Der Ork der Königin (The Queen's Orc)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Siebenundzwanzig
Die Elben von Eryn Lasgalen

Endlich kamen sie an die Straße, die vom Düsterwald nach Westen verlief. Die Stelle, an der sie den Fluss überquerte, war auf Arwens Karte als die Alte Furt angezeichnet, aber tatsächlich gab es dort eine neue Steinbrücke, und die Straße selbst war gepflastert und in guten Zustand. Niemand war in Sicht, doch nachdem er sich gründlich umgesehen hatte, zog Canohando Malawen zurück und suchte nach einem Baum, in dem sie ihre Hängematten festmachen konnten.

„Wir werden einen Tag lang oder zwei nur beobachten, und sehen, wer diese feine Brücke benutzt,“
„Hast du Angst?“ fragte sie überrascht. „Orks haben sie doch sicher nicht gebaut, und du hast den Brief der Königin - “

„Elladans Passierschein haben wir auch noch, aber Vorsicht bedeutet Weisheit. Wer, glaubst du, herrscht über dieses Land, nun, da der Sohn des Königs in Gondor regiert? Die Brüder der Königin, die Bruchtal gehalten haben, sind fort, aber irgendjemand muss hier im Norden der Herr sein.“

Malawen blickte verwirrt drein. „Das Nördliche Königreich ist noch immer unter der Herrschaft des Königs.“

„So sollte es sein, aber wir sind weit weg von Minas Tirith. Wenn Eldarions Hauptleute getreu sind... aber nicht alle Menschen sind getreu. Also werden wir warten und ein wenig zuschauen.“

„Du bist genauso vorsichtig wie Celeborn,“ sagte sie. „Ich glaube, dass es deine Bestimmung sein muss, ein Königreich zu beherrschen.“

Canohando schnaubte. „Wenn meine Bestimmung uns sicher nach Bruchtal bringt, und danach mich ins Auenland, bin ich schon zufrieden. Wer ist Celeborn?“

Sie starrte ihn an. „Wieso... er ist Galadriels Gemahl, der mit ihr über Lothlórien regiert hat. Und nebenbei war er Undómiels Großvater - wie kann es sein, dass du noch nichts von ihm gehört hast?“

„Woher sollte ich die Familiengeschichte der Königin kennen, Kleine? Ich bin ein Ork; ich weiß vom Kriegshandwerk und der Jagd. Und ich kenne die Geschichten, die der alte Mann uns erzählt hat, und die, die du erzählst... nicht mehr als das.“

Aber ihre Gedanken waren zu dem zurück gekehrt, was er zuvor gesagt hatte. „Was meinst du damit: wir nach Bruchtal und du in das Auenland? Ich will mit dir gehen, Canohando.“

„Hier ist deine Hängematte, Elbchen; steig hinein und ruh dich aus. Ich hänge meine dicht daneben, und du sollst mir von diesem Celeborn erzählen.“

Doch als er sich hinlegte und zu ihr hinüber schaute, erwiderte Malawen sein Lächeln nicht. „Canohando, ich will mit dir in das Auenland gehen,“ sagte sie.

„Elbchen...“ Er zögerte. „Ich bringe dich nach Bruchtal, damit du einige von deinem eigenen Volk findest, die mit dir nach Valinor reisen können. Es ist dein Geburtsrecht. Du darfst es nicht fortwerfen.“

Plötzlich setzte sie sich auf und brachte ihre Hängematte zum Schaukeln. „Hör mir zu, Ork, und hör mir gut zu! Ich gehe nicht nach Valinor.“ Ihre Stimme bebte vor Leidenschaft, „Zum Guten oder zum Bösen, ich werde in Mittelerde bleiben, und wenn du mich nicht bei dir haben willst, dann bleibe ich allein.“ Sie war wie ein wildes, kaum gezügeltes Ding, aber dann füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie kauerte sich zusammen, die Hände vor dem Gesicht.

„Kleine - “ Er suchte sich seinen Weg an dem Ast entlang, bis er neben ihr stand, und streichelte ihr zerzaustes Haar. „Nein Elbchen, nicht weinen! Ich lasse nicht zu, dass du alleine bleibst; wenn du wirklich nicht mit deinem Volk segeln willst, dann nehme ich dich mit. Aber ich denke, du solltest gehen.“

Sie schüttelte den Kopf, das Gesicht verborgen. Er beugte sich vor, legte ihr einen Arm um die Schultern, wahrte waghalsig die Balance und hielt sich mit einer Hand an dem Zweig über sich fest. „Nicht weinen,“ sagte er wieder. „Ich werde dich nicht verlassen. Du sollst mit mir reisen, so lange du willst... bis du sagst: ,Mach dich fort, Grauhaut; ich bin es leid, dir Geschichten zu erzählen!'“

„Das werde ich nie sagen!“ Sie spähte zu ihm hoch, unter Tränen lächelnd.

*****

Sie beobachteten die Straße drei Tage lang, und in all dieser Zeit sahen sie niemanden. Endlich war Canohando zufrieden; am vierten Morgen rollte er ihre Hängematten zusammen, ließ sich auf den Boden hinab – und wäre beinahe auf einen Elb getreten, der am Fuß des Baumes saß.

Er warf sich selbst zur Seite, zum Angriff bereit, aber ohne die Waffe zu ziehen; er beobachtete die Augen des anderen. Der Elb sprang auf und zog aus einer Doppelscheide, die hinter seinen Schultern hing, ein Paar schlanker Messer, schnell wie ein Peitschenschlag. Canohando trat einen Schritt zurück und hielt seine leeren Hände vor sich ausgestreckt.

„Ich bin keine Feind, Erstgeborenener, nur ein Reisender durch dieses Land.“

„Er spricht die Wahrheit,“ sagte Malawen laut, ließ sich zur Erde fallen, rannte herbei und pflanzte sich vor Canohando auf. „Steck deine Messer weg, Verwandter. Dies hier ist Canohando, der Schatten der Königin.“

„Welche Königin?“ Der Elb betrachtete sie ohne jede Freundlichkeit. „Wer bist du, Wechselbalg, dass du dich in solcher Gesellschaft bewegst?“

„Zeig ihm den Brief,“ murmelte Malawen, aber Canohando nahm seine Augen nicht von dem Elb.

„Dies ist ein Kundschafter, denke ich, für eine Gruppe, die hinterher kommt. Wer ist dein Herrn, Erstgeborener?“

„Gut geschlossen, Ork. Mein Name ist Galuir, und mein Hauptmann ist Itaril von Eryn Lasgalen. Er ist es, der beurteilen wird, wie man mit euch verfahren soll. Geht jetzt vor mir her, zur Straße.“

Canohandos Bogen erschien plötzlich in seiner Hand. „Wir sind nicht deine Gefangenen, Freund, und niemand muss entscheiden, wie man mit uns verfährt.“ Sein Pfeil zielte auf das Herz des Kundschafters, und Malawen schnappte nach Luft. „Hab keine Angst, Elbchen; ich werde nicht - “

„Nein – schau!“ rief sie aus.

Sie saßen in der Falle. Eine Gruppe Elben war plötzlich aus den Wäldern, die sie umgaben, hervor gekommen, die Bögen gespannt. „Leg deine Waffe hin, Ork, oder wir machen euch allen beiden den Garaus,“ sagte der eine, den sie für einen Kundschafter gehalten hatten.

Canohando ließ seinen Bogen auf die Erde fallen. „Was für eine Art Elben seid ihr, dass ihr eine der Euren bedroht?“ Er nickte zu Malawen hinüber.

Die Augen des Elben verschleierten sich. „Unsereiner verkehrt nicht mit Orks,“ sagte er. Er machte eine ruckartige Kopfbewegung, und einer der Bogenschützen senkte seinen Bogen und trat vor.

„Tritt zurück von ihm,“ sagte er zu Malawen, aber sie drehte sich um und warf die Arme um Canohandos Mitte.

„Ihr werdet ihm kein Leid zufügen! Er ist der Ork der Königin, von Arwen Undómiel! Er hat über sie gewacht, er hat sie nach Lothlórien geleitet, sie hat ihm Gunst erwiesen. Ihr müsst sehen - “

„Ich sehe eine Dunkelelbin, die sich dem Schatten zugewandt hat,“ sagte der Anführer grimmig. Er starrte Canohando unter gesenkten Brauen an. „Schieb sie weg von dir, oder ich durchbohre euch beide mit einem Pfeil.“

Canohando beugte sich über Malawen und küsste sie auf die Stirn. „Er wird es tun, Elbchen.“ Er langte verstohlen nach oben und zerrte an der Kette um seinen Hals, bis sie riss; dann schloss er die Finger um den Juwel und drückte ihn ihr in die Hand. „Bewahr das für mich auf, und tritt beiseite.“ murmelte er. Er stieß sie zurück, stellte sich aufrecht hin und wartete.

„Bindet sie,“ sagte der Anführer. „Celeborn muss sie befragen; es ist ein böses Omen, wenn Elben sich hier direkt auf unserer Türschwelle mit den Kreaturen der Finsternis verbünden.“ Und Malawen hatte gerade noch Zeit, den Juwel heimlich in ihre Tasche gleiten zu lassen, während Canohandos Hände gefesselt wurden, ehe ihre eigenen Handgelenke nach hinten gezerrt und zusammen gebunden wurden.

Die Elben zogen mehrere Längen Seil durch ihre Fesseln, an denen sie geführt wurden, und dem Ork teilten sie zwei Wachen zu, eine auf jeder Seite; sie fürchtete eindeutig, dass er fliehen könnte. Canohando verbarg seine Belustigung darüber; er hätte leicht ausbrechen können, aber er wollte Malawen nicht im Stich lassen.

Und während er über die Worte des Anführers nachdachte, der sie eine Dunkelelbin genannt hatte, fing er an, sich zu fürchten. Was mochten die Elben einer der Ihren antun, die sich dem Schatten zugewandt hatte? Und er hat nicht ganz unrecht, dieser Galuir. Sie hat sich noch nicht ergeben, aber die Finsternis hängt über ihr. Wenn ihre eigenen Leute sie misshandeln...

Als sie die Straße erreichten, stellten sie fest, dass dort Pferde warteten, zusammen mit vierzig weiteren Elben. Galuir ging voraus, bedeutete ihren Wachen, stehen zu bleiben und kehrte ein paar Augenblicke später mit einem anderen Elb zurück, hochgewachsen und von vornehmer Haltung, der einen großen, weißen Bogen auf dem Rücken trug.

„Es war Glück, dass ich sie gefunden habe; der Ork ist mir aus einem Baum herab praktisch auf den Schoß gestiegen, und das Mädchen kam ihm nach.“

Der Hauptmann würdigte Canohando kaum eines Blickes, aber er betrachtete Malawen von Kopf bis Fuß und blickte auf sie herab, als wäre sie eine schmutzige Göre, die erwischt worden war, während sie einen Straßenhändler ausraubte. Endlich streckte er die Hand aus, packte sie am Kinn und drehte ihre vernarbte Wange ins Licht. Sie fuhr zurück, rot vor Scham und Zorn, und er runzelte die Stirn.

„Was hast du über dich selbst zu sagen, Balg? Du bist in ungesunder Gesellschaft, und es sieht aus, als hättest du Grund genug, das auch zu wissen, wenn man diese Narbe betrachtet. Wie ist dein Name?“

Sie hob den Kopf und starrte ihn finster an. „Ich bin Malawen, Essiels Tochter, aus Lothlórien, Und das ist - “

Er fiel ihr ins Wort. „Ich habe nach deinem Namen gefragt, Wechselbalg, nicht nach dem deines Kumpanen. Er ist ein Ork; das ist alles, was ich wissen muss. Aber ich frage mich, was ihr hier tut, ihr beide, am Rand von Eryn Lasgalen, und ganz besonders würde ich gern wissen, wieso ein Elbenkind sich gemeinsam mit einem der Diener des Feindes auf einem Baum befindet.“

„Er ist kein Diener des Feindes!“ protestierte sie. „Er war Undómiels Leibwächter, bis sie starb - “

„Arwen Undómiel ist tot?“ unterbrach sie der Elb, und sie nickte.

Sein Gesicht war schon vorher hart gewesen, aber jetzt war es dunkel vor Misstrauen. „Also kundschaften du und dieser Teufel unsere Grenzen aus – und du hattest eindeutig schon früher mir Orks zu tun, auch wenn dein Gesicht lange verheilt ist - “ Er wandte sich dorthin, wo Galuir stand und lauschte. „Du hast Recht; wir sollten sie zu Celeborn bringen. Und wir reiten besser weiter, wenn wir heute noch irgend ein Stück des Weges zurücklegen wollen.“ Er ging davon und überließ es Galuir, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

Malawen wurde nicht allzu sanft auf ein Pferd gehievt, hinter den Elb, der sie aus den Wäldern geführt hatte.

„Wie kann ich mich festhalten, wenn mir die Hände hinter dem Rücken gefesselt sind?“ verlangte sie zu wissen. Ihre Stimme klang wütend, nicht ängstlich, und ihre Augen flammten. „Wollt ihr, dass ich herunter stürze und zertrampelt werde? Ihr seid genauso übel wie die Orks, die Lothlórien während des Krieges überfallen haben!“

„Gesprochen wie jemand, der sie gut kennt,“ sagte ihr Wächter mit finsterer Ironie. Er drehte sich rasch um und band ihr einen Schal über den Mund, obwohl sie sich wehrte.

„Euer Celeborn wird sie nicht verhören können, wenn sie tot ist,“ sagte eine kalte Stimme. „Binde ihre Hände nach vorn, um deine Mitte.“

Der Reiter schaute verblüfft in das Gesicht des Orks hinunter; Canohando hatte sich neben Malawen manövriert, trotz der Bemühungen seines Fängers, ihn zurück zu halten. Einen Moment später sagte der Elb:

„Er hat Recht. Jemand soll kommen und mir mit ihr helfen; ich schaffe es nicht allein.“

Keiner der Elben war bereit, den Ork hinter sich reiten zu lassen. Canohando stand still da, während sie hin und her argumentierten, aber als sie endlich beschlossen, dass er nebenher rennen musste, sein Seil an ein Pferdegeschirr gebunden, da zwinkerte er Malawen zu. Ihr Gesicht – wenigstens das, was er hinter dem Knebel davon sehen konnte – war bleich, doch gefasst, aber er dachte, dass sie ihm zulächelte.

Nach Orkmaßstäben war es ein leichter Marsch, obwohl Canohandos Füße unter dem Steinpflaster, auf dem er lief, zu leiden hatten. Seine Stiefel waren in dem Rucksack, zusammen mit ihren Hängematten; sie waren unter dem Baum zurück geblieben. Während er rannte, erinnerte er sich an die Reise von Minas Tirith, als er neben dem Pferd der Königin Schritt gehalten hatte, und er sehnte sich nach seiner Herrin. Sie hätte gewusst, was man zu diesen Elben mit den eisenharten Gesichtern sagen musste, damit sie verstanden; sie hätte dafür gesorgt, dass sie das Elbenmädchen freundlich behandelten.

Er fragte sich, ob er Arwens Brief zum Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit hätte vorzeigen sollen. Es war so schnell geschehen – und wie kam es, dass er den Elb am Fuß des Baumes nicht bemerkt hatte, von dem ganzen Rudel Elben in den Wäldern ringsherum gar nicht zu reden? Er verfluchte sich bitter dafür, dass er nicht besser Wache gehalten hatte. Alles woran ich gedacht habe, war mein Elbchen... wie hell und strahlend sie ist, wie froh ich bin, wenn ich sie bei mir habe. Was werden sie mit ihr machen, wenn dieser Celeborn mit seinem Verhör fertig ist? Sie werden mich erschlagen, und ich werde nicht da sein, um sie zu beschützen...

Ghul-rakk, du Narr!

Er riss seinen Geist mühsam zurück von allen Selbstvorwürfen. Jetzt war die Zeit, an Informationen zu sammeln, was er konnte, und einen Plan zu schmieden. Er hatte darin versagt, sein Elbchen zu beschützen, aber vielleicht konnte er sie immer noch retten.

Er strengte sich an, jedes Wort zu hören, das die Elben sagten, aber es nützte ihm nicht viel. Es gab wenig Unterhaltung, und jede einzelne davon in der Elbensprache. Er schnappte den Namen Celeborn auf, und einige Male wurden Orks erwähnt, doch das war alles.

Bei Sonnenuntergang hielten sie an und schlugen ein Lager auf; verschlossene Pavillons aus einem Material, das das Rosa und Gold des Himmels reflektierte und zu einem Silberschimmer verblasste, als das Licht verging. Wie Spinnweben im Gras, wenn der Tau darauf liegt, dachte Canohando. Wieder betrachtete er die Elben, die in solchen Behausungen ausruhten. Sie waren schon von Gestalt und Angesicht, das Haar floss ihnen über die Schultern und ihre Bewegungen waren so anmutig wie ein Tanz – aber ihre Augen waren wie Glas, kühl und undurchdringlich.

Sie hatten ihn mit Händen und Füßen an einen Baum gebunden, und Malawen saß nicht weit von ihm auf der Erde; ihre Handgelenke und Knöchel waren gefesselt, aber sie war an nicht anderes fest geknotet. Niemand schien sie zu überwachen, und sie schlängelte sich Stückchen für Stückchen näher, bis sie an Canohandos Beinen lehnte. Sie blickte hoch zu ihm, die Augen flehend über dem Schal, der noch immer ihren Mund bedeckte.

„Nicht den Mut verlieren, Elbchen,“ sagte er leise. „Weißt du, wo sie uns hin bringen?“

Sie nickte und mühte sich, ihren Knebel zu lockern, indem sie ihn an seinem Knie rieb. „Nein, warte,“ sagte er. „Sie werden dich nicht verhungern lassen; sie werden das abnehmen müssen, damit du essen kannst. Sei still, Kleine, dann vergessen sie, es wieder anzulegen.“ Er lächelte auf sie hinunter. „Wir müssen an unsere Flucht denken, und das geht besser, wenn du mit mir reden kannst.“ Doch sie betrachtete ihn trostlos und sackte gegen ihn, den Kopf gebeugt.

Genau wie er es erwartet hatte, kam endlich jemand mit Essen, Es war der Elb, der neben ihm geritten war; er trug Brot bei sich und einen Weinschlauch. Als er Malawen sah, lächelte er höhnisch. „Hast du dieses Kind verhext, Grauhaut, dass es sich so an dich krallt?“ sagte er. „Warst du es, der dieses hübsche Zeichen auf ihrem Gesicht hinterlassen hat?“ Er stieß sie mit einem schlanken Fuß an. „Aufstehen, du Gnom; du kannst das Brot für dieses Vieh halten, damit es darauf kauen kann; dann kannst du selbst essen.“

„Ihre Narbe stammt nicht von mir.“ Wäre Canohando frei gewesen, er hätte den Kerl auf der Stelle erdrosselt. „Ich würde nie etwas tun, das sie verletzt. Kannst du das selbe von ihrem eigenen Volk sagen?“

Malawen kämpfte sich auf die Beine; sie fiel fast vorwärts auf das Gesicht, und der Elb bekam sie unter dem Arm zu fassen und stützte sie, bevor er den Knebel entfernte. Sie nahm den Laib unbeholfen in ihre gefesselten Hände und hielt ihn Canohando hin, bevor sie selbst etwas abbiss. Ihr Wächter stand da und sah zu, und als sie ein gutes Stück von dem Brot gegessen hatten, knotete er den Weinschlauch auf und hielt ihn, damit sie trinken konnten, Malawen zuerst.

„Wer ist dieser Ork?“ fragte er abrupt. „Hat er einen Namen?“

„Ich bin Canohando von Mordor, der Schatten der Königin.“

Der Elb zog die Augenbrauen hoch. „Das ist doch sicherlich Quenya? Wer hat dir einen solchen Namen gegeben, Grauhaut, und welche Königin beschattest du?“

Canohando nahm einen Zug aus dem Weinschlauch und fragte sich, wieviel er preisgeben sollte. „Der Braune hat mir den Namen gegeben, Ein Mann der Macht, der mit dem Ringträger gewandert ist.“ Er bemerkte den verständnislosen Blick des Elben und fügte hinzu: „Neunfinger nannte ihn Radagast.“

„Radagast!“ Ihr Wächter gab ein freudloses Lachen von sich. „Das solltest du Itaril besser nicht erzählen. Der Zauberer vom Rhosgobel ist dieser Tage in Eryn Lasgalen nicht wohl gelitten. Kein mächtiger Herrscher weiß es zu schätzen, wenn man ihm sagt, dass er zwischen dem Exil und dem Los wählen muss, in die Bedeutungslosigkeit abzusinken – und doch war das die Wahl, vor die dein ,Brauner' König Thranduil vor einem Jahr gestellt hat. Es sei das Zeitalter der Menschen, sagte er.“

„Das hat auch die Herrin gesagt, als ihr Sohn den Thron von Gondor übernahm. Also kommt ihr aus Eryn Lasgalen und ihr reist nach Valinor, du und dein Herr?“

Das Gesicht des Elben verschloss sich, und er fing an, den Weinschlauch wieder zuzuschnüren. Als er damit fertig war, stellte er ihn auf den Boden und stand mit verschränkten Armen da, wachsam und misstrauisch. „Was weiß ein Ork von Valinor?“ fragte er, und Malawen sank bei seinem Tonfall der Mut. Noch einen Moment zuvor hatte er fast freundlich geklungen, doch jetzt nicht mehr. Du hättest das Segensreich nicht erwähnen sollen, dachte sie verzweifelt, aber Canohando schien sich der Gefahr nicht bewusst zu sein.

„Ich weiß, die Königin hat ihren Platz dort für den König aufgegeben, aber ihre Brüder werden die Reise machen; oder wenigstens hoffe ich das. Ich trage einen Passierschein bei mir, den Fürst Elladan mir gegeben hat.“

„Ach, tatsächlich?“ sagte der Elb. „Galuir wird einen Blick darauf werfen wollen.“ Dann verließ er sie, und sobald er außer Hörweite war, murmelte Canohando: „Rasch, Elbchen; sie werden zurück kommen, um mich zu durchsuchen. Es war ein Wagnis, darauf zu hoffen, dass sie Elladans Brief respektieren, aber es mag sich nicht auszahlen. Hol die Karte der Königin aus meinem Gürtel und versteck sie zusammen mit dem Juwel.“ Sie tat es und fummelte in ihrer Hast ungeschickt herum; mit gefesselten Handgelenken war es schwierig.

„Jetzt geh weg von mir, sonst kommen sie darauf, dich auch noch zu durchsuchen. Und, Elbchen - “ Er hielt inne und wartete darauf, dass sie ihn anschaute. „Denk nicht, ich würde dich im Stich lassen, falls ich entkomme. Ich werde ganz in der Nähe sein.“

„Nein, Canohando, tu das nicht! Wenn sie dich ein zweites Mal erwischen, dann bringen sie dich um; jetzt schaffen sie uns nach Bruchtal, zu Celeborn. Wenigstens werden sie uns sicher zu ihm bringen.“

„Und nachher? Wird Celeborn uns freilassen, was denkst du?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er ist der Großvater der Königin; man sollte meinen, dass er dir um ihretwillen günstig gesonnen ist. Aber seine Tochter wurde so entsetzlich von Orks gequält, dass sie über das Meer flüchtete – und wenn er glaubt, ich sei eine Verräterin, so wie diese hier - “ Sie zuckte hoffnungslos die Achseln.

„Dann sollten wir ihm wohl besser nicht unter die Augen treten,“ sagte Canohando. „Jetzt fort mit dir, bevor dieser Kerl wiederkommt, um sich Elladans Brief zu holen.“

Sie lehnte sich einen Moment lang gegen ihn, ihr Kopf an seinem Herzen; dann ließ sie sich zu Boden fallen und kroch unbeholfen davon.

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Anmerkung der Autorin:

Eryn Lasgalen war der Name, der dem Düsterwald nach dem Krieg gegeben wurde. Soweit ich das feststellen kann, war Thranduil der Herr dieses erweiterten Königreiches, aber auch viele Elben aus Lothlórien ließen sich hier nieder. Scheinbar lebten Elben noch viele Jahre in Eryn Lasgalen, nachdem Galadriel und Celeborn Lothlórien verlassen hatten.


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