Ein anderer Abschied (Another Way of Leaving)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Kapitel 3
Ein einbeiniger Vogel

Trotz der schlaflosen Nacht erwachte er sehr früh. Die Zeit drängte jetzt; er hatte darauf gerechnet, bei dieser Dämmerung nicht mehr zu sich zu kommen, und er hatte das Gefühl, dass er spät dran war.

Onkel Sara hat immer gesagt, ich würde sogar zu spät zu meiner eigenen Beerdigung kommen.

Er trank einen Schluck Wasser aus seiner Flasche und ging hinaus. Es war kühl, aber nicht unangenehm, und die Wälder waren voller Nebel. Er dachte, dass es später vielleicht Regen geben würde – Sam hätte ihm genau sagen können, zu welcher Zeit! – aber mit etwas Glück würde er es niemals wissen. Er fand einen Stock, um die feuchten Blätter umzudrehen, die noch vom letzten Herbst den Boden bedeckten, und fing an zu suchen.

Zwei Stunden später waren die Satteltaschen, die er bei sich trug, voll. Er wusste nicht sicher, wie viele von den Pilzen ausreichen würden; er wollte nicht, dass er sterbenskrank wurde, ohne tatsächlich zu sterben. Besser ein richtiges Festmahl daraus machen, um sicher zu sein.

Er fand einen abgestorbenen Baum und brach genug trockenes Holz für ein Feuer ab – alles auf dem Boden war zu feucht, um zu brennen. Wenn er aus den Pilzen ein Festmahl machen wollte, dann mussten sie gegart werden. Immer seit er die Felder von Bauer Maggot in seiner Jugend heimgesucht hatte - und beinah durch rohe Pilze krank geworden wäre, gefolgt von einer Tracht Prügel und einem verzweifelten Wettlauf zum Fluss – nun, sie hatten ihm danach nie mehr ungekocht geschmeckt. Er würde nie imstande sein, eine ganze Tasche davon roh hinunter zu würgen.

Einmal mehr wünschte er sich Sams Voraussicht – Sam hätte eine Pfanne mitgebracht. Er brach einen grünen Zweig ab, spießte eine Reihe Pilze auf und hielt sie über das Feuer.

Einen Augenblick später hörte er einen Schritt hinter sich.

„Du hast zuviel Feuer und zu wenig Kohle, Junge. Du musst warten, bis die Flammen ein bisschen herunter gebrannt sind, bevor du versuchen kannst, darüber zu kochen.“

Er erstarrte; Unglaube, Verzweiflung und ein verrücktes, ironisches Gelächter lagen in ihm im Widerstreit. Ein Bein senkte sich in den Höhleneingang herab, gefolgt von einem zweiten, und ein hochgewachsener Mann in staubig braunen Gewändern hockte sich neben ihn.

„Vergessen, eine Pfanne mitzubringen, hm? In Butter gebraten wären sie besser.“

Frodo nickte; er wagte nicht zu sprechen. Wenn nur dieser Fremde nicht darum bat, das Frühstück mit ihm teilen zu dürfen! Wie sollte er ihn bloß loswerden? Es konnte doch wirklich nicht so schwer sein, einfach bloß zu sterben!

Der Fremde durchsuchte die Satteltasche. „Gütiger Himmel, Junge, du hast keine Ahnung von Pilzen - du hast da ein paar Todesengel drin! Zum Glück für dich bin ich vorbei gekommen!“

Frodo biss sich auf die Lippen.

„Oder vielleicht hast du ja Ahnung, hm? Da sind nur Todesengel drin. Was hast du da auf dem Stecken?“ Seine Hand schoss vor und nahm Frodo den Stock weg.

„Nichts als Todesengel. Wer immer dir was über Pilze beigebracht hat, hat es nicht gut mit dir gemeint – oder aber du weißt nur zu gut, was du hier vor dir hast. Was von beidem ist es, Junge?“

Frodo sah ihm voll ins Gesicht, zu frustriert und verzweifelt, um ihm etwas vorzumachen. „Ich kenne meine Pilze,“ sagte er flach; einmal in seinem Leben verließ ihn all seine Höflichkeit. „Was geht es Euch an, was ich zum Frühstück esse?“

Der Fremde hatte eine dunkle Haut, fast so dunkel wie seine Gewänder, ledrig und voller Falten. Sein Haar war schwarz und wirr, von Grau durchzogen, die braunen Augen wie tiefe, friedliche Brunnen in seinem Gesicht. Er hielt Frodos Blick fest, und ließ den Stock mitten ins Feuer fallen, gefolgt vom Rest der Pilze, die er ohne vie Federlesens aus der Tasche plumpsen ließ. Er tastete mit der Hand auf der Innenseite herum, um sicherzugehen, dass auch noch das letzte Überbleibsel verschwunden war. Dann langte er in eine tiefe Tasche irgendwo in seinen Gewändern und brachte zwei Äpfel zum Vorschein.

„Nachdem du in meinem Speisezimmer frühstückst, werde ich die Mahlzeit beisteuern,“ sagte er gleichmütig.

„Euer Speisezimmer?“

„Oh, eins von vielen! Ich bin nicht oft hier, ich muss meine Runden machen. Ich hab dich ein paar Jahre nicht mehr gesehen, Junge.“

„Gesehen – mich? Aber ich habe Euch überhaupt noch nie gesehen! Wer seid Ihr denn?“ In Wahrheit erinnerte er Frodo an jemanden – beinahe, aber nicht ganz.

„Deine Manieren sind betteln gegangen, nicht? Es ist der Besucher, der sich vorstellt und seine Absichten erklärt. Aber wie es sich trifft, weiß ich, wer du bist, und nachdem ich gesehen habe, was du dir zum Frühstück kochst, kenne ich auch deine Absichten. Du bist der Ringträger, und du bist her gekommen, um zu sterben. Hab ich Recht?“

Frodo seufzte und biss in den Apfel in seiner Hand; ein wenig überrascht stellte er fest, dass er hungrig war.

„Das war der Gedanke, aber es scheint daneben gegangen zu sein - wie der Rest meines Lebens.“

„Und nachdem es daneben gegangen ist, bist du ängstlich darum bemüht, es weg zu werfen.“

„Und ich frage noch einmal: was geht es Euch an? Ich weiß jetzt, an wen Ihr mich erinnert – Gandalf! Ich tat, was Gandalf mir befahl, oder ich habe es doch versucht. Und ich bin daran zerbrochen, und mein Leben ist auch zerbrochen. Ich will es nur noch hinter mir haben. Ein Dutzend Mal bin ich während der Fahrt fast gestorben, und jetzt bringe ich es nicht fertig! Wie kann es so schwer sein zu sterben?“

„So eifrig du dich auch anstrengst, dich von deinem Leben zu trennen – mir scheint, dass dein Leben sich noch nicht von dir trennen mag.“

Frodo antwortete nicht; er zog die Knie hoch und legte seinen Kopf darauf. Hoffnungslosigkeit und Selbsthass durchfluteten ihn, eine kalte Woge, die ihn bis zum Kern seines Wesens frieren ließ. Er schloss die Augen.

Er hörte, wie der Fremde sich entfernte, in den Büschen herumraschelte und zurück kam.

„Schau her, kleiner Esel.“

„Wie habt Ihr mich genannt?“

„Kleiner Esel – das bist du nämlich, weißt du. Ein kleiner Esel, geduldig und willig, weit über seine Kraft hinaus beladen und durch die Bürde fast zerbrochen. Aber noch nicht ganz – mit Fürsorge und Sanftheit kann es Heilung geben.“

Frodo schüttelte den Kopf und hob sein Gesicht dem Fremden entgegen. „Ich wünschte, es könnte so sein, das tue ich wirklich! Aber Gandalf sagte, ich würde niemals heil werden – und Saruman – die Finsternis ist jetzt in mir, und ich kann es nicht ertragen! Und sie wird tiefer, jeden Tag wird sie tiefer...“

Der Fremde kauerte sich dicht neben ihn, und in seinen Händen hielt er wie in einer Schale ein winziges Vogelnest aus miteinander verwobenen Gräsern. Drei kleine, getupfte Eier lagen darin; sie sahen glänzend und sauber aus, wunderschön in ihrer Schlichtheit und ihrer Verheißung.

„Nicht berühren, Esel,“ sagte er leise, und Frodo zog den Finger zurück. „Warte.“

Sie saßen in atemlosem Schweigen, und dann war da ein Flirren von Flügeln und ein Vogel flog zwischen ihnen hindurch und landete auf dem Nest. Er stand einen Moment still, bevor er seine Federn aufplusterte und sich über den Eiern niederließ. Er hatte nur ein Bein.

Das Nest lag in den Händen des Fremden, und der Vogel saß in dem Nest, scheinbar furchtlos, das eine Bein unter den Leib gezogen.

„Ist sie zerbrochen, Esel? Oder ist sie geheilt?“


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