Jenseits der Anfurten (Beyond the havens)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


3. Kapitel
Frodos Geschenk

Die beiden Hobbits schliefen lange am folgenden Morgen. Sams Träume bewahrten das Echo von kristallklarer Musik und von Sternen, die tiefer zu hängen und heller zu flammen schienen, als sie es jemals zu Hause getan hatten. Endlich erwachte er in strahlendem Sonnenschein, der durch das runde Fenster eingerahmt wurde; ein Geruch nach Schinken und Eiern kam aus dem Nebenzimmer und ließ ihm gierig das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Er lag einen Moment in luxuriöser Bequemlichkeit still und ließ den Blick durch das kleine Schlafzimmer wandern. Für die Ausmaße des Raumes war das Bett ziemlich groß; fedrige Matratzen und riesige, wolkenweiche Decken aus Gänsedaunen türmten sich darin. Das Kopf- und Fußende war mit verwickelten Schnitzereien bedeckt; allerdings offenbar keine Elbenarbeit, denn die Art der Schnitzereien erinnerte ihn stark an die Möbel, die er in Beutelsend zurückgelassen hatte. Ein Hobbit hatte diese Arbeiten angefertigt, und als er das Kopfende näher betrachtete, fand er Szenen aus dem Auenland, nebeneinander gesetzt in blätterartig geschnitzten Bilderrahmen.

Hier war die Vordertür von Beutelsend, und die ziemlich grob ausgeführte Gestalt eines Hobbits saß daneben auf einer Bank und schmauchte eine Pfeife. Da war das Gasthaus von Wasserau, die Tür einladend geöffnet und mit einer Rauchwolke, die aus dem Schornstein aufstieg. Noch ein Blick auf Beutelsend, diesmal der Garten, und Sam grinste, als er seinen alten Ohm wiedererkannte, der sich auf eine Schaufel stützte und genau den jähzornigen Gesichtsausdruck hatte, an den er sich so gut erinnerte. Als nächstes kam eine Innenansicht von Beutelsend; Bilbo saß in seinem Lieblingssessel und neben ihm, auf einem niedrigen Schemel, ein Hobbitkind mit einem Buch in den Händen.

„Was denn, das bin ja ich!“ murmelte Sam voller Staunen. „Das bin ich, und Herr Bilbo bringt mir meine Buchstaben bei. Aber wer in aller Welt hat all diese Bilder geschnitzt?“ Fasziniert von seinen Entdeckungen, krabbelte er auf die andere Seite des Bettes, um das Fußende zu untersuchen. Die Szenen aus dem Auenland wurden dort fortgesetzt; die alte Mühle neben der Wässer, der Beutelhaldenweg, wie er ausgesehen hatte, als Sam ein Kind war, Brandyschloss mit seinen hundert Fenstern und, ganz auf der rechten Seite, ein junger Hobbit mit mutwilligem Gesichtsausdruck in einem Feld voller Pilze, eine halb gefüllte Tasche in der Hand.

„Also, wen das darstellen soll, das ist ja wohl klar!“ Sam lachte in sich hinein, als eine energische Klopfsalve an der Schlafzimmertür erklang und eine fröhliche Stimme rief: „Also gut jetzt da drin, ich weiß, dass du wach bist! Komm raus zum Frühstück, Sam, oder willst du im Bett frühstücken?“

„Wag es bloß nicht, Herr Frodo! Gib mir nur einen Moment!“ Er warf sich in seine Kleider und hastete in den Nebenraum, wo ein Frühstück für zwei auf einem Tisch gedeckt war, der im Sonnenlicht badete. Frodo saß auf einem der beiden Plätze und lächelte zu ihm hoch, und Sam spürte, wie bei seinem Anblick die Freude in ihm hochsprudelte. Es schien immer noch nicht wirklich zu sein, dass er hier war, und dass die langen Jahre der Trennung vorüber waren. Er dachte, dass es wohl noch eine Weile dauern würde, bis er sich an diese Freude gewöhnt hatte.

„Was hast du da drin gemacht, alter Junge?“ erkundigte sich Frodo munter, während er den Tee eingoss. „Ich habe dich eine ganze Weile herumgrummeln und mit dir selbst murmeln hören. Ich dachte, der Duft nach Frühstück würde dich auf der Stelle herauslocken, und endlich musste ich klopfen, oder es wäre alles kalt geworden.“

„Hab mich bloß eingerichtet, Herr Frodo.“ antwortete Sam, den Mund voller Schinken. „Die Umgebung sondiert, könnte man sagen. Und das Bett. Wer hat das Kopfende da drin geschnitzt? Es sieht aus wie Hobbitarbeit, aber ich dachte, du und Herr Bilbo wart die einzigen Hobbits hier.“

Frodo beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, den Mund von einem Grinseln gekräuselt. „Was, wenn ich dir sage, dass ich es selbst geschnitzt habe? Und das Fußende auch, wenn es dir nichts ausmacht.“

Sam hörte vor Überraschung auf zu kauen. „Du? Nun, Herr Frodo, ich hab dich noch nie auch nur an einem Stock herumschnitzen sehen, also verlang nicht von mir zu glauben, dass du all diese Bilder gemacht hast! Das ist feine Schnitzerei, aber wirklich, du kannst jeden Gesichtsausdruck ganz deutlich erkennen, und jede Szene ist so klar wie am helllichten Tag. Wie hättest du lernen sollen, so zu schnitzen?“

Frodo lachte laut heraus. „Also, Sam, ich fürchte, ich werde dich schon bitten müssen, mir zu glauben, denn dieses Bett ist ganz und gar mein Werk. Es gibt wundervolle Holzschnitzer unter den Elben, und sie haben es mir beigebracht. Es hat lange gedauert, natürlich. Aber selbst hier scheint die Sonne nicht immerzu, und das Schnitzen war ein guter Weg, nasse Tage vor dem Feuer herumzubringen. Und dann, gegen Ende, konnte Bilbo nicht mehr oft ausgehen, und ich wollte ihn nicht alleinlassen. Er mochte es, zuzuschauen, wie diese Bilder vom Auenland Form annahmen.“

Sam nickte gedankenvoll. „Das kann ich mir vorstellen, so, wie ich ihn kenne. Also, du bist ein Wunder, Herr Frodo. Ich habe mich oft gefragt, was du mit dir selbst angefangen hast in Tol Eressëa, aber ich muss sagen, an Holzschnitzerei hätte ich nie gedacht!“

Frodo schob seinen Teller zurück und goß sich noch einen Becher Tee ein. „Na ja, weißt du, Sam, die Elben sind immerzu damit beschäftigt, schöne Dinge zu machen. In Bruchtal haben wir das nicht so sehr gesehen, wir waren nicht lang genug dort, und dann hatten wir genug mit der Aufgabe zu tun, hin- und wieder zurück zu kommen. Aber hier hatte ich die Zeit, zu bemerken, was sie tun, und die Dinge, die sie machen, sind wundervoll. Und sie waren so geduldig, während sie mich unterrichtet haben...“

Seine Stimme erstarb. Ein bisschen später fragte er fast schüchtern: „Mochtest du das eine von dir und Rose?“

Sam schaute verdattert. „Von mir und Rose? Bitte um Verzeihung, Herr Frodo, aber das muss ich übersehen haben. Aber ich würd’s wirklich gern sehen! Wart einen Moment, ich gehe noch mal nachschauen.“ Er stand schnell auf und lief zurück ins Schlafzimmer, aber obwohl er jede Schnitzerei ganz genau betrachtete, fand er keine von Rose.

„Sieh auf die andere Seite des Fußendes.“ sagte Frodo von der Türschwelle aus.

Sam ging um das Ende des Bettes herum. Es reichte bis hinunter zum Fußboden und auf dieser Seite waren mehr Bilder. Genau in der Mitte befand sich ein erhabener Kranz aus miteinander verschlungenen Rosen, und innerhalb des Kranzes war ein Hochzeitsportrait von Sam und Rose. Frodos Schnitzerei hatte ihren Ausdruck an diesem lang vergangenen Tag genau eingefangen. Sam sah schüchtern, stolz und glücklich aus, alles zur gleichen Zeit, und Rose glühte vor Jugend und Liebe.

„Mein Wort, Herr Frodo!“ Sam tastete hinter sich nach einem Stuhl und ließ sich schwerfällig darauf nieder, ohne die Augen von dem Bild abzuwenden. „Du hast sie lebendig werden lassen, das hast du. Ganz so hat sie ausgesehen an dem Tag, an dem wir geheiratet haben, und so sehr hat sie sich gar nicht verändert, Herr Frodo, auch mit den Jahren nicht. Sie bekam Lachfalten, weißt du, und ihr Haar wurde grau, aber ihr Lächeln blieb, wie es war, und ihre Augen auch.“ Seine eigenen Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, und Frodo trat hinter ihn und legte seine Hände auf Sams Schultern.

„Ich freue mich, dass es dir gefällt. Das habe ich gehofft.“

Sam tastete nach Frodos Hand und ergriff sie. „Du hättest mir kein besseres Geschenk geben können, Herr Frodo, und nichts, was ich mehr hätte schätzen können. Als wir mit dem Ring losgezogen sind, vor allen den Jahren, da musste ich Rosie verlassen, aber ich hatte dich. Und dann, als du zu den Anfurten gegangen bist, da dachte ich, es würde mir das Herz brechen, aber ich hatte Rosie. Bloß diese letzten Monate... sie ist am Mittjahrstag gestorben, Herr Frodo. Und dann hatte ich keinen mehr von euch. Ich wusste nicht, was ich mir mir anfangen sollte, und das ist die Wahrheit.“

Sam wischte sich die Augen mit dem Ärmel, stand auf und ging wieder zum Bett hinüber. „Also, was sind das noch für andere Bilder? Ich habe überhaupt noch nicht auf diese Seite geschaut, sonst hätte ich das von Rosie nicht verpasst.“ Er fing in der linken oberen Ecke an und sah sich selbst, mit beiden Händen ein Schwert umklammernd, und eine monströse Spinne, die über seinem Kopf hockte. „Uach! Also Herr Frodo, das hättest du nicht schnitzen müssen! Ich hätte dieses Monster lieber schnell vergessen!“

Frodo lachte und kam an seine Seite. „Nun, Sam, das ist eines, das ich gemacht habe, damit ich mich erinnere. Wenn es dich nicht gegeben hätte, wäre ich als Abendessen für dieses Ungeheuer geendet, und das wollte ich nicht vergessen. Oder die anderen Gelegenheiten, bei denen du mir das Leben gerettet hast. Sieh, da ist der Raum an der Spitze des Orkturmes – ich werde nie vergessen, wie ich aufwachte und dich dort fand, wo ich einen Ork mitsamt Peitsche erwartet hatte!“

Sam schüttelte den Kopf, aber er blickte schweigend von einem Bild zum anderen. Da war wirklich das Turmzimmer, und er selbst, wie er einen von Schlägen gezeichneten Frodo in seinen Armen hielt. In der oberen Ecke rechts war er fast bis zum Boden gebeugt dargestellt, wie er seinen Herrn den Hang des Schicksalsberges hinaufschleppte. Die letzte Schnitzerei zeigte ihn in den Sammath Naur, wie er Frodos Hand hielt, deutlich bemüht, ihn fortzuziehen, während der Berg über ihnen ausbrach und Felsbrocken vom Himmel stürzten.

„Diese Seite des Fußendes habe ich zuletzt gemacht, nachdem ich richtig gelernt hatte, wie man schnitzt. Denn dies war für dich, Sam; dies waren die Bilder, die ich wirklich machen wollte. Um Danke zu sagen. Um dich wissen zu lassen, dass ich dich nie vergessen habe, selbst als ich nicht im Auenland bleiben konnte. Und dein Hochzeitsportrait entstand, weil ich so froh darüber war, dass du Rose hattest, damit sie dich glücklich macht.“

Er wandte sich Samweis zu und sah ihn an, durch Tränen lächelnd. „Ich weiß, ich habe das schon früher gesagt, aber... ich bin froh, dass du hier bist.“


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