Drum sei es eine andere Zeit (For another time should be)
von kielle, übersetzt von Cúthalion

Schönheit und ihre Stimme. Das war alles, was sie hatte, als sie zurückkehrte. Das war alles, womit sie ankam. Die meisten Mädchen, die sonst nichts haben, verschwinden den falschen Weg hinunter und werden nie wieder gesehen.

Der einzige Unterschied war der, dass sie wirklich singen konnte.

Ihre Stimme glich nichts, das man je zuvor im schmutzigen Herzen der Stadt gehört hatte... wie etwas, das verloren gegangen war, etwas, das nie wieder hätte sein sollen... und doch war es da, es wand sich durch die rauchige Bar, Nacht für Nacht. Und wenn sie sang, vergaßen die Leute alles – ihre Probleme, ihre Ängste, sogar ihre Drinks. Sie vergaßen alles außer zu... lauschen... bis die letzte schlichte Note erstarb und das schlichte, blasse, dunkelhaarige Mädchen sich hinter die Bühne zurückzog, um sich ihren mageren Lohn zu suchen.

Es machte die Runde. Sie nahm sich einen Agenten. Er fand bessere Veranstaltungsorte, und er arrangierte es, dass man ihre schöne Stimme in einem Aufnahmestudio einfing. Ihr Gesang war auf Band nie so gut wie live, aber er war noch immer erstaunlich, und er war noch immer imstande, sich seinen Weg in das Herz eines jeden zu bahnen, der zuhörte.

Nur in Großstadtlegenden fallen billige Demos Musikmogulen mit großen Namen in die Hände. Nur in Märchen kann das Bauernmädchen das Auge – oder in diesem Fall das Ohr – des Königs auf sich ziehen. Aber das ist es, was geschah. In einem Augenblick hauchte sie in einem zweitklassigen Nachtclub träumerisch in ein nach Bier riechendes Mikrofon; im nächsten saß sie verwirrt in einem teuren Büro, das sich in einem hohen, verspiegelten Gebäude befand; sie unterzeichnete dies und das und oh ja, vergessen Sie nicht das hier...

Nachdem all dies getan war, nachdem die Champagnerkorken knallten und viele Hände geschüttelt und viele Namen genannt (und wieder vergessen) wurden, zeigte man ihr den Weg einen langen Korridor hinunter zu einer riesigen Eichentür. Der dicke Teppich verschluckte ihre Schritte und der Türknauf drehte sich geräuschlos in ihrer Hand. Dies war das Büro des einen, dem die Gesellschaft in dem hohen, verspiegelten Gebäude gehörte. Dies war der Mann – sie begriff es mit einer jähen Erkenntnis, die ihr das Herz sinken ließ – dem sie jetzt gehörte.

Die Tür öffnete sich leicht, trotz ihrer Größe. Sie drängte ihre düsteren Vorahnungen beiseite und trat ein, die Stirn gerunzelt, während sie sich auf die hübsche, kleine Dankesrede konzentrierte, die sie sich zurechtgelegt hatte. Und dann blickte sie auf, und all die schönen Worte flohen aus ihrem Geist wie verschreckte Nachtigallen.

Seine Erscheinung war nicht beängstigend. Tatsächlich war er gut aussehend, dunkelhaarig und dunkeläugig, elegant in perfekt geschneiderter Seide. Er saß hinter einem gewaltigen Mahagoni-Schreibtisch am anderen Ende eines lang gestreckten Büros, das sparsam dekoriert und auf ruhige Weise geschmackvoll war. Sie hatte ihn noch nie im Leben gesehen... aber sie schaute ihm in die Augen und sie wusste, wer er wirklich war.

Und, noch wichtiger, er wusste ganz genau, wer sie wirklich war.

Sie stand auf der Stelle eingefroren wie ein Reh; der Herzschlag donnerte ihr gegen die Rippen und das Blut dröhnte in ihren Ohren. Er seinerseits lächelte nur charmant und legte die Hände ineinander, um sein Kinn darauf zu stützen. Seltsam, er trug feine, graue Handschuhe, in genau der selben, sturmgrauen Schattierung wie sein teurer Anzug...

„Tanz wieder für mich, Lúthien.“ sagte Melkor.

Und hinter ihr schloss sich die Tür.

ENDE


„Da erfasste Morgoth*, als er ihre Schönheit sah, im Geist ein böses Gelüst, und ein schwärzerer Plan als je einer seit seine Flucht aus Valinor kam ihm ins Herz. So betrog ihn die eigene Tücke. Denn er sah ihr zu und ließ ihr für einen Augenblick Freiheit, sich heimlich an seinen Gedanken weidend. Dann plötzlich entwich sie aus seinem Blick, und aus dem Schatten stimmte sie ein Lied an, von so bezwingendem Liebreiz und so blendender Gewalt, dass er nicht anders konnte als lauschen; und Blindheit kam über ihn, als seine Augen hin und her schweifend nach ihr suchten.

Sein ganzer Hofstaat fiel in Schlaf, und alle Feuer brannten nieder und erloschen; die Silmaril aber in der Krone auf Morgoths Haupt loderten plötzlich in weißem Flammenschein auf, und die Bürde der Krone und der Edelsteine drückte sein Haupt nieder, als trüge er die Welt darauf, beladen mit einer Last aus Leid, Furcht und Begehren , die selbst Morgoths Blick nicht zu tragen vermochte. Dann sprang Lúthien, ihr Flügelkleid aufnehmend, in die Luft hinauf, und nun kam ihre Stimme hernieder gerauscht wie Regen auf tiefe, dunkle Teiche. Sie schwang ihren Mantel vor seinen Augen und gab ihm einen Traum, dunkel wie die Äußere Leere, wo er einst allein gewandert war.“

(Tolkien, Das Silmarillion„Von Beren und Lúthien“)


*Für die, die das Silmarillion nicht gelesen haben; Melkor und Morgoth sind zwei Namen für die selbe Figur; ursprünglich eine engelsgleiche Gestalt, rebelliert Melkor gegen den Schöpfer, wird verstoßen und zum Dunklen Herrscher des ersten Zeitalters.


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