Liebes Tagebuch (Dear Diary)
von Lily


Kapitel 7
20. Nachlithe 1368

„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“

„Natürlich ist es das! Und nun komm rein! Du willst doch nicht, dass unser Kind glaubt, sein Vater wäre ein Feigling.“

Mit einem bedeutungsvollen Blick in meine Richtung, wagt es Drogo schließlich, einige Schritte weiter in den Fluss zu gehen, bis ihm das Wasser beinahe bis zur Brust reicht. Er holt tief Luft und sieht mich mit bittenden Augen an. „Primula, ich denke wirklich, dass du das nicht tun solltest. Ich meine...“

Ich beende sein zweckloses Gestammel, indem ich seinen süßen Mund in einem innigen Kuss gefangen nehme und meine Hand um seinen Nacken lege. Es ist ein Kuss, der aus dem Herzen kommt, voller Liebe und Verlangen, wie wir ihn schon seit Tagen nicht getauscht haben.

Warmer Wind kitzelt über meine nasse Haut und lässt eine Gänsehaut auf meinen Armen entstehen. Endlich gebe ich seine Lippen frei. „Vertraust du mir?“, frage ich im Flüsterton und fröstle, als der Wind etwas stärker weht.

Goldene Strahlen des schwindenden Sonnenlichts schimmern durch die Kronen der Bäume und tanzen auf seinem wunderschönen Gesicht. „Ja.“ Seine Stimme ist heiser und gerade als ich zu lächeln beginne, fügt er hinzu, "Aber..."

Ich erlaube ihm nicht, seinen Satz zu Ende zu bringen und lege einen Finger auf seinen Lippen. „Wage es nicht, Drogo Beutlin“, schelte ich. „Entweder vertraust du mir, oder du tust es nicht. Heute Abend gibt es kein ‚aber'.“

Drogo holt tief Luft, als wolle er etwas erwidern, doch er schweigt. Seine Hand, die zuvor auf meiner Hüfte ruhte, lässt von mir ab. Ich lächle und trete einen Schritt zurück, um mich in das vom Sommer erwärmte Wasser zu legen. Nahe dem Ufer ist es nicht sehr tief und reicht mir nur bis zum Hals. Als ich jung war, kam ich mit meinen Schwestern und Brüdern oft hierher und wir konnten Stunden damit verbringen, in den flacheren Bereichen zu schwimmen. Saradas wagte sich einmal, trotz meiner Warnung und der meiner Geschwister, in die tieferen Stellen. Mutter wies ihn lange zurecht, als er wieder am Ufer war und Vater verpasste ihm zuhause eine ordentliche Tracht Prügel.

"Du wirst nie solch leichtsinnige Dinge tun, nicht wahr? Du wirst dich von solchem Unfug fernhalten und immer tun, was deine Mutter sagt."

"Mit wem sprichst du?" Ich blicke auf, als ich die Stimme meines Liebsten vernehme und taste mit den Füßen nach dem Grund. "Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken", sagt er sanft und legt seine Hände erneut um meine Hüften.

"Du hast mich nicht erschreckt." Feuchte Locken kleben an meinem Nacken und Rücken und ich fühle wie einzelne Tropfen über mein Rückgrat rinnen. "Ich habe nur wieder einmal mit unserem Kleinen gesprochen."

In spöttischer Erheiterung zieht er eine Augenbraue hoch, lächelt mich jedoch gleichzeitig an. Es ist so viel Liebe und Freude in seinen Augen, dass ich nicht anders kann, als ihn erneut zu umarmen und zu küssen. "Weißt du, in letzter Zeit mache ich das oft. Ich verbringe ganze Nachmittage damit mit unserem Kind zu sprechen, während ich die Kleider wasche, im Garten arbeite oder das Abendessen zubereite."

"Du solltest nicht zu viel arbeiten, Liebste", schimpft Drogo, und Sorge verdunkelt seine sonst so ruhige Stimme. Er greift nach meinem Arm, und seine Berührung ist zwar sanft, aber auch unabstreitbar entschlossen, als er mich sicher aus dem Wasser führt. "Du solltest dich nicht überanstrengen."

Er greift nach einem Handtuch und legte es mir um die Schultern. Ich weiß, dass er besorgt ist, und nicht nur wegen dem Tonfall seiner Stimme. Drogo ist tagsüber oft unterwegs und regelt die Arbeit auf den Feldern gemeinsam mit meinem Bruder Rory. Trotzdem lässt er mich, wenn er abends nach Hause kommt, nicht einmal den Tisch abräumen, obwohl er sehr viel erschöpfter ist, als ich. Von Zeit zu Zeit ist er übermäßig um mich besorgt, und manchmal frage ich mich, was ihn mehr beunruhigt: die Tatsache, dass mir etwas geschehen könnte, oder dass unser Kind durch etwas belastet wird, was ich tue.

"Ich fühle mich gut, Drogo", versichere ich ihm, während ich mich in mein Handtuch kuschele und mich in das weiche Gras setze. "Es gibt nichts, worum du dich sorgen müsstest. Und wenn du wegen heute Abend beunruhigt bist: Gilda hat mir gesagt, ich könnte zum Fluss gehen, wenn ich mich danach fühle. Sie hat gemeint, es würde mir helfen, mich zu entspannen, und ich muss sagen, sie hatte Recht."

Er seufzt schwer als er sich mit einem Handtuch um die Schultern neben mich setzt und zum Fluss hinunter blickt, wo kleine Lichtschimmer im Wasser glitzern. Etwas liegt ihm auf dem Herzen, eine Sorge, die meine Worte nicht lindern können. Die Blätter rascheln, als ein sanfter Wind sie berührt.

Ich trage ein Kleid derselben Machart wie die, die ich früher zum Schwimmen angezogen habe. Im sanften Wind, der über den Fluss streicht, bietet das dünne, nasse Gewand jedoch keine Wärme für meinen feuchten Körper und ich fröstle. Drogo legt geistesabwesend einen Arm um meine Schultern und zieht mich näher zu sich. Er fröstelt ebenfalls, doch ob vor Kälte oder der Gedanken wegen, die ihn beschäftigen, kann ich nicht sagen. "Was ist los, Drogo?"

Er antwortet nicht sofort, doch sein Griff um meinen Arm wird fester, und eine stumme Angst kriecht in meine Gedanken. Sie packt meinen Körper wie eine kalte Hand, die Herz und Seele zwischen ihren Fingern zu erdrücken droht. Als ich mich zu ihm umwende, erkenne ich, dass Drogos Gesicht grimmig ist. Dunkle Schatten liegen darauf wie eine Wolke. Das Herz schlägt mir bis zum Hals und instinktiv lege ich eine Hand auf meinen gerundeten Bauch, während ich versuche, den Kloß in meinem Hals zu herunter zu schlucken.

In den vergangenen Wochen hat ihn irgend etwas mehr beschäftigt, als er zugibt, und ich habe Angst davor, was der Ursprung seiner Sorgen sein könnte. Es verletzt mich, ihn so zu sehen, und es erfüllt mein Herz mit Furcht. Der Wind pfeift in den Baumkronen, und das Geräusch klingt mir unheimlich in den Ohren. Ich berühre sanft seine Wange und zwinge meinen Gatten, mich anzusehen, und obwohl er den Blick gesenkt hält, suche ich in seinen Augen nach einer Antwort und bin verwundert, ungeweinte Tränen darin glitzern zu sehen. Dass er so bekümmert ist, trifft mich unvorbereitet, und ich spüre augenblicklich Tränen in mir selbst aufsteigen. Die Schlinge der Angst zieht sich zu.

Ich möchte etwas sagen, ihn trösten, doch ich finde keine Worte, als er mich plötzlich in eine feste Umarmung zieht und offen zu weinen beginnt. Für einen Moment bin ich vollkommen bestürzt und nicht in der Lage mich zu bewegen, ihn zu trösten oder auch nur zu atmen. Wann habe ich ihn zum letzten Mal weinen sehen? War das überhaupt je der Fall? Mehr Tränen steigen in mir auf, während ich vorsichtig meine Arme um ihn schlinge und versuche, ihn zu beruhigen. Was ist geschehen? Was hat ihn zerbrochen, wenn ich ihn doch stark, heil und ganz an meiner Seite brauche?

"Es tut mir Leid", schluchzt er, entlässt mich aus der Umarmung und weicht meinem Blick aus. "Ich wollte dich nicht beunruhigen."

Er sieht mitgenommen aus und der traurige, verstörte Ausdruck auf seinem Gesicht bricht mir beinahe das Herz. Erst jetzt merke ich, dass auch mir die Hände zittern.

"Aber das hast du getan", antworte ich mit tränenerstickter Stimme. "Was ist los, Drogo? Was ist geschehen?" Ich weiß, dass er in meinen besorgten Augen wie in einem offenen Buch lesen kann. "Bitte, sag es mir", flehe ich ihn an, als er langsam den Kopf hebt.

Er seufzt schwer und blickt erneut auf das glitzernde Wasser hinaus. Die Sonne geht langsam unter und der östliche Horizont nimmt einen blassen Rotton an. Spuren von Tränen glänzen auf seinen Wangen und ich wische sie zärtlich mit dem Handrücken fort. Der enge Knoten der Furcht in meinem Bauch bleibt bestehen, und ich kann nur hoffen, dass Drogo mir sagen wird, was ihm das Herz schwer macht. Ich weiß nicht, was ich noch tun könnte, um ihn zu trösten.

"Ich bin besorgt", gibt er schließlich zu und sieht mir in die Augen, die Stirn in Falten gelegt, "besorgt um dich und", er schluckt schwer und wirft einen kurzen Blick auf meinen Bauch, "unser Kind."

Ich öffne meinen Mund, um etwas zu erwidern, um ihm zu versichern, dass es keinen Grund gibt, sich Sorgen zu machen, aber ich muss feststellen, dass ich meine Stimme verloren habe.

"Ich könnte es nicht ertragen, wenn du eine weitere Fehlgeburt hättest."

Meine Augen weiten sich. Ich habe lange nicht daran gedacht, dass ich mein Kind verlieren könnte. Und wenn doch, dann war es immer Drogo, der mir sagte, dass ich mir keine Sorgen machen soll und dass alles gut gehen wird. Er war stark wenn ich zu schwach und verzweifelt war, um meine anhaltenden Ängste zu bekämpfen. Doch nun ist er es, der das Schlimmste annimmt. Ich habe nie gedacht, dass er sich darüber ebenso den Kopf zerbricht wie ich, mir nie vorgestellt, wie tief seine Sorgen gehen könnten. Ohne nachzudenken, nehme ich sein Gesicht in meine Hände und küsse ihn. Er schließt seine Augen und lässt zu, dass eine weitere Träne über seine Wange rieselt.

"Ich werde unser Kind nicht verlieren, Drogo, nicht dieses Mal", flüstere ich als ich mich nach einem scheinbar endlosen Moment von seinen Lippen löse.

Er schluckt schwer und legt seinen Kopf auf meine Brust wo ich ihn festhalte und sanft sein Gesicht liebkose. Mein liebster Drogo hat immer versucht, für mich stark zu sein. Ich frage mich, wie lange er diese Gedanken verheimlicht hat. Sanft streicht seine Hand über meinen Bauch, doch unser Baby antwortet nicht.

"Wir wollten so lange ein Kind, und es hat mir das Herz gebrochen, dich all die Jahre leiden zu sehen. Aber nun", er bricht ab und nimmt einen tiefen Atemzug. "Ich meine, ich habe mein Kind nie zuvor gespürt, oder die Veränderung so deutlich an dir gesehen. Ich kann nicht aufhören, an unser Kind zu denken, und ich kann es nicht erwarten, das Kleine in meinen Armen zu halten, und", er macht eine weitere, verstörte Pause und ich kann ihn unter meiner Berührung zittern fühlen. "Ich könnte es nicht ertragen, wenn all unsere Hoffnungen noch einmal zerschlagen werden."

Ich kenne seine Sorgen, kenne sie nur zu gut, aber ich weiß auch, wie man sie ersticken kann. Ich nehme einen tiefen, erleichterten Atemzug und sehe ihn ernst an. Ich weiß, dass er einen Teil der Hoffnung, die ich in meinen Augen halte, sehen muss.

"Sie werden nicht zerschlagen, Drogo. Ich fühle, dass das nicht der Fall sein wird. Du wirst es vielleicht nicht verstehen, aber ich weiß, dass es unserem Kind gut geht. Dieses Mal wird nichts geschehen. Ich habe mich nie so empfunden wie jetzt, und ich kann dir versichern, ich werde nichts tun, wozu ich mich nicht in der Lage fühle. Ich war ebenfalls besorgt um unser Kind, doch ich bin es nicht länger, weil ich weiß, dass alles gut ist. Ich kann ihn oder sie verstehen, Drogo. Unser Kind lässt mich wissen, wenn etwas nicht in Ordnung ist und bisher verläuft alles so, wie es soll. Gilda ist auch voller Erwartung. Sie sagt, unser Kind wird in spätestens zwei Monaten geboren sein und ich denke nicht, dass bis dahin etwas schief gehen wird. Nicht wenn ich mich so fühle wie im Augenblick."

"Bist du sicher?" Seine Stimme ist noch immer schwach und zweifelnd. Wenn er mir nur glauben würde. Wenn er nur fühlen könnte, was ich fühle.

Wieder nehme ich sein Gesicht in meine Hände und lehne meine Stirn gegen seine, um tief in seine grünen Augen zu blicken. "Ja", flüstere ich und küsse ihn sanft auf die Lippen, "dieses Mal bin ich mir sicher."

Ein Zittern geht durch seinen Körper, als der Wind die letzten Wassertropfen auf seiner entblößten Brust trocknet. Er hält seine Augen geschlossen und für einen langen Augenblick gibt es nichts außer dem Flüstern des Windes und dem stillen Gurgeln des Wassers.

Als er seine Augen wieder öffnet, erhellt ein unerwartetes Lächeln seine Züge. Mehr brauche ich nicht, um den Knoten der Angst und alle Sorgen zu vergessen. Er glaubt mir.

"Also, Eheweib", lässt er mich verschmitzt wissen. "wenn du so viel weißt, dann kannst du mir bestimmt auch sagen, ob wir einen kleinen Jungen oder ein Mädchen erwarten?"

"Einen Jungen", antwort ich nüchtern, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung habe. Es tut gut ihn Lächeln zu sehen. Der verwirrte Blick, den er mir jetzt schenkt, lässt mich schmunzeln. "Oder womöglich wird es ein Mädchen. Woher soll ich das wissen, du dummer Hobbit?"

Ohne weitere Erklärung winde ich mich etwas unbeholfen aus seiner Umarmung und eile zurück zum Fluss. Kleine Wassertropfen funkeln in vielen verschiedenen Farben und spritzen in alle Richtungen. Ich halte inne und blicke erwartungsvoll zu meinem Gatten. Drogo sitzt noch immer im Gras, obwohl er seinen Körper nun auf seine Ellbogen stützt.

"Drogo Beutlin, wirst du wohl deine Sorgen beiseite schieben und ins Wasser kommen!"

Er grinst verschmitzt und streicht demonstrativ einige Wassertropfen von seiner Hose. Kopfschüttelnd spritze ich eine Handvoll Wasser in seine Richtung. "Faulpelz!"


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