Liebes Tagebuch (Dear Diary)
von Lily


Kapitel 4
22. Astron 1368

Liebes Tagebuch,

mein Geheimnis ist nicht mehr so sicher. Gilda hat mir versprochen, niemandem davon zu erzählen, nicht einmal meinem Bruder, und an diesem Versprechen hat sie festgehalten. Allerdings bin jetzt ich es, die das Geheimnis nicht länger für sich behalten kann. Man kann es sehen - oder geht meine Einbildung mit mir durch?

Gestern Abend verbrachte ich eine halbe Stunde vor dem Spiegel und betrachtete meinen Bauch von allen Seiten. Dabei bemerkte ich nicht, dass Drogo minutenlang hinter mir stand und jede meiner Bewegungen beobachtete. Er fiel mir erst auf, als er mich von hinten umarmte. Er meinte, ich sähe wunderschön aus, und dass er es kaum erwarten kann, dass mein Bauch sich wölbt. Er sieht es also auch. Dann kann es nicht mehr lange dauern, bis auch andere es bemerken werden.

Nie zuvor habe ich den Punkt erreicht, an dem ein anderer die Segnung meines Körpers erkennen konnte. Ist die größte Gefahr, das Kind zu verlieren, also vorbei? Ich weiß, ich sollte nicht darüber nachdenken - Gilda sagt das und ich weiß, dass sie Recht hat - doch ich bekomme den Gedanken nicht aus meinem Kopf. Von Zeit zu Zeit überfällt er mich unerwartet, und die Furcht lässt mich jedes Mal in Tränen ausbrechen. Wir sind so weit gekommen. Wir können nicht wieder getrennt werden. Drogo teilt meinen Schmerz, doch ich glaube nicht, dass er all meine Gefühle verstehen kann.

Mutter hat immer von einem Band zwischen einer Mutter und ihrem Kind gesprochen, und ich habe ihr nie geglaubt. Es war nicht so, dass ich ihr Wissen in Frage stellte, doch ich konnte es nicht verstehen. Sie hat mir immer versichert, ich würde wissen, wovon sie spricht, wenn ich selbst einmal Mutter bin. Mein Kind ist noch nicht geboren und trotzdem beginne ich zu begreifen. Das Band besteht bereits, obwohl es noch nicht so stark ist, wie es womöglich sein wird, wenn ich mein Kind erst spüre, oder das Kleine in meinen Armen halte. Oh Mutter, ich wünschte, du könntest jetzt bei mir sein, dein Wissen mit mir teilen und mir sagen, was ich tun soll. Ich könnte mir keine bessere Freundin und keine bessere Geburtshelferin als Gilda wünschen, doch ich wollte, ich könnte auch deinen Rat hören. Manchmal vermisse ich dich so sehr, Mutter.

Vielleicht hat Drogo Recht. Von Zeit zu Zeit bin ich launisch. In einem Moment ist mir nach Lachen zumute und im nächsten Augenblick könnte ich weinen. In letzter Zeit denke ich zuviel nach. Es gibt so vieles in meinem Kopf und doch fühle ich mich leer und kann mich auf nichts konzentrieren. Das sind die Zeiten, wenn ich noch mehr Nähe brauche als gewöhnlich, und zu meinem Glück ist Drogo immer für mich da. Er ist ein Schatz. Mein armes Baby muss sehr anschmiegsam werden mit Eltern wie Drogo und mir.

Das wäre etwas, das mir gefallen würde. Viele warme Umarmungen und Kuschelmomente mit meinem Kind sind schließlich eine große Versuchung. Hörst du das, mein Kleines? Du kannst so verschmust werden, wie du nur willst. Dein Vater und ich werden dir all die Wärme und Pflege geben, die du brauchst.


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