Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Fünfundzwanzig Canohandos Sanftheit hatte Malawen angezogen, trotz ihres Hasses auf seine Art. Sie hatte das Gefühl, als ruhten ihre finsteren Gedanken in seinen gewölbten Händen, und er ließ sich nicht davon schrecken. Seit ihrer Gefangennahme durch die Orks sah sie sich als beschämt und geschändet. Sie war gerettet worden, das war richtig, und man hatte sich um ihre Wunden gekümmert, aber die anderen Elben hatten Widerwillen dagegen empfunden, ihrem Blick zu begegnen. Sie hatten sie bemitleidet und die Augen abgewandt, und endlich war sie sich beinahe körperlos vorgekommen, ein Geist, der unter der Sonne wandelte. Doch wenn Canohandos schwarze Augen auf ihr ruhten, war sie wieder sichtbar und wirklich. Sie sah ihn kaum noch als Ork; er war ihr Freund, der mit ihr bei Undómiels Tod geweint und sie jetzt gerettet hatte. Sie schauderte. Sie hätten mich gequält und erschlagen. Und ich passe nicht besser in Mandos Hallen als nach Tol Eressea. Canohando schaute nach hinten und sie begegnete seinem Blick, vertraut und tröstend. Unwillkürlich lächelte sie, und in seinen Augen blitzte eine wärmende Antwort auf. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als sei diese heimliche Wanderung durch die Wälder ein Spiel aus ihrer Kinderzeit, und als wäre der Ork ihr Spielgefährte. Beinahe hätte sie gelacht, und sie presste die Lippen fest zusammen, um ihr Vergnügen zurück zu halten, während sie hinter ihm von Schatten zu Schatten glitt. Sie erreichten das Band aus Bäumen, das sich am Fluss entlang zog, und wandten sich nach Norden. Es war ein schmaler Streifen Wald; zur Rechten konnten sie das Glänzen des Wassers und gleichzeitig zur Linken die wogende Ebene sehen. Es schien eine leere Landschaft zu sein, und trotzdem setzten sie ihren Weg vorsichtig und unter Deckung fort; der dritte Tag zeigte, wie weise das war. Am Horizont zeigte sich eine Staubwolke, kam näher und entpuppte sich als eine Herde von hundert wilden Pferden, zusammengehalten von strammen Reitern mit langen, blonden Zöpfen. „Männer von Rohan?“ fragte Canohando flüsternd. „Was tun die denn hier? Ihr Land liegt viel weiter im Süden als deines, Elbchen.“ Malawen nagte an ihrer Lippe. „Sie sind weit weg von daheim,“ murmelte sie. „Vielleicht sind sie auf der Suche nach frischem Blut für ihre Pferdezucht, nun, da der Schatten dahin ist. Bleib unten, Canohando; die haben keine Liebe für die Elben.“ Er schnaubte leise. „Für Orks auch nicht, Kleine. Wir werden sie nicht zum Abendessen einladen.“ Sie kicherte und erstickte das Geräusch an ihrem Unterarm, während sie flach auf dem Boden lag. Die Pferdehirten verschwanden außer Sicht. „Wir suchen uns jetzt besser ein Versteck, bis wir wissen, dass sie weit weg sind,“ sagte Canohando. Er kletterte auf einen Baum und band ihre beiden Hängematten an die Zweige; er hatte für Malawen aus einer übrigen Seilrolle aus seinem Bündel eine eigene geknüpft. „Komm, Elbchen, wir wollen essen, obwohl es noch nicht dunkel ist, und du sollst mir eine von deinen Geschichten erzählen. Eines Tages, wenn es gleich ist, wie weit der Schall trägt. werde ich für dich meine Trommel spielen.“ Die Sonne ging unter und sie schaukelten müßig in der Baumkrone; die fing an, Blätter zu treiben, und sie waren gut verborgen. „Ich werde dir das Lied von Ringträger singen,“ sagte sie. „Hast du es jemals gehört?“ „Nein, aber ich habe genug darüber erfahren, wovon es handelt, um zu wissen, dass es von der Wahrheit weit entfernt ist. Sind all deine Geschichten von der selben Art, Elbchen halb wahr und halb gelogen?“ „Woher willst du das wissen?“ konterte sie. „Ich erzähle sie dir so, wie ich sie gehört habe, aber ich war nicht dabei, als Nargothrond geplündert wurde!“ Er gluckste. „Nein? Aber du beschreibst es so gut, und du hast mir erzählt, du bist kein Kind mehr, auch wenn du so klein bist.“ Sie mimte Strenge. „Sei still, Ork, und hör zu, oder geh schlafen, wenn du es nicht hören willst.“ Sie genoss die Neckerei; so hatte sie es vor langer Zeit mit ihrem Vater gehalten, ehe der Krieg kam. Canohando brach einen belaubten Zweig ab und warf ihn in ihre Hängematte. „Dann mach weiter,“ sagte er; er lag still, lauschte auf ihre leise Stimme und versuchte die verschleiernde Schicht der Legende von der Erzählung zu lösen, um die Goldklümpchen schlichter Wahrheit zu finden. Hätte ich ihn von Anfang an gekannt, ich hätte ihn als Weichling abgetan, dachte er. Aber lange, ehe Malawens Stimme verklang, fühlte sich Canohando bis ins Mark getroffen, während er endlich begriff, was Frodo auf sich genommen hatte. Er kannte das Ende der Geschichte; den Anfang hatte er nicht gekannt. „Nun? Ist irgendetwas daran wahr?“ fragte Malawen. Die Nacht war herab gesunken und schwaches Mondlicht sickerte durch den Blätterbaldachin rings um sie her. Sie spähte zu dem Ork hinüber. Canohando rührte sich. Er setzte sich auf und wartete, bis die Hängematte zu schwanken aufhörte, bevor er sprach. „Ja, es ist wahr... alles davon, oder fast alles. Es ist wahr, dass er ein edles Herz besaß, und ich werde niemals wissen, wieso er mit einer Grauhaut Freundschaft schloss, blutdürstig und verworfen...“ „Du bist nicht verworfen,“ sagte Malawen, heftig darauf bedacht, ihn zu verteidigen. Canohando hatte sich auf den Ast neben ihr hinauf geschwungen, und er starrte auf sie hinunter, sein Gesicht schwarz in den Schatten. „Ich habe ihn gelehrt, wie man schießt,“ sagte er. „Ich hatte Angst, er würde verhungern, wenn der alte Mann ihn jemals verließ, also habe ich ihm das Jagen beigebracht. Am Ende war er ein guter Schütze, aber er hasste das Töten, sogar zur Nahrung. Während ich ich töte so leicht wie ich atme schlimmer noch, ich habe Freude daran. Ich bin dazu geboren.“ „Du tötest, um dich selbst zu schützen, oder jemand anderen,“ sagte Malawen hartnäckig. „Du hast diesen Ork erschossen, um mich zu retten - “ „Ja. Und ich jage, um zu überleben, wenn ich keine Wegzehrung mehr habe. Aber das Beben von lebendigem Fleisch unter meinem Messer, der kleine Stoß, mit dem man die Klinge versenkt...“ Er stöhnte auf. „Jetzt versuche ich, vorsichtig zu sein und nicht aus Lust daran ein Leben zu nehmen, nur zur Nahrung oder zum Schutz. Aber das Abschlachten nährt etwas in mir; manchmal hungere ich mehr danach als nach Essen. Ich bin kein Gefährte für dich, Elbchen.“ Er ragte über ihr auf und schloss das Mondlicht aus. „Ich bin ein Ork, ich kann dem nicht entrinnen; ich werde niemals entkommen. Und wenn du sagst, du bist von Orks gezeichnet du weißt nicht, was das heißt. Du trägst eine Narbe, du bist wütend über das, was du erlitten hast; daraus kann man dir keinen Vorwurf machen! Doch du bist rein leuchtend und schön und nach Valinor gerufen, während ich - “ Er wandte sich ab und fing an, den Baum hinunter zu klettern, unbeholfen in seiner Hast; er stieß sich den Kopf an einem Ast. Er fluchte oder wenigstens nahm sie das an jedes Wort in der groben Orksprache klang wie eine Verwünschung. Sie starrte hinter ihm her und flüsterte: „Aber du irrst dich, Canohando... ich weiß, was es bedeutet.“ Dann warf sie sich aus der Hängematte und rutschte den Baum hinab. Sie erreichte den Boden und hetzte hinter ihm her. „Verlass mich nicht! Verlass mich nicht, Canohando!“ Er setzte seinen Weg fort, als hätte er sie nicht gehört, weitere zehn oder zwölf Schritte... und dann durchbrach ein leises Geheul die Stille, und er erstarrte. Ein weiteres Heulen, direkt voraus, und Canohando wirbelte herum. Er rannte zurück, erwischte Malawen mit beiden Armen und schleuderte sie hinauf in den nächsten Baum. „Klettern!“ sagte er scharf und war verschwunden. Sie kletterte, zitternd vor Angst. Als die Orks in Lothlórien eindrangen, hatte sie Wölfe gehört; das war das einzige Mal, aber sie hatte den Klang nicht vergessen. Sie stieg immer höher, bis die Zweige sich in ihren Händen zu dünn und biegsam anfühlten, um sicher zu sein; dann zog sie sich ein Stück weit zurück, setzte sich breitbeinig auf einen dicken Ast und hielt sich so krampfhaft an dem Baumstamm fest, dass die Rinde schmerzhaft an ihren bloßen Armen entlang schrammte. Das geisterhafte Heulen schien den dunklen Abgrund unter ihr auszufüllen. Sie wagte es nicht, hinab zu schauen. Ein Gejaule kam vom Boden, voll Schmerz und Wut, und dann eine Kakophonie aus Heulen und Winseln; Malawen klammerte sich an ihrem Baum und schluchzte vor Entsetzen. Endlich entfernten sich die Geräusche, bis endlich alles still war, und sie schluckte würgend die Tränen hinunter, um zu lauschen. Nichts. Nicht die Stimme einer Eule. Nicht das leiseste Aufseufzen irgend einer Kreatur. Und dann kam leise Canohandos Stimme: „Elbchen? Komm jetzt herunter; sie sind weg.“ Einen Moment später war er genau unterhalb von ihr und streckte ihr die Hand entgegen; sie löste sich von dem Baumstamm und ließ sich von ihm Zweig für Zweig den ganzen Weg bis auf den Boden helfen. Aber als sie sich umschaute, gaben die Knie beinahe unter ihr nach; ein halbes Dutzend toter Wölfe war auf der Erde unter dem Baum verstreut, von Pfeilen durchbohrt. „Komm, Elbchen, wir gehen in unsere Hängematten zurück; ich denke nicht, dass sie wiederkommen werden, aber in der Baumkrone sind wir sicher, und wir können uns dort ausruhen.“ Noch immer umklammerte sie seine Hand und ließ nicht zu, dass er sie ihr entzog. „Verlass mich nicht.“ „Nein,“ Seine Stimme war sanft. „Ich gehe nicht weg. Komm jetzt.“ Aber als sie ihren eigenen Baum wiedergefunden hatten, wollte sie nicht allein schlafen, Sie war nicht eher zufrieden, bis sie gemeinsam mit ihm in seiner Hängematte lag, unter seinen Arm gekuschelt, den Kopf an seine Brust geschmiegt. "Ich kann dein Herz hören,“ sagte sie nach einer Weile. Er grunzte, und sie langte nach oben und ließ die Hand auf seiner Schulter ruhen, „Es ist ein gutes Herz, Canohando... nicht verdorben.“ Er antwortete nicht, und bald schlief sie ein, ihr Atem leise und regelmäßig. Ihr Arm rutschte an ihrer Seite herunter, aber ihre Wange lag noch immer warm an seiner Brust, und er streichelte ihr den Kopf, seine Klauenhand federleicht auf ihrem Haar. Endlich schlang er die Arme um sie und schloss die Augen. „Elbchen,“ flüsterte er. „Mein kleines Elbchen.“
|