Kleine Juwelen
von Shirebound


Schätze aus dem Karren

Der Junge näherte sich dem Karren ganz anders als die üblichen Schüler, und sie betrachtete ihn etwas genauer. Er war bleich, wie jemand, der im Haus aufgezogen wurde und die Sonne selten zu sehen bekam… und dünn, vielleicht sogar unterernährt. Er starrte den Karren an, als enthielte der die schönsten und zauberhaftesten Dinge auf Erden. Die Süßigkeiten, die die meisten Schüler für selbstverständlich hielten, von denen sie sich das eine oder andere nahmen, während sie ihr kaum einen Blick gönnten… für diesen Jungen schienen es Schätze zu sein, die über seine wildesten Vorstellungen noch hinausgingen. Sie sah Sehnsucht in seinen Augen und die Freude eines kleinen Kindes am Weihnachtsmorgen. Die Tatsache, dass das hier nur Harry Potter sein konnte – die legendäre Narbe war wegen seines zerzausten Haars deutlich sichtbar – erfüllte sie mit Verwirrung. Seine Kleidung passte nicht richtig, sein Benehmen war scheu. Konnte das berühmteste Kind, das je den Hogwarts Express betreten hatte, mit so wenig aufgewachsen sein, hatte er wirklich so wenige Leckereien bekommen?  

Der Junge zog Münzen aus seiner Tasche und hielt sie ihr hin; er zögerte und wirkte verwirrt. Sie hätte die Bezahlung beinahe zurückgewiesen – seine Augen und sein Lächeln waren so strahlend – aber für dieses Konfekt brauchte man bei allem Zauber trotzdem Material, Übung und Zeit, um es vorzubereiten… und Liebe zum Handwerk, Liebe für die Kinder und die Erwachsenen, denen sie solches Entzücken schenkten. 

„Wie…“ Er reichte ihr ungeschickt die Münzen. War das das erste Mal, dass er eigenes Geld zum Ausgeben zur Verfügung hatte? War das möglich? „Wieviel, Ma’am? Für etwas von allem? Ist das genug?“   

„Das reicht schon, meine Lieber,“ sagte sie sanft und nahm sich die richtige Anzahl Münzen, „Ich hoffe, du hast Freude daran.“  

Harry belud sich aufgeregt die Arme mit Schokolade, Kuchen und Pasteten. Als er sich zum Abteil zurückwandte, sah sie ihm einen Moment lang zu, wie er sich hinsetzte, wobei ihm die Naschereien aus den Händen fielen wie ein Wasserfall aus Reichtümern. Ein Junge, der kleine Kostbarkeiten so zu schätzen wusste, würde sein Vermögen sicherlich mit dem jüngsten Weasleybuben teilen – noch jemand, der sie wahrscheinlich mehr genoss als die meisten.

Einen endlosen Vorrat an neuem Zauberkonfekt herzustellen, das war schwierige und sorgsame Arbeit. Ihre Familie war eine der Handvoll Zauberer, die über Hunderte von Jahren köstliche Rezepte zur Vollkommenheit gebracht hatten – und sie waren zu Recht stolz auf jedes einzelne davon. Die Schüler fragten sie kaum einmal nach ihrem Namen, aber… sie lächelte und ging weiter zum nächsten Abteil, Herz und Schritt leichter als zuvor. Es machte nicht wirklich etwas aus, oder? Am Ende war es die ganze Sache allemal wert.


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