Feenweib (Faery Wife)
von willow wode, übersetzt von Cúthalion

Er ist verloren.

Immer schon, so scheint es, hat er mit vielen seines Volkes am Fluss ausgeharrt, und immer schon ist das Gerede gegangen, westwärts zu ziehen, zu sanfteren Gegenden und wogendem Bauernland – und immer schon hat er fortgehen wollen, oh, er will sich abwenden und wandern und sehen.

Also ist er als Kundschafter vorausgezogen, um grünere Felder zu finden. Er hat einen Geburtsnamen, aber der ist lange untergegangen in dem Namen, den man ihm gegeben hat – er ist klug und kann sich in die eigenartigsten Plätze hineinwinden. Trickreich nennen sie ihn, den Tuk*, weil er dem Wandern ebenso wenig widerstehen kann wie es ihm gelingt, sich von reifem Geißblatt abzuwenden, süß und feucht von Nektar.

Nur, dass er jetzt verloren ist, sein Heim weit hinter sich; nur, dass die Hügel sich nun gleichen wie ein Ei dem anderen und dass die Bäume um ihn her dichter wachsen.

Was hat ihn geritten, durch die Wälder zu wandern, so allein? Endlich verlangt jenes helle Falbhaut-Erbe sein Recht, das wie ein Rinnsal durch das Blut seiner Geschwister sickert und wie Stromschnellen in seinen eigenen Adern. Seine unheimliche Neugier bedeutet sein Ende... er wird durch diese unendlichen, bewaldeten Hügel streifen, bis er fällt; es wird nichts übrig bleiben von ihm als Knochen, überzogen mit Flechten und Moos, und er wird nichts mehr sein als ein weitere Name in der Ahnenchronik seines Volkes: „zur See gegangen“ oder „verschwunden“.

Er hat einen Zug der Melancholie, die dem heiteren Mut seiner Art beunruhigend entgegensteht – er denkt zu viel darüber nach, was sein könnte als darüber, was jetzt ist, aber er ist auch zu pragmatisch, um allzu lange düsteren Gedanken nachzuhängen. Die Hügel mögen ihn festhalten, ja – aber er wird sich nicht bloß niederlegen und sich ihnen überlassen, nicht so einfach.

Wasser findet sich leicht – er folgt den Tierspuren. Sie wechseln, drehen und winden sich einwärts: er hält seine Augen fest voraus gerichtet und blendet alles andere aus, bis er den Bach erreicht, der kühl und klar über graue Steine rinnt.

Er trinkt und taucht sein Gesicht in die scharfe Kälte, dann richtet er sich auf, um sich wie ein großer, nasser Hund zu schütteln. Es ist dieser Moment, als er das Spiegelbild sieht, undeutlich und gekräuselt, und als er begreift, dass er nicht allein ist.

Die Augen sind es, die er zuerst sieht – groß und schräg geschnitten, unergründlich tiefes Indigo mit Funken vom Blau des Himmels und Splittern aus loderndem Gold. Geißblatt ist in ihr allzu glattes, tiefdunkles Haar gewunden, winzige weiße Sterne als Schmuck für die Mitte der Nacht. Ihre seidigen Locken werden in ihr blasses, schmales Gesicht geweht. Ihre Kleider scheinen mehr aus Fetzen zu bestehen als aus irgendetwas anderem, aber während sie in der Brise der Bachniederung flattern, scheinen sie sich zu verändern; von blaugrün zu gebräuntem Gold und dann wieder zurück, als ob der zerschlissene Stoff alle Farben der Jahreszeiten in sich birgt.

Sie ist furchtlos. Neugierig.

Sie ist das merkwürdigste und allerlieblichste Ding, das er je gesehen hat.

Er steht auf, sie tut es auch. Sie ist einen vollen Kopf größer als er, aber schlank wie ein junger Baum, mit nackten, bleichen Füßen. Für lange Augenblicke starren sie einander an, über dem angeschwollenen, dahintanzenden Bach hinweg.

Sie schießt davon wie der Blitz.

Warte! platzt er heraus und folgt ihr.

Sie ist Quecksilber zwischen den Bäumen. Er rennt unbeholfen hinter ihr her, and die Erde gebunden und langsam, obwohl er einer der schnellsten Läufer seines Volkes ist.

Aber irgendwie holt er auf.

Sie bleibt an einem Baum stehen; er wird keuchend langsamer und geht unaufhaltsam in ihre Richtung. Ihre Augen tanzen, und plötzlich begreift er: sie möchte, dass er sie verfolgt.

Als ob sie sein Begreifen spürt, sprudelt ihr Gelächter wie ein arpeggio durch die Stille des Waldes. Wieder springt sie pfeilschnell davon.

Wie unter Zwang hastet er hinterher.

Sie ist ein glitzerndes Glühwürmchen, das vom Baum zu Baum flimmert. Aber es ist nicht so, dass sie ein Baumgeist wäre, braun und golden, von Wind verweht und wild. Nein, sie ist eine Eidechse, sie fließt wie Wasser über den Boden dahin, grün und irisierend. Oder eine zarte, hauchdünn gebaute Schaluppe, die über leichte Winde und glitzernde Wellen dahintreibt.

Aber als er sie endlich einfängt, da ist sie ein Mädchen, warm und weich und willkommenheißend, Sie fällt zu Boden und er mit ihr, und beide rollen weiter und weiter in das gefallene Laub. Ihr Schwung trägt sie bis zu den aufragenden Wurzeln einer alten Eiche, und Gelächter klingt in den Wald hinein, als sie sich über ihn neigt und ihre langen kühlen Finger über sein Gesicht streichen.

Ich glaube, sagt sie , noch immer lachend, dass du mich gefangen hast, schöner Junge.

Er grinst zu ihr hoch. Sie beugt sich tiefer herunter.

Gelächter wird zu Flüstern und dann zu Seufzern.

Ihr Haar hat die Farbe der Nacht, Strähnen von Indigo und Tinte und glitzerndem Silber, hauchdünne Zartheit, die an seinen Fingern haftet. Geißblatt schwebt über ihm, Duft und Klang und Gefühl, kleine weiße Blütenblätter streifen vorüber, wo braune Finger sich in schwarzen Locken fangen.

Ihre Füße sind schlank, bloß und glatt, so unähnlich seinen eigenen; er hätte nie geglaubt, davon so gebannt zu sein, aber er küsst sie und fährt mit der Zunge über den hohen Spann – und ja, da sind Schwielen, diese Füße sind lange ohne Schuhe gewesen. Und sie atmet Hitze gegen die dichten, dicken Locken, die seine Füße zieren und kichert wie ein kleines Mädchen, als der Pelz ihr Kinn kitzelt.

Ihr Körper ist Milch und Mondlicht, schlanker, als er es je bei einer Frau für möglich gehalten hätte - kleine Brüste füllen seine Handflächen, ein weicher Leib wölbt sich seinen Lippen entgegen, schlüpfriger Samt pulsiert zwischen ihren Schenkeln und gegen seine forschenden Finger, schlanke Beine und Arme wie rankendes Immergrün – aber sie ist kräftig, so kräftig wie nur irgendeine seiner Spielgefährtinnen, mit denen er sich in der Hitze der Jugend eingelassen hat.

Sie singt, als er sie nimmt, mit pochender, flüsternder Stimme, die in den Hügeln und Bäume widerhallt, and seine Stimme erhebt sich mit der ihren, drängend und heiser, als ihre Glieder sich um die seinen schlingen, glatte Fesseln, die ihn festhalten und in sie hineinziehen. Die Hitze des Blutes steigt, der Gesang seines Blutes erkennt sie, die Empfindung bindet ihn, zieht ihn in die Tiefe, ruft seinen Namen. Er unterwirft sich, obwohl auch er stark ist; Widerstand und Verstehen flüstern von einem kleinen, geheimen Ort tief in seinem eigenen Ich.

Einst waren sie von gleicher Art – getrennt und verstreut vor langer Zeit – und nun soll der Bund erneuert werden.

Und sie trägt ihn sicher, mitten im Klang des Liedes, mitten im Anblick der Sterne.

Danach ist alles Frieden und gesättigte Ruhe; schweißfeuchtes Fleisch, nahe und schwer, leise Atemzüge erfüllter Zufriedenheit.

Ich kann nicht für immer bei dir bleiben, flüstert sie ihm ins Ohr, ich kann nicht lange an Wurzel und Stein gebunden sein... aber unser Kind ist dein, und ich werde zu dir kommen, wenn ich kann, damit wir zusammen sind, wenn der Mond seinen Schleier über die Hügel wirft.

Sie geleitet ihn aus dem Wald. Er wandert drei Meilen fort von den Vorbergen und gräbt ein Erdloch, dann geht er, um seinen Leuten die Nachricht zu bringen: da sind grüne Hügel und fruchtbare Erde, soweit das Auge reicht, und Luft, die nicht immerzu nach dem braun-goldenen Fluss schmeckt.

Sie kommen... wenige zuerst, dann mehr, und sie treiben einen Smial in die Hügel, Wurzeln von Geben und Teilen, die tief einsinken und verbunden werden. Aber Tuks Höhle bleibt für sich, und das mit Absicht.

Man sagt, er lebt mit einem fremden, hoch gewachsenen Mädchen, das die Gestalt wechselt und zu den Vollmondfesten kommt, aber niemand erblickt sie jemals bei Tageslicht. Und als diese eigenartige Frau ihm einen goldäugigen Sohn schenkt, mit schwarzem Haar, dass sich auf Kopf und Zehen kräuselt, da wird sie immer seltener gesehen, und der Blick seiner Augen wird abwesend und verträumt, und sein Sohn rennt wie ein Wildfang durch die Hügel, flügelfüßig und von sanftem Geist.

Manche meinen, er sei verloren, aber Tuk weiß, er ist gefunden.


ENDE


*Original: Tuck – unübersetzbares Wortspiel mit to tuck - verstecken, schlängeln, schieben und took - nehmen, genommen.


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