Sing mich nach Haus (Sing me home)
von shirebound, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 2:
Schiffsbaumeister

„Doch was mich angeht, so gehört mein Herz der See, und ich will an den grauen Ufern leben und die Anfurten bewachen, bis das letzte Schiff fortsegelt.“
(Círdan, Das Silmarillion)

Eine halbe Stunde war vergangen, seit die Gruppe in der von starken Mauern umgebenen Stadt mit dem Hafen eingetroffen war, den die Hobbits die Grauen Anfurten und die Elben Mithlond nannten. Gandalf war da gewesen, um sie zu begrüßen, genauso wie viele Elben, die am Hafen oder in der Nähe lebten und arbeiteten. Frodo und Sam hätten sich nie träumen lassen, dass es so viele Elben westlich des Auenlandes gab; soweit sie sich erinnern konnten, waren keine anderen Hobbits so weit gekommen oder hatten je das Meer gesehen.

Im freudigen Wirbel vieler Begrüßungen und Umarmungen alter Freunde und dem Unterstellen der Ponys und Pferde entschlüpfte Frodo der Gruppe und wanderte zu einem kleinen Baumwäldchen vor den Toren zurück. Er glaubte nicht, dass man ihn vermissen würde, da Elrond einem halb eingedösten Bilbo gerade einen Rastplatz in einem nahe gelegenen Haus zeigte und Sam sich mit einem freundlichen Elb, der ihre Sprache sprach, lebhaft über die enormen Taurollen unterhielt, die überall herumlagen.

Frodo setzte sich unter einem Baum und lehnte sich gegen den Stamm; er versuchte, ein unerwartetes Gefühl der Panik zu unterdrücken. Er schloss die Augen und grub die gekrümmten Zehen in den warmen Boden, als mache es ihm Mühe, sich von diesem letzten, vertrauten Stück Mittelerde zu lösen.

„Du bist Frodo.“

Frodo blickte auf und sah einen ungewöhnlich hoch gewachsenen Elb, der auf ihn herunterlächelte. Bevor er sich aufrappeln konnte, ließ sich der Elb anmutig neben ihm nieder.

„Ja, Herr,“ sagte Frodo. „Zu deinen Diensten.“

„Danke, Frodo. Ich bin Círdan. Ich und dieser Ort, wir stehen dir zu Diensten.“

„Lebst du hier?“

„Dies ist seit ungezählten Jahren mein Zuhause.“

„Ist es Zeit für die Abreise?“ fragte Frodo, der hoffte, dass es nicht so war. „Man hat mir gesagt, das Schiffe zu bestimmten Zeiten segeln müssen.“

„Frodo,“ sagte Círdan sachte, „es ist wahr, dass die, die mit dir segeln, geplant hatten, bald aufzubrechen – heute bei Flutwechsel. Aber wie auch immer, ein Tag mehr oder sogar zwei würden nichts ausmachen. Das Schiff wird absegeln, wenn du soweit bist, und nicht eher.“ Er lächelte den Hobbit an, dann ließ er seinen Blick in die Weite schweifen. „Es ist sehr schön, nicht wahr?“

Frodo fand die Gegenwart des Elben überaus entspannend. Er schien sehr alt zu sein und er sprach langsam, wie es die meisten Elben taten - so, als hätten sie alle Zeit der Welt – aber in Círdan gab es eine einzigartige Qualität, die Frodo nicht richtig erklären konnte --- eine unendliche Geduld, wie sie ihm noch bei niemandem begegnet war.

„Unser ganzes Leben lang haben wir Geschichten über das Meer gehört,“ antwortete Frodo, „Ich hätte mir nie träumen lassen... es ist wie...“ Er betrachtete entzückt die glitzernden Farben und die unendliche Ausdehnung vor sich. „Es hört nie auf, sich zu bewegen,“ staunte er.

„Es ist immer gleich und doch allzeit anders.“ Círdans Blick wurde abwesend. „Ich habe den Krieg gekannt, Frodo. Ich habe versucht, die Herzen von Elben und Menschen zu verstehen. Ich habe rücksichtslose Leidenschaft gesehen, und Heldenmut, und hart erkämpfte Weisheit; und doch habe ich das meiste von der See gelernt, einfach dadurch, sie zu beobachten, zu lauschen und zu warten.“

„Herr,“ murmelte Frodo, „weißt du... dort, wo wir hingehen... gibt es dort Bäume? Gibt es dort Gras, und...“ Er verstummte; er konnte nicht weitersprechen.

„Du fragst dich, ob sich das Segensreich für dich wie ein Zuhause anfühlen wird.“ Círdan wandte sich zu Frodo um und nahm die kleinen Hände des Hobbits in seine eigenen. „Ich kann dir versichern, Frodo, das wird es. Die Bäume und Blumen und Gewässer – sogar die Sterne selbst –mögen nicht auf jede Weise so sein, wie du es gewöhnt bist, aber ich glaube, dass du sie vertraut und willkommenheißend finden wirst --- aber mit einem Glanz, den du vielleicht nur in deinen Träumen erblickt hast.“

„Ich glaube, ich habe manchmal vom Segensreich geträumt. Ich habe Orte gesehen... und Dinge von solcher Schönheit...“

„Ja,“ sagte Cirdan zustimmend, „ich denke, das hast du. Irmo, der Herr der Träume, hat es dir gezeigt.“

Frodo seufzte. „Als ich ins Auenland zurückgekehrt bin, hat es sich angefühlt, als würde ich in einen langen, gemächlichen Schlaf fallen – was einmal mein Zuhause gewesen war, hatte sich in den Traum verwandelt – irgendwie unwirklich.“

„Heimat ist der Ort, oder die Person, die das Lied singt, das wir erkennen, Frodo... und das uns erkennt.“

„Ich bin nicht sicher, ob ich dich verstehe.“

Círdan lächelte ihn an. „Das wirst du.“

„Was...“ Frodo mühte sich, das Gespräch wieder auf etwas zurückzubringen, das er begriff. „Was tust du hier bei den Anfurten, Círdan?“

„Ich baue Schiffe,“ sagte der Elb schlicht. „Ich baue sie, und ich bessere sie aus, und ich sammle Nachrichten, und ich halte diesen Hafen instand. Es ist meine Ehre und Freude, denen zu Diensten zu sein, die diesen Ort brauchen. Die Reise, die du antreten wirst, ist lang, aber meine Schiffe sind gut gebaut; du musst dich nicht vor dem fürchten, worauf du segeln wirst.“

„Ich fürchte dein Schiff nicht, Herr, aber...“

„Dann sag mir bitte, was dich sonst noch bekümmert.“

Aus irgendeinem Grund fühlte Frodo, dass er diesem sanften Elb sein Herz öffnen konnte.

„Es ging mir nicht gut, und wir werden auf See sein, wenn...“ Frodo schluckte hart. „In nur wenigen Tagen könnte ich sehr krank werden; das ist etwas, was mir um diese Zeit des Jahres passiert. Ich möchte für niemanden eine Bürde sein.“

„Das wirst du auch nicht.“ sagte Círdan fest. „Wenn die Krankheit dich wirklich packt, dann ist das der letzte Anfall, den du jemals erlebst, und man wird sich mit Geschick und Hingabe um dich kümmern, bis es dir wieder gut geht. Im Segensreich – und vielleicht sogar bevor du dort ankommst – wird Estë dich zu der Heilung führen, die du nötig hast; du wirst finden, was du suchst und empfangen, was du brauchst.“

„Du bist sehr freundlich, Herr,“ sagte Frodo leise. „Du sprichst, als würdest du mich kennen.“

Círdan schaute Frodo tief in die Augen, dann schloss er seine eigenen Augen einen Moment, als würde er auf etwas lauschen. „Ich glaube, dass du diese Reise nötig hast, Frodo; Mittelerde mag ein Ort tiefer Wurzeln und ein Ort des Glücks für viele sein – aber nicht länger für dich, vermute ich.“

Einmal mehr begegnete Círdans klarer, altersloser Blick dem von Frodo.

„Auch ich war ein Ringträger. Auch ich habe einen Ring der Macht preisgegeben und mit dem Verlust gelebt. Eines Tages werde auch ich nach Westen segeln. Ich werde an Bord des letzten Schiffes gehen und mir eine Heimat an der entferntesten Küste schaffen.“

Frodo schnappte entgeistert nach Luft. „Du... du warst...“

Círdan nickte. „Obwohl die Macht der Drei nun dahin ist, besitzt jeder von ihnen eine einzigartige Kraft und Energie. Mithrandir, Galadriel und Elrond tragen ihre Ringe noch immer; du und ich allerdings tun es nicht. Wir sind einander sehr ähnlich, Frodo.“

Frodo betrachtete ihn voller Staunen.

„Wer bist du, Círdan?“

Der Elb gab Frodos Hände frei und stand auf.

„Ich bin nur ein Schiffsbaumeister, mein junger Freund, nicht mehr. Wirst du mit mir hinunter zum Hafen kommen und mir die Ehre erweisen, dir mein Werk etwas näher anzuschauen?“

„Die Ehre ist ganz meinerseits, Herr.“ Frodo stand auf und verbeugte sich tief.

Círdan lächelte. „Eine ganze Anzahl aus meinem Volk wird dein Schiff segeln, aber eine größere Anzahl wird noch hier bei mir bleiben. Sie alle möchten dir begegnen, und sie freuen sich, dass du gekommen bist.“

Frodo lächelte zurück; sein Herz hob sich. Círdan streckte ihm die Hand entgegen und Frodo ergriff sie.

„Dann komm.“


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