Der Grausame Winter (Fell Winter)
von rabidsamfan, übersetzt von Cúthalion

Dezember

Zuerst waren die Schneefälle willkommen, ein Spielparadies für Bilbo und die anderen frischgebackenen Zwanziger. Selbst die Großväterchen hatten niemals solch tiefe und großartige Verwehungen gekannt. In jenem Monat gab es in ganz Hobbingen keinen Smial, in dem die Luft nicht dick war vom Mief trocknender Fäustlinge und angesengter Wolle; und die Jungs und Mädels taten kaum mehr, als kurz zu ihren Mahlzeiten aufzutauchen, bevor sie wieder hinaus rannten in die verwandelte Welt. Sie bauten die wunderbarsten Schneefestungen und stellten die Schlacht bei Grünfeld nach, wobei sie Schneeorks köpften und sich fröhlich darum zankten, wer bei der nächsten Runde der Bullenrassler sein durfte.

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Januar

Die Krankheit begann bald nach Jul, als hätte sie auf die Besuche und Zusammenkünfte gewartet, um so viele Leute wie möglich zu befallen, ehe sie ihr wahres Gesicht zeigte. Binnen einer Woche hustete das halbe Dorf, und Bilbo war vollauf damit beschäftigt, Körbe mit Kräutern und Honig für seine Mutter umherzutragen und seinem Vater dabei zu helfen, den Holzstoß in einen Lagerraum drinnen zu schaffen, um sich das Graben durch den Schnee zu ersparen. Er wusste, seine Eltern sorgten sich. Sie hatten sich schon früher gesorgt – aber dieses Mal war es irgendwie anders, und er sang alberne, sinnlose Lieder, während er arbeitete, um sich davon abzuhalten, darüber nachzugrübeln, wieso das so war.

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Februar

In diesem Monat sah er selten die Sonne, und nur als eine bleiche, runde Hellligkeit durch die Wolken. Sturm auf Sturm fegte aus dem Norden heran und brachte Wind und Schnee wie winzige Steine, die in jeden ungeschützten Flecken Haut stachen. Bungo gab den Versuch auf, einen Pfad freizuhalten und er und Bilbo gruben statt dessen einen Tunnel, der bis zum Beutelhaldenweg reichte, um die Pächter mit zurück und hinauf nach Beutelsend zu nehmen. Es fühlte sich eigenartig an, Gäste zu haben, die so schmerzhaft höflich waren, und erst, als er und Holman Grünhand eine Rauferei hatten, die mit blutigen Nasen endete, gelang es Bilbo, sich zu entspannen.

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Anfang März

Das Eichler-Baby wurde zu früh geboren und war zu früh tot, und der einzige Trost, den Belladonna anbieten konnte, war ein Platz neben ihren eigenen verlorenen Babys unter der Lärche im Garten. Bilbo bestand darauf, dabei zu helfen, sich durch den Schnee und den steinharten Boden zu schaufeln, und sie war stolz auf ihn, obwohl sie es ihm nicht sagte. Später, als sie an dem winzigen Grab standen, sah sie, wie er still und leise die Blasen auf winterweichen Händen versorgte. Er glich seinem Vater so sehr, dass es ihr das Herz zusammenkrampfte.

Als sie sich abwandten, um wieder hinein zu gehen, hörte sie das erste, ferne Heulen.

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Mitte März, I

Wölfe in Hobbingen! Es war wie etwas aus einer von Gandalfs Erzählungen. Bilbo zitterte ebenso sehr vor Aufregung wie vor Kälte und rückte näher ans Feuer, stolz darauf, dass seine Eltern ihm erlaubt hatten zu bleiben und zuzuhören, während die Erwachsenen darüber stritten, was zu tun sei. Eine Familie das Tal hinunter hatte bereits ein Pony verloren, wenn man dem Büttel glaubte. „Bringt die Tiere nach drinnen“, sagte einer, und „Haltet Wache auf den Feldern“, sagte ein anderer. „Schickt nach dem Thain“, sagte seine Mutter, und Bilbo sagte „Jawohl“ mit dem Rest und ging ins Bett, wo er von einem Heer von Onkeln träumte.

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Mitte März, II

Bilbo stand Wache und trug dabei den Helm, den seine Mutter unter den Mathoms wiedererkannt hatte, die Holman Grünhand mit Setzlingen gefüllt auf jedes Fensterbrett stellte, falls der Schnee zu lang für eine anständige Frühjahrs-Pflanzung anhielt. Hastig ausgeleert und seinem eigentlichen Zweck zugeführt, stellte er sich als zu klein für die Erwachsenen heraus und zu groß für die meisten Kinder außer Bilbo. Selbst bei ihm saß er um den Kopf herum wie eine Glocke um den Klöppel, aber er fand ihn tröstlich. Er mochte keinen Wolf aufhalten, aber er roch nach Erde und nach Dingen, die wuchsen.

Er roch nach Frühling.

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Mitte März, III

Sie hörten die Hörner zuerst und rannten, um beim Kampf zu helfen, aber bis sie das Dorf erreicht hatten, hatte das Fest schon angefangen. Die Verstärkung kam einmarschiert, mit großem Trara und mit einem Lied:

Zehn große Tuks mit Schlittengeläut
hat der Thain Euch geschickt zur Hilfe heut
Zehn große Tuks mit Klinge und Bogen
sind singend zu Euch in den Kampf gezogen.

Zehn große Tuks schickt der Thain Euch heuer
Wir reißen uns los von Kissen und Feuer
Wind, Schnee oder Regen, wir reichen die Hand
Wir folgen dem Ruf:
Für das Auenland!

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März, IV

„Es gibt Wölfe und es gibt Wölfe“, sagte Onkel Isumbras, während er die Vorräte an Feuerwerkskörpern verteilte. „Und wir glauben, diese sind von der kleineren Sorte, die von jenseits dem Brandywein ins Auenland getrieben werden, durch noch schlimmeres Wetter und Mangel an Beute. Bleibt dicht beim Dorf. Licht und Lärm sollten sie abschrecken. Feuer tut es ganz sicher, also behaltet eure Fackeln in Reichweite. Das sollte Euch genügend in Sicherheit halten, während wir sie jagen.“

„Und wenn sie nicht von der kleineren Sorte sind?“ fragte der Müller, und die Leute von Hobbingen drängten sich noch dichter heran, um die Antwort zu hören.

„Dann wären nicht wir die Jäger.“

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An der Wende zum April

Die Jäger hatten nicht eher Glück als bis der erste Regen kam und der Schnee zu schmelzen anfing. Sie brachten den Kadaver ins Dorf, und Bungo öffnete das letzte Fass Äpfel, um dem Anlass Gewicht zu verleihen. Bilbo half dabei, sie zu verteilen, dann ging er in den Schupen zurück, um noch einmal zu schauen. Er hatte sich Wölfe wie große Füchse vorgestellt, aber Füchse waren geschmeidige, gemütliche Kreaturen im Vergleich zu diesem struppigen Riesen. Sein verflztes Fell war mehr gelb als weiß, und man konnte seine Rippen sehen.

Was für eine schreckliche Sache, dachte Bilbo, zur Strecke gebracht zu werden für kein schlimmeres Verbrechen als hungrig zu sein.

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April

Belladonna war keine Frau, die ihr Herz auf der Zunge trug. Sie betrauerte den Tod ihrer verlorenen Kinder, aber sie tat es still und mit großer Zurückhaltung, und niemand sah sie jemals an der Gräberreihe im Garten weinen.

Jetzt nahm der Winter endlich seine eisigen Hände vom Auenland, und ein zarter grüner Schleier fiel über die Hügel. Eines Tages sah Bilbo seine Mutter im Schatten der Lärche stehen. Blaue Blüten bedeckten die kleinen Hügel zu ihren Füßen. Belladonna wandte sich zu ihm um und lächelte.

„Es ist Frühling.“ sagte sie, die Augen voller Tränen.*

*Dies ist mein persönlicher Beitrag zu rabidsamfan’s „Fell Winter“-Serie. Sollte sie einen eigenen Abschluss der Reihe schreiben, wird er selbstverständlich hinzugefügt.


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