Der Aufstieg der Lerche (The Rising of the Lark)
von Cúthalion


Kapitel Drei
Auf der Bank

Die Nachricht, dass Faramirs Erbe nach fünf Jahren Dienst im Heer des Königs nach Hause gekommen war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Elboron war ziemlich beliebt, und als der Fürst verkündete, dass es einen Ball geben würde, um die Rückkehr seines Sohnes zu feiern, war halb Ithilien in freudigem Aufruhr.

Berittene Boten trafen ein und brachten Briefe von vielen Adelsfamilien, die die Einladung zu dem bevorstehenden Frühlingsfest gerne annahmen. Hausmädchen und Knechte fegten die Marmorböden und putzten die Fenster sogar noch penibler als üblich; geschäftige Hände polierten goldene Kerzenleuchter und brachten die silbernen Messer, Gabeln und Löffel in der Besteckkammer zum Glänzen. Die riesigen Doppeltüren im Ballsaal wurden geöffnet, um Sonnenschein und frische Luft herein zu lassen, der Rasen wurde zu samtiger Vollkommenheit gestutzt und Pavillons aufgestellt. Die Residenz summte wie ein Bienenstock, und in der Küche verfiel man in einen Koch- und Backrausch.

Siebenundzwanzig Jahre Ehe hatten die Fürstin von Ithilien gelehrt, solche Vorbereitungen souverän und gelassen in Angriff zu nehmen. Sie organisierte eine Woche wirbelndes Chaos so präzise wie ein Uhrwerk, und weder die fehlende Weinlieferung aus Lebennin noch der Nervenzusammenbruch des Mundschenken (eine direkte Folge des Missgeschicks mit dem Wein) konnte sie aus der Ruhe bringen.

Nichtsdestotrotz war Éowyn zwei Tage, bevor der Ball stattfinden sollte, zu Pferd unterwegs; sie ritt zum Anduin hinunter, die Zügel lose, während ihre Stute gemächlich den Weg entlang trabte, der zum Haus der Heilerin führte. Die Dämmerung tönte die sanften Hügel mit blaugrauen Schatten, und als sie auf die Lichtung ritt, war die Luft süß und schwer vom Duft nach Zedern und Salbei. Beinahe sah sie die stille Gestalt nicht, die auf der Bank neben dem Hauseingang saß; erst als eine leise Stimme sie ansprach, wandte die Fürstin den Kopf und ihr Gesicht wurde von einem Lächeln erhellt.

„Vor dem Chaos geflüchtet, Eure Hoheit?" meinte die Heilerin mit einem Augenzwinkern.

„Schon eher davon gestohlen," erwiderte Éowyn und schwang sich aus dem Sattel. Sie schlenderte zu der anderen Frau hinüber, die Schritte noch immer federnd. Die Schildmaid von Rohan hatte nie ihre natürliche Schönheit verloren; die Lachfältchen um ihre scharfen, grauen Augen und die grauen Strähnen in ihrem langen, blonden Haar sprachen von Erfahrung und Weisheit, nicht vom Alter. Sie setzte sich neben die Heilerin auf die Bank und betrachtete sie mit mehr als nur einem Hauch von Ironie. „Werdet Ihr jemals lernen, mich nicht mehr ,Eure Hoheit' zu nennen?"

„Ich bin nicht sicher," sagte Noerwen gedankenvoll und streckte die Beine. „Ich fürchte, ich werde mich nie an ein passendes Betragen gewöhnen. Was natürlich seine Vorteile hat... ich darf Minas Tirith jederzeit besuchen, die Gärten der Königin durchstreifen und sogar von Zeit zu Zeit dem König eine Pfeife stopfen, aber ich werde wohl kaum jemals wieder zu einem dieser Frühstücke mit den Hofdamen eingeladen."

„Was Euer Fehler ist, und der Eure ganz allein," entgegnete die Fürstin trocken. „Die Herrin Alassiel von Lamedon zu kränken, war nicht der beste Weg, ihre Zuneigung zu gewinnen."

„Sie hat mich zuerst gekränkt," sagte Noerwen vollkommen ungerührt. „Laut zu fragen, wieso ,in den Häusern der Heilung Verbände zu wickeln und dann im Schmutz von Ithilien hinter Kräutern her zu kriechen schon ausreicht, unter die Damen der Königin geladen zu werden', war ganz sicher die schlechteste Art, meine Zuneigung zu gewinnen. Ich frage mich, wie Herr Angbor es fertig gebracht hat, bis jetzt dreißig Jahre Ehe mit ihr zu überstehen."

„Aragorn hat ihn nicht umsonst ,Angbor den Angstlosen' genannt." Éowyn grinste.

„Gewiss." Noerwen nickte. „Wenn ich er wäre, ich würde es jederzeit vorziehen, einem Heer von untoten Kriegern entgegen zu treten. Er ist ein wahrhaft mutiger Mann. Und überaus freundlich. Sie dagegen..." Sie schaute auf ihre Hände hinunter. „Wisst Ihr, ich habe mein harmlosestes Gesicht aufgesetzt, habe sie angelächelt und ihr dann gesagt, dass ich freudig immer wieder Verbände für die Verwundeten aus der Schlacht auf den Pelennorfeldern wickeln würde, anstatt meine Zeit in der Gegenwart einer aufgeblasenen Kuh mit der Zunge einer Natter zu verschwenden."

„Ich vermute, sie war nicht gerade belustigt," bemerkte Éowyn, das Gesicht sorgsam ohne jeden Ausdruck.

„Das glaube ich auch nicht." Die Heilerin langte nach einem Krug und einem Becher, die im Schatten der Bank standen. „Sie sah alles andere als erfreut aus, als ich mich von meinem Stuhl erhob, vor dem Rest der Damen einen Hofknicks machte und den Garten verließ wie ein Schiff unter vollen Segeln. Es war das erste Mal, dass ich einen dramatischen Abgang ehrlich genossen habe. - Ihr müsst meinen Wein versuchen; letztes Jahr hatten wir nicht viele Trauben, aber dafür reichlich Sonne." Sie füllte den Becher und reichte ihn der Fürstin.

Éowyn nahm einen kleinen Schluck und lächelte. „Sehr gut... und ein wenig süßer, als ich erwartet hatte."

„Ich habe die Trauben mit Blaubeeren gemischt," erklärte Noerwen und bediente sich selbst mit dem Wein. „Gibt eine feine Mischung, und wenn ich ein paar ausgewählte Kräuter hinzufüge, dann bekomme ich sogar einen sehr wirkungsvollen Stärkungstrank."

„Genau das, was ich jetzt nötig habe." Éowyn nahm einen weiteren Schluck und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzer an die Hauswand. „Mit den Vorbereitungen komme ich leicht zurecht, und ich kann auch ganz sicher eine Horde Edelleute aus Gondor in meinem Heim ertragen... aber die nächste angebliche Braut ist mein Untergang."

„Die nächste Braut?" Die Heilerin warf ihr einen scharfen Seitenblick zu. „Wer soll denn heiraten?"

„Nun..." Éowyn leerte den Becher mit einem einzigen Zug. „Elboron, natürlich."

*****

„Elboron!" Die Heilerin starrte die Fürstin an. „Wieso um Himmels Willen... wie alt ist er? Dreiundzwanzig?"

"Fünfundzwanzig, und endlich volljährig." Éowyn stellte ihren Becher vorsichtig auf die Bank. „Sein Dienst im Heer des Königs war offensichtlich zeitraubend genug, um ihn davon abzuhalten, ein Auge auf irgendeine junge Dame zwischen Edoras und Minas Tirith zu werfen."

„Und die Gesellschaft seiner Waffenbrüder wird ihn auch auf Trab gehalten haben," stellte Noerwen fest. „Aber trotzdem - wie die Zeit vergeht!"

„Das tut sie wirklich." Die Fürstin ließ ihren Blick über die stillen, duftenden Gärten schweifen. „Ich muss gestehen, dass die Dinge weit einfacher wären, wenn er beim Nachhausekommen das Gesicht irgend einer hübschen Jungfer im Kopf gehabt hätte. In diesem Fall würden wir jetzt den Stammbaum ihrer Familie prüfen, die ersten Übereinkünfte treffen und alles darauf vorbereiten, sie bei Hofe vorzustellen... für den Fall, dass sie nicht zum Adel von Gondor gehört."

„Das klingt ziemlich anstrengend," sagte die Heilerin mit einem halben Lächeln. „Und nicht nur für dieses arme Mädchen, sondern auch für Elboron."

„Er ist der einzige Erbe des Fürsten von Ithilien, Abkömmling des Königshauses von Rohan, und Nachfahre von dreißig Generationen Truchsessen obendrein," sagte Éowyn, und ein Schatten verdunkelte ihr Gesicht. „Er muss gewissen... Erwartungen entsprechen."

„Was soll das heißen?" fragte der Heiler. „Gibt es eine Liste wünschenswerter und nicht ganz so wünschenswerter Maiden, gestaffelt nach ihren Tugenden oder Fehlern?"

Éowyn starrte sie leicht erschrocken an. „Nein. Natürlich nicht." Sie hielt inne. „Aber bei meinen Sohn kann die Entscheidung, wen er heiratet, nicht allein eine Herzenssache sein."

„Hm." Die Heilerin runzelte die Stirn. „Wie frei darf er denn dann überhaupt wählen?"

„Natürlich so frei, wie wir es möglich machen können, ohne einen riesigen Skandal zu verursachen," sagte die Prinzessin. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem freudlosen Lächeln. „Doch kann ich Euch versprechen, dass wir ihm nicht aus dynastischen Gründen irgendein farbloses Edelfräulein aufdrängen, das ihm gleichgültig ist."

„Gut zu hören," entgegnete die Heilerin trocken. „Nur aus Neugier - wie würde man die Dinge regeln, wenn er nicht der Erbe von Ithilien, sondern statt dessen der zukünftige König von Rohan wäre?"

„Nicht so sehr verschieden," sagte die Prinzessin. „Mein Bruder hatte Glück, als die Frau, in die er sich nach dem Ringkrieg verliebte, nicht nur temperamentvoll und schön war, sondern auch die Tochter des Fürsten von Dol Amroth. Das Hof-Zeremoniell der Rohirrim mag nicht so verwickelt sein, und die adeligen Familien nicht halb so heikel, aber gewisse Regeln sind genau die selben. Und ich denke, das werden sie auch immer sein... nicht, dass ich sie jemals in Frage gestellt hätte. Sie waren der Rahmen, mit dem ich aufgewachsen bin."

Sie lächelte die Heilerin an.

„Und vergesst nicht, dass ich Glück hatte. In einem Haus zu leben, das hauptsächlich von Männern bevölkert war, und einen Großteil meiner Zeit in den Stallungen oder auf dem Pferderücken zu verbringen, hat es mir erspart, in einer Kemenate eingeschlossen zu sein, über einen Stickrahmen gebeugt."

„Wahrhaftig," sagte Noerwen. Ein Hauch Lachen schwang in ihrer Stimme mit. „Was selbstverständlich eine Schande ist, wenn man bedenkt, wie viele Kissen ihr anderenfalls bis zum heutigen Tage schon verziert haben könntet."

„Oh, Ihr seid unverbesserlich!" rief die Fürstin aus, aber sie lachte auch, und die angestrengten Linien, die Noerwen deutlich um ihre Augen und ihren Mund wahrgenommen hatte, waren fast spurlos verschwunden.

„Ich muss jetzt gehen, ehe mein Haushofmeister meine Gemächer mit einer weiteren Liste stürmt, die ich absegnen muss, und eine Panikattacke erleidet, weil er mich dort nicht vorfindet." Éowyn erhob sich von der Bank. „Oh - und da gab es noch einen Grund, der mich hier herunter geführt hat, auch wenn Ihr mich den habt vergessen lassen, mit Eurem Garten und Eurem Wein." Sie zog eine kleine Pergamentrolle aus ihrem Reitumhang und reichte sie der Heilerin.

Noerwen öffnete die Rolle und überflog die eleganten Zeilen, die darauf geschrieben standen. Sie holte tief Luft und blickte auf. „Das kann nicht Euer Ernst sein."

„Oh doch, das ist es," sagte die Prinzessin leichthin. „Obwohl ich zugeben muss, dass es nicht mein Einfall war. Der König und die Königin werden auch hier sein, um die Rückkehr meines Sohnes gemeinsam mit uns zu feiern. Und Arwen sagte mir, sie würde Eure Tochter gern sehen."

„Sie kann sie ganz leicht sehen, wenn sie uns einen Besuch abstattet," sagte Noerwen. Ihr Tonfall war leicht schroff. „Was sie schon viele Male zuvor getan hat. Wieso auf diesem Ball? Nach den strengen Regeln der gondoreanischer Etikette ist meine Tochter nicht hoffähiger, als ich es bin."

„Die Entscheidungen der Königin setzen jede Regel außer Kraft, die sie nicht zu beachten wünscht," sagte Éowyn. „Wieso seid Ihr so überrascht, dass sie beschließt, die Tochter einer Frau einzuladen, die sie als vertrauenswürdige Freundin schätzt? Übrigens ganz genau wie ich."

Noerwen blinzelte. „Äh... ich danke Euch. Aber trotzdem..."

Éowyn schaute auf die Frau hinunter, die auf der Bank saß. Ihr entging weder die stocksteif aufgerichtete Haltung noch die schmale, starrsinnige Linie ihres Mundes. Eine vertrauenswürdige Freundin, in der Tat. Ihr Blick wurde weich.

„Mach Euch keine Gedanken." Sie berührte die Heilerin an der Schulter. „Eure Tochter wurde von jemandem aufgezogen, dem ich große Achtung entgegen bringe. Wenn Ihr zustimmt, Ihr die Gelegenheit dazu zu geben, wird sie eine strahlende Zierde auf dem Ball sein. Macht Lírulin die Freude - und wenn Ihr die Hilfe meiner Schneiderin für ein passendes Gewand braucht, lasst es mich einfach wissen."

„Das werde ich," sagte Noerwen. „Aber ich muss Lírulin natürlich zuerst fragen."

„Natürlich," entgegnete Éowyn. Sie ging zu ihrem Pferd hinüber, das auf der Wiese neben einem Lavendelbeet graste. „Danke für den Wein, und noch einen schönen Abend!"

Noerwen beobachtete die Fürstin, während sie die Stute bestieg, sie auf den dunklen Waldrand zu lenkte und davon ritt, eine Hand zum Abschiedsgruß erhoben. Noch lange, nachdem Pferd und Reiterin zwischen den Bäumen verschwunden waren, saß sie auf der Bank, die Augen blicklos. Sie drehte das Pergament zwischen den Händen, das der Grund für ihr Unbehagen war.

Endlich stand sie auf und reckte sich; sie gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem Seufzer lag.

„Eine vollkommene Närrin bist du," murmelte sie vor sich hin. „Nun ja... wenigstens solltest du dafür sorgen, dass dieses besondere Aschenputtel auf dem Heimweg nicht seinen Schuh verliert."


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