vergangen...

„...sicher bei mir, in meinen Armen...“

Deine Gesichtszüge werden weicher, die Anspannung fällt von dir ab, während deine tränennassen Wangen langsam trocknen und ich dich fester umarme. Meine Arme umschlingen dich und geben dir die Sicherheit und Wärme, die du so schmerzlich vermisst hast. Das Sternenlicht zaubert eine Glanz in deine Augen, den nur Elbereth selbst überstrahlen kann, und ich kann nicht anders, als dich am Fortgehen zu hindern... doch in deinen Träumen wandelst du schon längst auf unsterblichem Boden.

„Was siehst du dort weit in der Ferne?“

Immer öfter schweift dein Blick ab, wenn du mit anderen redest. Sorgenvoll beobachte ich, wie er sich in die Ferne richtet, gen Westen. Was kannst du am Horizont sehen, was ich nicht sehen kann? Deine Unruhe lässt mein Herz fast zerspringen, und ich fühle, dass die Zeit des Abschieds immer näher rückt.

„Hörst du die Möwen schrei’n?“

Ich spüre, wie du den Kopf in den Nacken legst und angespannt lauschst, doch ich kann nichts vernehmen. „Was hörst du, Melethron?“ frage ich dich behutsam, doch deine Antwort erscheint mir wie ein Geheimnis, dessen Ursprung ich wohl niemals zu ergründen vermag.
„Die Möwen rufen, Liebste.“

„Bleich strahlt der Mond, und hell die Sterne...“

Groß und unheilvoll hängt er am Himmel und scheint drohend auf mich hinabzuschauen. Was habe ich getan, Ilúvatar? frage ich lautlos. Seit Tagen habe ich dich nicht gesehen. Es heißt, dass du in den Baumwipfeln des Waldes sitzt und jede Nacht den Mond bei seiner Wanderung beobachtest, während du den Möwen lauschst...

„Das Schiff ist hier, nun trägt es dich heim...“

Dort ziehen sie vorbei, die stolzen Elben aus Lórien. Ihre Lichter flackern geheimnisvoll und gespenstisch in der Dunkelheit, während sie ihr Abschiedslied singen. Ich kann spüren, wie du dich gegen den Klang wehrst und mich fester an dich drückst, aber dein Herz kann nicht lügen, denn ich spüre, wie es im Einklang mit der Melodie schlägt. Doch noch kann ich dich halten, noch bindet dich zuviel an diese Gefilde...

„Zu Silber wird der Dämmerglanz...“

Mein Herz scheint zu zerspringen wie poröses Glas, doch ich lasse nicht zu, dass du mit ihnen in die Dämmerung gehst, lasse nicht zu, dass dein Blick sich nie wieder gen Düsterwald lenken lässt. Ich liebe dich zu sehr, als dass ich dies geschehen lasse.

„Ein Licht auf den Wellen heilt dich ganz.“

Mit kleinen Booten machen sich die Wanderer aus Lórien auf den Weg. Ihre Lichter leuchten noch lange auf dem Wasser und es scheint, als würden ihre Seelen an uns vorüberziehen, doch die deine ist noch nicht bereit. Aber genau wie du weiß ich, dass dies nur ein Aufschub ist, den Ilúvatar mir gewährt, um Abschied zu nehmen...

„Hoffnung geht dahin, der Weg ist weit
führt in den Westen, aus Erinnerung und Zeit...“

Wenn die Nacht den Tag besiegt, sinkt meine Hoffnung, dich noch länger halten zu können, mein Geliebter. Tränen schießen in meine Augen und ich wende mich von dir ab, damit du meine Trauer nicht siehst. Ich möchte dir Hoffnung und das Licht des Frohsinns geben, damit die Wunden in dir heilen. Doch das, was ich dir zu geben versuche, schwindet immer mehr in mir und ich spüre, wie mein Widerstand erlahmt. Ich will nicht, dass du eine Erinnerung wirst, so weit entfernt wie die Valar und so lange her, dass dein Bild in meinem Gedächtnis langsam verblasst.

„Leb wohl... heut' musst du alleine geh'n.“

Meine Seele schmerzt, und mein Körper krümmt sich vor Pein, als ich deine Worte vernehme: „Die ist nun das Ende.“ Es tut so weh, das ich kaum atmen kann, und mir wird langsam schwarz vor Augen. Warum kannst du nicht ewig an meiner Seite bleiben? Ich kann dich nicht gehen lassen, allein bin ich nicht stark genug. Bitte sprich diese Worte nie wieder aus... ich habe solche Angst...

„Am weißen Ufer werden wir uns wiederseh'n.“

Kein Zauber wird mein gebrochenes Herz je wieder heilen können. Nichts bleibt mir, wenn du gehst. Doch du widersprichst mir. „Melian*, dein Licht strahlt heller, als ein Stern es je könnte, und genau so hell sollte die Hoffnung in deinem Herzen scheinen. Mein Herz sagt mir, dass wir uns wiedersehen werden.“ flüsterst du mir zu, als wir zum letzten Mal das Lager teilen und ich mit tränenerstickter Stimme versuche, den Ruf der Küste zu übertönen, damit sie dich mir nicht entreißt.

„Und nah bei mir schläfst du dann in Frieden...“

Ich halte dich wie in jeder Nacht in meinen Armen und versuche mir vorzustellen, wie es sein wird, wenn du nicht mehr bei mir bist. Ich werde einsam zurückbleiben, aber ein Teil meiner Seele wird mit dir in den Westen ziehen. Doch deine Worte haben mir Mut gegeben und machen mich stark. „Wenn wir uns je wiedersehen, so Ilúvatar will, mein Geliebter, dann werde ich dich wieder in meinen Armen halten.“ flüstere ich, während mir die Tränen über die Wangen laufen und auf deine goldenen Haare tropfen.

„Die Möwen schrei’n...“

Der Wind liebkost dein Gesicht zärtlich und du schließt genussvoll die Augen, als eine Windböe dein Haar zurückweht.

„... ihr fernes Rufen zieht dich auf’s Meer hinaus.“

Du breitest deine Arme aus, und auch ich kann nun die lauten Rufe der Möwen hören, die vor der Küste mit dem Wind ihr Spiel treiben. Sie erscheinen mir plötzlich wie Todesboten, und es ist, als würden sie dich anlocken. Mir wird kalt um’s Herz und ich fühle mich, als wärst du schon hinter dem Horizont verschwunden. Tränen rinnen meine Wangen hinab und werden vom Wind getrocknet, bevor sie meine Mundwinkel erreichen können. Du merkst von all dem nichts. Zu unruhig bist du, zu sehr erfüllt von Freude und Zuversicht.

„Bleich strahlt der Mond und hell die Sterne...“

Bleich und voll, eine fahle Scheibe am Himmel, die kalt, blass und gefühllos auf alles hinunterschaut. Ich schlucke schwer, klammere mich ein letztes Mal an dich und versuche dich umzustimmen, doch tief in meinem verwundeten Herz weiß ich, dass es nun zu spät ist. Du wirst dem Ruf deiner Ahnen erliegen und ihnen folgen.

„Das Schiff ist hier, es trägt dich nach Haus...“

Majestätisch gleiten die Elbenschiffe in den Hafen der Grauen Anfurten und liegen schließlich still in der Bucht. Sie warten auf ihre Fahrgäste, die nie wieder diese Welt betreten werden. Langsam löst du dich von mir und schaust mir tief in die Augen, während deine Hände die meinen suchen, um sie tröstend zu umfangen.

„Zu Silber wird der Dämmerschein...“

Ich wage nicht den Blick zu heben, um dir in die Augen zu schauen. Zu groß ist meine Angst, dass du meine Schwäche erkennst, denn in deinen Augen möchte ich stark bleiben bis zum Ende. So schließe ich schnell meine Augen und presse meine Lippen auf die deinen, um dich ein letztes Mal zu spüren, zu schmecken, zu riechen.

Namarië *, mein Prinz.“ flüstere ich erstickt, während ich mein Gesicht an deine Brust drücke und meine heißen Tränen in dein Gewand sickern. „Nein, sag nicht Lebwohl, Melian, denn wir werden uns wiedersehen.“ höre ich deine traurige Stimme und als ich aufblicke, sehe ich auch in deinen Augen Tränen schimmern, die die Freude über den Aufbruch überschatten.

„Habe keine Angst um mich. Ich werde es auch alleine schaffen.“ bringe ich hervor, bevor ich dich weinend an mich drücke und du mich mit einem letzten Kuss verlässt, um das schwankende Deck zu betreten, das dich in die ewige Heimat bringen wird.

Hoch auf den Klippen umwirbelt mich der Wind, während ich zusehe, wie die Schiffe langsam in See stechen. Mir ist, als ob auf einem der Boote ein Licht nur für mich scheint. „Namarië, Legolas, Prinz des Grünwaldes...“ trägt der Wind meine Stimme weit hinaus auf das Meer, den grauen Schiffen hinterher, die der Horizont verschluckt.

„Ein Licht auf den Wellen leuchtet hell, und du bist daheim.“

ENDE

*„Melethron“ – Geliebter

*„Melian“ – Geschenk der Liebe

*„ Namarië“ - Lebwohl


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