Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion



Kapitel 20
Kampf gegen die Finsternis

Die Orks mieden sie für viele Tage. Frodo und Radagast waren allein in der Steinkammer, und draußen trommelte unerbittlich der Regen nieder. Sie spielten stundenlang Züge, und als sie dessen müde wurden, schnitzte Frodo seine Knöchelchen – er hatte damit angefangen, also konnte er die Arbeit genauso gut beenden.  Als sie fertig waren, übte er mit ihnen, bis seine Hände das Spiel wieder erlernt hatten, das er nicht mehr gespielt hatte, seit er ein Junge war; er fand Wege, ohne den fehlenden Finger auszukommen.

Radagast saß da und schnitzte an einem Stock aus duftendem Holz; er höhlte ihn aus und glättete ihn mit liebender Sorgfalt. Die redeten ein wenig von ihren Reisen, erinnerten einander an Dinge, die sie in der Rückschau zum Lachen brachten, und die verlassene Festung kam ihnen mit dem Regen draußen und dem hellen Feuer drinnen fast heimelig vor.

Frodo glaubte, dass die Orks zum Schlafen in den Raum zurückkamen. Er sah sie nie hereinkommen, und sie waren fort, wenn er aufwachte, und doch spürte er ihre Gegenwart selbst noch durch seine Träume. Er hatte den Verdacht, dass sie wieder dazu zurückgekehrt waren, Ratten und Schlangen zu fressen, aber eines Nachts ließ er eine Pfanne mit Fleisch und Zwiebeln zugedeckt neben der Feuergrube stehen, als er schlafen ging. Am Morgen war sie leer, und danach hielt er jede Nacht Essen für sie bereit.

Er konnte nicht sagen, dass er sie vermisste, aber dachte über sie nach. „Werden sie uns jetzt verlassen, was glaubst du?“ fragte er Radagast.

Der Zauberer schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle es. Sie begreifen langsam, was sie sind, Esel; es ist keine leichte Angelegenheit, festzustellen, dass man ein verdorbener Abkömmling seiner meistgehassten Feinde ist! Ich denke nicht, dass sie uns jetzt einfach verlassen werden; sie werden zurückkommen, um mit uns zu reisen wie vorher, oder sie kehren in schwarzem Hass zurück, um uns zu erschlagen, wenn sie können.“

Das war auch Frodos Gedanke. „Dich können sie nicht erschlagen, oder?“

Radagast lachte. „Diese kleinen Kerl? Aber dich könnten sie erschlagen, Esel – bleib jetzt besser ganz in meiner Nähe, bis wir wissen, woher der Wind weht.“

Wenige Morgen später erwachte er und stellte fest, dass Canohando neben ihm saß, allein.

„Zeit, dass du wieder mit mir jagst, Kümmerling. Du wirst vergessen, was ich dich gelehrt habe.“

Frodo schaute zu Radagast hinüber, der noch immer tief und fest schlief. Er hatte seine Furcht vor dem großen Ork nicht verloren, und die Worte des Zauberers hatten sie bestätigt. „Zuerst Frühstück“, sagte er, dankbar, dass er eine Entschuldigung zum Hinauszögern fand.

„Und was wirst du kochen, wenn der Alte nicht wach ist, um es dir aus deinem Sack zu geben? Ich habe dein Essen gegessen, Kümmerling; heute sollst du meines essen. Hol deinen Bogen.“

Er konnte Radagast mit ein, zwei laut gesprochenen Worten aufwecken. Er begegnete Canohandos Augen, dunkel von verborgenen Bedeutungen, die er nicht lesen konnte. Das ist es, was er von mir erwartet. Er prüft mich, ob ich es wage, mich ihm anzuvertrauen.

Er stand auf und nahm seinen Bogen und Köcher. Er war ein Wagnis eingegangen – er konnte sich nicht daraus zurückziehen. Der Ork legte eine Hand zwischen seine Schulterblätter und stieß ihn hinaus in den dunklen Durchgang, der ins Innere der Festung führte.

Sie jagten schweigend, und an diesem Tag war Canohando nicht damit zufrieden, ihn zur Übung auf Fensteröffnungen und Fackelhalterungen in der Wand schießen zu lassen. Beim ersten Mal, als er Frodos Arm berührte und ihm eine Ratte zeigte, die in einem schattigen Winkel hockte, da versuchte Frodo, sich zu weigern. Aber der Ork starrte ihn mit einer solchen Wildheit an, dass er hastig wegschaute; er zielte und ließ den Pfeil fliegen, bevor er zu viel darüber nachdenken konnte, was er da tat. Er schoss daneben, und die Ratte huschte durch ein Loch im Mauerwerk in Sicherheit. Canohando versetzte ihm mit der flachen Hand einen Schlag zwischen die Schulterblätter, hart genug, dass es weh tat, doch –

Es war eine Zurechtweisung, dachte er. Bilbo hatte so ziemlich dasselbe getan, vor Jahren, als er ihm die schlampige Übersetzung eines elbischen Gedichtes zur Prüfung vorlegte. Der Vergleich sorgte dafür, dass er sich ein Lachen verbiss.

„Heute wirst du essen, was du schießt, kleiner Kümmerling, und nichts anderes. Wie hungrig bist du?“

Wenn das die Wahl war, die er hatte – „Ich bin schon ausgehungert genug gewesen, um eine Ratte zu essen,“ sagte er ehrlich, „aber nicht heute. Ich würde lieber hungrig bleiben.“

Canohando blickte belustigt drein. „Was, wenn ich dich von jeglicher Nahrung fernhalte, bis du hungrig genug bist? Aber nein, der alte Mann würde kommen und nach dir suchen, denke ich. Also, schau mal, Kümmerling – ich hatte noch kein Frühstück, und ich bin hungrig genug, um eine Ratte zu essen, oder mehr als eine. Du würdest keinen Tark töten, um mir das Leben zu retten, aber wirst du eine Ratte töten, um meinen Hunger zu stillen?“ .

Er hatte Recht gehabt; es war eine Prüfung. Der Ork kannte kein anderes Maß für Freundschaft als: würdest du für mich töten?

„Das werde ich, wenn ich gerade genug schießen kann,“ sagte er.

Es folgten viele Fehlschüsse, denn die Ratten waren flink, und er war mit dem Herzen nicht bei der Sache. Aber endlich war eine nicht flink genug, und sein Pfeil durchbohrte sie. Sie quiekte, zappelte einen Moment und lag dann still. Frodo wandte sich ab, denn ihm war übel, aber Canohando klopfte ihm auf den Rücken und ging hin, um sie aufzuheben.

„Gut! Jetzt wirst du nicht verhungern, wenn du einmal von dem alten Mann und seinem Sack getrennt wirst. Wenigstens damit habe ich dir einen guten Dienst getan.“ Er häutete und reinigte das Tier, während er sprach und legte den Pfeil zur Seite. „Den werden wir auf unserem Rückweg im Regen sauber machen – es bringt Unglück, mit einem Pfeil zu jagen, der schon blutig ist. Mach ein Feuer für mich, Kümmerling. Ich habe den Geschmack an rohem Fleisch verloren.“   

Der Ork bot ihm etwas von dem Fleisch an, aber  - gekocht oder nicht – es war kein Opfer, es zurückzuweisen. Allein von dem Geruch drehte sich ihm der Magen um. Als Canohando mit dem Essen fertig war, sammelte er die Knochen in dem abgezogenen Fell und stampfte das kleine Feuer aus.  

„Komm, es ist nicht gut, das hier an einem Ort zu haben, wo wir leben wollen.“ Er führte Frodo durch ein Labyrinth aus Fluren und engen Treppenaufgängen, bis sie endlich auf einem breiten Sims an der Spitze des Turmes herauskamen, vierzig oder fünfzig Fuß über dem Boden. Canohando schleuderte die Überreste der Ratte weit in den Regen, dann hielt er den Pfeil hinaus, damit er von den Niederschlägen abgespült wurde. Wasser strömte ihm aus den Haaren und Kleidern, und als der Pfeil sauber war, reichte er ihn an Frodo zurück und wusch sich das Blut von den Händen.  

Der Regen war nicht kalt; er war sogar angenehm, wie er Frodo das Gesicht und die Arme hinunter rieselte, und er kämmte sich mit den Fingern durch das Haar und verteilte das Wasser gründlich darin. Nicht ganz so gut wie heißes Wasser in einer Wanne, sinnierte er, aber durch das Regenwasser-Bad fühlte er sich sauberer. Er sah, dass Canohando ihn beobachtete.

„Wasch den Geruch der Angst fort“, sagte der Ork leise. „Wieso bist du heute Morgen mit mir gekommen, so, wie du dich gefürchtet hast?“

Frodos Herz schlingerte, und er erstarrte zu völliger Reglosigkeit.

„Ist das eine Angewohnheit von dir, den Tod herauszufordern? Ich habe deine Furcht auch bei den Männern des Königs gerochen, als du in ihren Kreis hineingetreten bist – du warst dir nicht sicher, dass sie dich nicht erschlagen würden! Und du hast Angst vor mir; selbst jetzt noch fürchtest du dich. Wieso bist du heute Morgen nicht in Sicherheit bei dem alten Mann geblieben?“

Der Ork konnte Furcht riechen – konnte er eine Lüge wittern? Dann also die Wahrheit, zu welchem Ende sie auch führen mochte.

„Radagast glaubt, dass du mit dir selbst im Krieg liegst, gegen die Finsternis.“ Er sah den Ork nicht an, sondern starrte stattdessen über das regennasse Plateau hinweg, das grau und ausgestorben war. „Ich habe diese Schlacht geschlagen, und es ist nicht gut, wenn man allein kämpft. Allein wäre ich zerstört worden.“

Canohando trat hinter ihn und packte ihn mit Eisenfingern an den Schultern. „Was, wenn ich dich von hier hinunterwerfe, Kümmerling?“ sagte er Frodo ins Ohr. „Was würde geschehen?“

Frodo blickte starr geradeaus. „Ich würde sterben.“

„Du würdest sterben“, sagte der Ork zustimmend. „Und ich – ich würde trauern. Also, stehst du mir in dieser Schlacht bei, Neunfinger? Du solltest besser hoffen, dass ich sie gewinne!“

Frodo langte nach oben und hielt die Hand des Orks fest; sie war hart und rau, mit krallengleichen Nägeln, die sich schmerzhaft in seine Haut gruben.

„Ich weiß“, sagte er.


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