Ein anderer Abschied (Another Way of Leaving)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Kapitel 4:
Der andere Zauberer

Er war zu sehr von Staunen erfüllt, um zu antworten. Nach ein paar Minuten trug der Fremde das Nest, in dem der Vogel noch immer gelassen saß, zu einem Busch hinüber und setzte es vorsichtig wieder auf den Boden. Frodo stand auf und ging hin, um zu schauen, aber sobald der Mann in seinem braunen Gewand einmal zurück getreten war, konnte er weder Nest noch Vogel erkennen, obwohl er ungefähr wusste, wo sie sich befinden mussten.

„Wieso wusstet Ihr, dass er da war?“ Es war die geringste seiner Fragen, aber die einzige, die in Worte zu fassen er imstande war.

„Filit? Oh, sie brütet jedes Jahr an der selben Stelle. Wir sind alte Freunde – Ich komme jedes Frühjahr, um nach ihr zu sehen.“

„Filit – kleiner Vogel.“ übersetzte Frodo.

„Ich fürchte, was Namen angeht, bin ich nicht sehr einfallsreich.“

Frodo lachte; plötzlich fand er, dass er diesen Mann mochte, der seine bestimmte Art mit solcher Sanftheit verband.

„Nein, das seid Ihr sicher nicht! ,Esel’, also wirklich – wenigstens hättet Ihr es in irgend einer Elbensprache sagen können!“

Aber siehst du, du bist ein Hobbit. Elbisch würde nicht passen – während ,Esel’ ganz genau zu dir passt. Demütig, aber stur. Wieso glaubst du, du wärst über alle Heilung hinaus?“

Der Fremde wanderte herum und stieß mit einem Fuß, der in einer Sandale steckte, gegen den Boden. Er bückte sich, und als er sich aufrichtete, hatte er einen Pilz in der Hand.

„Wir könnten deine Tasche noch einmal brauchen, Frodo Esel. Ein Apfel macht noch kein Frühstück.“

Gehorsam holte Frodo die Satteltasche und half beim Pilzesuchen – diesmal keine Todesengel. As die Tasche voll war, kehrten sie zum Feuer zurück, das nun bis auf die glühenden Kohlen hinunter gebrannt war. Der Fremde kramte in einem Stoffsack herum, den Frodo zuvor nicht bemerkt hatte; er lag auf dem Boden dicht neben dem Höhleneingang Er brachte eine kleine Pfanne aus einem glänzenden Material zum Vorschein.

„Keine Butter,“ sagte er fröhlich. „Hast du noch etwas Wasser in deiner Flasche?“

„Woher wisst Ihr, dass ich eine Wasserflasche habe?“ Frodo fand das Vorauswissen seines Gefährten ein wenig unheimlich.

„Du würdest dein Zuhause nicht verlassen, ohne Wasser mit zu nehmen, nicht nach Mordor. Wenn du welches übrig hast, gieß es in die Pfanne. Ich suche uns ein bisschen wilden Thymian für den Geschmack.“

Frodo tat wie ihm geheißen; er saß im Schneidersitz vor dem Feuer und rührte die Pilze mit einem abgeschälten Zweig um. Der Mann kehrte mit ein paar Thymianblättern zurück, die er zerpflückte und in die Pfanne gab.

Sie aßen schweigend. Sie hatten zwei oder drei verschiedene Pilzsorten gesammelt, aber Frodo tat es um die Todesengel Leid – das Essen wärmte ihn und füllte ihm den Magen, aber es brachte ihn seinem Ziel nicht näher. Die Finsternis würde wiederkommen, und er war es so müde, ihr zu widerstehen.

„Wenn du ein erschöpftes, verletztes Tier hättest, Esel, das gutherzig wäre – wie würdest du dich darum kümmern?“

„Ich weiß nicht – ich würde nicht wissen, wie ich mich kümmern soll. Ich habe keine gute Hand mit Tieren; ich habe nicht einmal daran gedacht, letzte Nacht einen Apfel für mein Pony mitzubringen!“

„Nein – davon hat er mir erzählt. Er sagte aber auch, es hätte dir Leid getan.“

Frodo starrte ihn an, den letzten Pilz noch auf halbem Weg in seinen Mund. „Mein Pony hat mit Euch geredet---! Nein, das ist zu merkwürdig – wer in Mittelerde seid Ihr? Ihr seid wie Gandalf, nur – seid Ihr der andere Zauberer? Der, der mit den Vögeln redet?“

„Radagast der Braune, jawohl. Der närrische Tierliebhaber, der den ganzen Tag unter einem Baum sitzt und mit den Vögeln redet, und noch schlimmer, der ihnen zuhört! Und doch sind die Tiere weise. Sie machen nicht viel Lärm in der Welt, aber sie leben näher an ihrer Bestimmung als manch andere von größerem Stolz, Elben, Menschen und Zauberer.“

„Und ihre Bestimmung ist...?“

„Sich daran zu erfreuen, dass sie inmitten einer lebendigen Welt leben, und so das Herz von Eru zu beglücken, der ihnen Leben gab.“

Frodo rutschte ruhelos hin und her; er zerbrach den Stecken, mit dem er die Pilze umgerührt hatte und warf ihn Stück für Stück ins Feuer.

„Unsere Freundschaft würde bessere Fortschritte machen, wenn du sagen würdest, was du denkst, Esel. Es hat keinen Zweck, wenn du dich verdüsterst wie eine Sturmwolke.“

Frodo zuckte die Achseln. „Du zeichnest eine sehr hübsche Landschaft, Aiwendil* – dein Name auf Quenya passt sehr gut zu dir! Aber die Natur ist nicht so idyllisch, wie du sie darstellen möchtest. Sie fressen sich gegenseitig auf, deine weisen Tiere.“

Der braune Mann strahlte ihn an. „Das ist ein Name, den ich viele Jahre nicht mehr gehört habe – ich hatte vergessen, dass du nicht nur ein Lastenträger, sondern auch ein Gelehrter bist! Du hast Recht, Esel. Vieles ist schlecht in der Schöpfung, und die Tiere kennen den Schmerz ebenso sehr wie den Segen. Du hast selbst dabei geholfen, dieses Übel wieder gut zu machen, und ich glaube, das ist ein Teil der Bestimmung deines Lebens. Doch ist es nicht deine einzige Bestimmung, und du bist nicht der einzige Soldat, der mit der Finsternis ringt. Die Tiere töten zuweilen, und sie erleiden den Tod, aber sie verzweifeln nicht. Ich habe noch nie einen Vogel gefunden, der absichtlich gegen einen Baum geflogen wäre, um sein Leben zu zerstören.“

„Du würdest gut mit Sam auskommen. Ich glaube nicht, dass er jemals Verzweiflung gekannt hat.“

„Sam? Ach ja, der kleine Gärtner, der dir nach Mordor gefolgt ist. Her hat seine Hände lang genug in der guten Erde gehabt, um Stärke und Weisheit daraus zu ziehen, obwohl er dir nicht sagen konnte, was er weiß. Du könntest eher deinen Schatten verlieren als diesen Jungen! Er wird nach dir suchen.“

Frodo blickte sich unruhig um. Die Sonne stand hoch und hatte den Frühnebel gänzlich verbrannt. Sam war wahrscheinlich inzwischen in sein Zimmer eingebrochen. Würde er die Verfolgung aufnehmen, oder würde er seinen Herrn gehen lassen?

Er hob den Kopf und sah den Zauberer an, die Augen voller Groll. „Ohne Euch gäbe es keine Gefahr, dass er mich findet.“ Seine Stimme war bitter.

„Nicht lebend jedenfalls. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass ich heute Morgen hier war, Esel.“

„Wie das? Ihr habt gesagt, Ihr kommt jeden Frühling hierher.“

„Die letzten vier Jahre bin ich gekommen. Davor hatte ich dein Auenland nie gesehen. Das erste Mal kam ich auf der Suche nach Gandalf, mit einer Botschaft von Saruman. Und dann hastete ich zu Saruman zurück, denn ich war voller Furcht vor den Nazgûl. Aber meine Geschwindigkeit war nichts, verglichen mit der von Gandalf, und ich kam in Sichtweite von Orthanc und fand ihn bereits dort vor, auf der Turmspitze festgesetzt. Ich schickte Gwaihir zu ihm, denn ich kann nicht fliegen, so oft ich auch mit Vögeln spreche! Aber ich nahm meinen Mut zusammen und kehrte ins Auenland zurück, falls es irgend eine Hilfe gab, die ich hier anbieten konnte.“

„Und, gab es die?“

„Nicht für Hobbits, aber da war ein Vogel in einer Schlinge gefangen. Ich rettete ihn, aber sein Bein war gebrochen und wollte nicht besser werden. Endlich nahm ich es ab und es verheilte sauber. Während ich ihn gepflegt habe, sah ich dich hier, Junge. Dann ging dieser Sommer zu Ende, und ich nahm ihn mit mir in den Süden, aber im Frühling brachte ich ihn wieder nach Hause. Seitdem komme ich jedes Jahr, um zu sehen, wie es ihm geht, und jedes Jahr baut er sich hier sein Nest, neben dieser Höhle, die du die deine nennst und ich die meine. Also war ich da, als dein Elend dich her trieb, um den Tod zu suchen.“

„Und ihn nicht zu finden.“

„Der Tod scheint vor dir zu fliehen, und doch wirst du ihn irgendwann einholen. Oder du wirst zuerst Heilung finden, durch die selbe Hartnäckigkeit. Die Wahl liegt bei dir, Esel – welchem Weg wirst du folgen?“

Frodo schüttelte hoffnungslos den Kopf und starrte zu Boden. „ich weiß nicht, wo ich nach Heilung suchen soll.“


*Aiwendil - Vogelliebhaber


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