Ein Geruch nach Minze (A Smell of Mint)
von Regina, übersetzt von Cúthalion

„Pass auf, Marigold, du lässt das Bein schleifen und das Gewicht ist zuviel für mich!“

„Entschuldige, Jolly.“ sagt Marigold Gamdschie; ihre Stimme wird von dem Taschentuch gedämpft, das sie sich um Gesicht und Mund gebunden hat. Selbst von dort, wo ich auf meinem Pony sitze, kann ich das Pfefferminzöl riechen, mit dem der Stoff getränkt ist, um den Leichengestank zu überdecken, den von Menschen und von Hobbits. Ich habe immer noch mit der Tatsache zu kämpfen, dass wir heute so viele Menschen umgebracht haben. Ich habe jetzt sicherlich keine Furcht mehr davor; immerhin war ich waghalsig genug, den Hexenkönig anzugreifen, und meine Sporen sind mehrfach verdient. Aber ich habe nicht wirklich erwartet, dass die anderen mir so eifrig in den Kampf folgen würden. Betrübt denke ich darüber nach, wie sehr das Auenland unter den Stiefelabsätzen der Grobiane gelitten haben muss, dass Hobbits bereit dazu sind, ohne Zaudern zu töten.

Nun sammeln wir die Leichen der Menschen ein – so um die siebzig – und wir legen sie auf Wagen und karren sie hinüber zu der großen Kiesgrube in der Nähe. Sie ist so gut wie jeder andere Platz, und nachdem Frodo, Sam und Pippin mir das Großreinemachen überlassen haben, muss ich entscheiden, wo wir sie begraben. Ich schaue den Jungs und Mädels zu, die - unterstützt von ein paar robusteren Gevattern – die großen und schweren Leichen hochheben, und ich grüble über die Zerstörung, die diese Schurken in unserem Land angerichtet haben. Wie lange es wohl dauern wird, alles wieder in Ordnung zu bringen, frage ich mich? Ich schaue hinüber zu der weit entfernten Ecke des Feldes, wo unsere gefallenen Leute mit weit mehr Bedachtsamkeit niedergelegt worden sind, ihre Körper mit Decken verhüllt, während wir auf die Ankunft ihrer Familien warten. Wenigstens können wir ihnen ein anständiges Begräbnis geben.

Das Klipp-Klopp der Hufe eines anderen Ponys nähert sich. Ich wende den Kopf und entdecke meine Base Pimpernelle neben mir. Sie hat Onkel Paladin heute morgen geholfen, die Schurken im Süden von Buckelstadt anzugehen, und dann hat sie Wagen voller Medikamente hierher begleitet, die ihre Schwester Pervinca für uns vorbereitet hat. Pippin hatte sich in der Zwischenzeit dazu entschieden, zu den Großen Smials zurückzureiten, um den Waffenbestand aufzustocken, falls noch andere Menschen auftauen, die man bekämpfen muss, und er hat seine beiden Schwestern bei mir gelassen, um die Dinge zu regeln. Pimpernelle hat ebenfalls ein nach Minze duftendes Tuch um ihre untere Gesichtshälfte gebunden, weil Minze Infektionen verhindert, genau wie sie ekelhafte Gerüche übertönt. Ich bin überrascht zu sehen, wie gut ihr Hosen stehen.

„Du siehst aus, als wärst du tief in Gedanken, Merry. Sicher bist du glücklich, jetzt, wo alles vorbei ist?“

„Ja, Pimmie, ich bin glücklich darüber, aber ich hatte nicht erwartet, soviel Tod verbreiten zu müssen, wenn ich heimkomme.“

Sie überblickt die Szene und ihr Gesicht wird hart. „Sie haben bekommen, was sie verdienen, und noch ein bisschen mehr, wenn ich das sagen darf. Ich danke allen Mächten in Mittelerde, dass ihr vier gerade in dem Moment heimgekehrt seid, in dem ihr es getan habt... ich weiß nicht, was möglicherweise hätte passieren können, wenn ihr nicht zurückgekommen wärt.“

„Wenn man bedenkt, wie Onkel Paladin und der Rest von euch die Grobiane aus dem Tukland herausgehalten habt, dann glaube ich, ihr hättet es letztendlich vielleicht auch ohne uns geschafft.“

„Wohl kaum, nachdem die anderen Teile des Auenlandes viel zu schnell aufgegeben haben.“ Ihr grünen Augen verengen sich vor Zorn und ihre Stimme bekommt einen ätzenden Klang. „Und vergib mir, dass ich das sage, aber das Verhalten deines Onkels Merimac war abscheulich... den Einfluss deiner Eltern zu untergraben und die Familie davon zu überzeugen, nicht so Widerstand zu leisten, wie Onkel Sarry und Tante Esmie es wollten. So wie ich das sehe, ist er wenig besser als der liebe, von uns geschiedene Lotho.“

Die Wut flackert in mir auf, als ich mir ins Gedächtnis rufe, was Mutter mir erzählt hat, als ich nach Hause kam; wie Merimac sein Bestes tat, Bockland zu übernehmen, indem er behauptete, ich sei tot, und wie er die anderen Brandybocks beschwatzte, Mutter und Vater davon abzuhalten, offen zurückzuschlagen. Aber mein Zorn verfliegt schnell, und ich schüttele den Kopf, als ich antworte. „Kein Grund, alte Wunden wieder aufzureißen, Pimmie, mein Mädchen. Wir haben gesiegt, weißt du noch?“ Ich lächle schief. „Nebenbei, Mutter nimmt ziemlich geschickt Rache. Sie hat mir versichert, dass Dick und seine Bande die bestversorgten Rebellen weit und breit waren, dank der Speisekammern von Brandyschloss. Merimac wird über den Mangel an Wein in diesem Winter sehr enttäuscht sein...“

Pimmie kräht vor Entzücken. „Gut für Tante Esmie!“ Ihr Gesicht bewölkt sich wieder. „Denkst du, Dick ist in Ordnung? Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht, als er gefangen genommen wurde...“

„Ich weiß es nicht.“ sage ich ehrlich. „Aber Frodo reitet morgen zu den Riegellöchern, und dann werden wir es wissen.“ Ich halte inne, und die Brust wird mir eng. „Ich bin froh, dass Estella entkommen ist und dass sie es zurück zum Brandyschloss geschafft hat.“

Ein Karren rumpelt vorbei, auf dem sich menschliche Leichen türmen. Ich atme scharf ein, als ich sehe, wer ganz oben auf dem Haufen liegt, die Glieder gespreizt. „Ihr da, wartet eine Minute!“ rufe ich dem jungen Tom Kattun und seinem Bruder Nick zu. Ich steige ab und gehe zu dem Karren hinüber. „Ich will mir diesen Mann genauer ansehen.“

„Sicher, Merry, was immer du willst.“ sagt Tom ruhig. Er und Nick bleiben stehen und senken ein Karrenende auf den Boden. „Brauchst du ein Weilchen?“

„Nicht lange, aber gib mir einen Moment.“

Sie lassen mich allein, während ich auf das teigige, weiße Gesicht herunterstarre, von Elend und Hass gezeichnet, das schmutzige Gewand mit Schlamm und Blut befleckt, das fettige, schwarze Haar um den Kopf ausgebreitet. Gríma Schlangenzunge. Pimmie kommt an meine Seite, zieht ein Tuch aus ihrem Ärmel und reicht es mir herüber. Ich lege es über meine Nase und meine Nüstern füllen sich mit dem scharf-süßen Geruch von Poleiminze; mir dreht sich der Magen um. Pimmie betrachtet ihn mit unverhohlener Neugier.

„Du kennst diesen Mann, Merry?“

„Nicht gut, aber ja, ich weiß über ihn Bescheid.“ murmele ich, und meine Hände ballen sich zu Fäusten.

„Wer ist das?“ fragt sie verwirrt.

„Ein Feind und Verräter seines Volkes, und ein übler Lakai des Zauberers Saruman.“ Ich speie die Worte aus, denn sie versengen mir den Mund, während ich sie ausspreche. Pimmie beugt sich zu ihm herunter und berührt einen der abgebrochenen Pfeile, die aus der Leiche ragen.

„Ist zufällig einer davon von dir?“

„Ich bin nicht sicher, aber ich hoffe es.“ sage ich ihr. Ich schwanke ein wenig, als Éowyns Stimme sich in meine Erinnerungen drängt; ihr Gesicht war verzerrt in Leid und Schmerz. „Ich warne dich, dies wird keine angenehme oder erbauliche Geschichte, und das tut mir leid; aber es ist meine eigene.“ Mir hatte das wenige nicht gefallen, was ich in Isengart von Schlangenzunges Gesicht sah, als er zum Turm ritt und später, als er den Palantír nach Gandalf warf. Aber ich hatte gelernt, ihn zu hassen, als Éowyn mir erzählte, was er ihr angetan hatte. „Nein, Merry, Gríma war dreist, aber nicht so dreist... er bekam nicht, wonach er gierte.“ Erneut frage ich mich, ob Éowyn mir die ganze Wahrheit gesagt hat. Wir haben keine Geheimnisse, sie und ich, aber in jener Frühlingsnacht spürte ich, dass mein Zorn sie aus der Fassung brachte und ihr unerwarteterweise Angst einjagte. Verbirgt sie vielleicht vor mir, dass der Diener ihres Onkels sich ihr körperlich aufgezwungen hat? Dann kommt mir ihr Geschick mit dem Schwert in den Sinn und ich vergesse den Verdacht. Falls Schlangenzunge irgend etwas versucht hätte, sie würde ihn aufgespießt haben wie ein Stück Fleisch.

Aber selbst wenn Gríma sie nicht auf diese Weise angegriffen hat... ich weiß, er hat ihre Seele vergewaltigt, so dass sie kalt wurde und sich zurückzog und sich fürchtete vor allen Männern. Mir kocht das Blut, wenn ich daran denke, dass jemand das einer Frau antun kann, die er angeblich liebt und bewundert. Was für eine Lüge das war... dass Schlangenzunge seine hässliche Verschwörung, Éowyns Hand zu gewinnen, für eine echte Werbung hielt! Eine wilde Freude erfüllt mich bei dem Gedanken, dass ich endlich Rache genommen habe an dem schleimigen Schurken, der meiner geliebte Schwertschwester wehgetan hat. Und ich finde auch neue Freude in dem Wissen, dass ich geholfen habe, ihr Herz zu heilen, indem ich die Liebe und das Verlangen hegte, die darin schliefen, bis beides voll erblüht war. Manche haben mir ein Loblied gesungen für meine Taten auf dem Schlachtfeld, aber so groß mein Stolz darauf auch ist, ich bin noch viel stolzer drauf, dass ich Éowyn und Faramir zusammengebracht habe. „Und das haben wir nicht diesem Gewürm zu verdanken.“ sage ich laut, ohne nachzudenken.

„Was sagst du da, Merry?“ fragt Pimmie erschrocken.

„Nichts...“ antworte ich; ich bin erschöpft und müde. Nick kommt näher und schaut auf Schlangenzunges Leiche, die Augen vor Grauen geweitet.

„Tom sagt, das wäre der Mann, der Lotho umgebracht und ihn aufgegessen hat. Ist das wahr, Merry?“ Pimmie zuckt zurück und gibt ein entsetztes Geräusch von sich.

Ich rufe mir Sarumans höhnische Anklage ins Gedächtnis, und ich frage mich, ob Gríma, so tief er auch gesunken war, wirklich zum Kannibalen wurde. Macht es etwas aus? frage ich mich. Immerhin weiß ich von den Verbrechen, die er ganz sicher begangen hat. Ich schüttele langsam den Kopf.

„Ich bin nicht sicher, was passiert ist, Nick, aber ich würde Sarumans lügnerischer Zunge nicht trauen. Aber ich kann dir versichern, dass er ein Verbrecher der schwärzesten Sorte war, der den Tod viele Male verdient hat. Er hat meiner liebsten Freundin Unrecht angetan, meiner Schwertschwester, und wenn ich eine Möglichkeit gesehen hätte, ich hätte ihm ohne jedes Schuldbewusstsein die Kehle durchgeschnitten.“ Meine Hand wandert zu meinem Messer, während ich rede. Pimmie legt alarmiert ihre Hand über die meine.

„Du wirst das jetzt aber nicht tun, oder? Er ist doch schon tot. Es gibt keinen Grund, ebenso tief zu sinken.“ Sie betrachtete ihn voller Abscheu.

Für einen kurzen Moment stelle ich mir vor, wie ich auf dieses widerwärtige Gesicht einschlage und es genauso hässlich mache wie seine Seele, und wie ich ein Ohr oder einen Finger abschneide, um ihn Èowyn wie einen Preis zu schicken. Aber Pimmie hat Recht; ich bin noch immer ein zivilisierter Hobbit, und ein solches Verhalten würde mich mit der selben Bosheit erfüllen, die Gríma vergiftet hat. Ich stecke das Taschentuch in meinen Ärmel und ziehe das Messer.

„Nein, Pimmie, aber ich will einen Beweis für seinen Tod, den ich Éowyn schicken kann.“

Mit einer schnellen Bewegung schneide ich eine der schwarzen Locken ab und stecke das Haar in meine Gürteltasche.

„So, das war’s.“

Noch einmal starre ich auf Gríma hinunter, brenne mir den Anblick ins Gedächtnis, um nie zu vergessen, was er getan hat, und für eine flüchtige Sekunde spüre ich den Geschmack der Rache. Ich nehme einen reinigenden Atemzug, als ich das Tuch wieder über meine Nase ziehe, denn der Gestank wird im tauigen Zwielicht immer stärker.

„Jetzt bringt ihn weg! Werft seinen Kadaver an die tiefste Stelle der Grube, wo er hingehört!“ Ich schlucke die Galle hinunter, die mir den Mund füllt; der Zorn brennt noch immer in mir.

Nick bezeugt wortlos seine Zustimmung, als Tom sich uns wieder anschließt. Sie packen die Griffe des Karrens und fangen an, ihn zur Kiesgrube zu schieben. Pimmie legt den Kopf schief und schaut mich an.

„Du hasst diesen Mann wirklich, selbst noch im Tod. Ich hätte nie gedacht, je so viel Abscheu in dir zu entdecken, Merry.“ Sie hält inne. „Möchtest du mir von deiner Freundin erzählen? Sie muss dir sehr teuer sein, um so etwas herauszufordern.“

„Das werde ich, aber nicht jetzt – später.“

„Sehr schön.“ Sie gestikuliert zu den Kattuns hinüber. „Soll ich mich darum kümmern, dass alles richtig gemacht wird?“

„Bitte... das ist sehr lieb, Pimmie. Ich danke dir.“

„Gern geschehen. Ich glaube, für heute hast du genug getan.“

Sie setzt sich in Bewegung und reitet hinter dem Karren her, langsam und bedächtig. Wieder hole ich Atem. Ich weiß dass ich mich an diesen Tag und an diesen Moment erinnern werde, egal wie viele Jahre noch vor mir liegen... beim feinsten Hauch, beim leichtesten Geruch nach Minze.


ENDE


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