Der Ork der Königin (The Queen's Orc)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Kapitel Achtundzwanzig
Stolz

Itaril kam selbst, um Canohando zu durchsuchen.

„Auf welche Weise bist du mit Elronds Sohn bekannt, Grauhaut?“ verlangte er zu wissen. Doch als Canohando beschrieb, wie er und Elladan sich den Befehl über die Kompanie der Königin geteilt hatten, um Arwen Undómiel zu beschützen, kräuselten sich seine Lippen abschätzig.

„Menschen! Arrogant und leicht hinters Licht geführt! Die Erstgeborenen lassen sich nicht so leicht einnehmen.“

„Es war die Elbenkönigin, die zuerst Freundschaft mit mir schloss, noch bevor der König es tat,“ sagte Canohando.

„Die Königin von Gondor, solltest du besser sagen, die nur halb elbisch war, genau wie ihr Vater. Und Elrond besaß die Weisheit, das bessere Teil zu erwählen und sich auf die Seite der Eldar zu schlagen. Seine Tochter ließ sich von ihrer Leidenschaft zu einem Sterblichen hinreißen, und das war ihr Untergang Selbst die Weisheit, die sie noch hatte, ließ sie am Ende im Stich, als sie einer Ausgeburt der Finsternis Glauben schenkte.“

Blinde Wut durchflutete Canohando und machte ihn dankbar für die Seile, die ihn sicher an dem Baum festhielten. Wäre er nicht gefesselt gewesen, er hätte den Elbenhauptmann mit Sicherheit dort erschlagen, wo er stand. Das ein solcher Kerl es wagte, die Herrin zu verleumden – schön, wie sie gewesen war, und unsagbar weise! Die Trauer, die er seit Arwens Begräbnis im Zaum gehalten hatte, kehrte in seine Kehle zurück und würgte ihn, und es dauerte einen Moment, ehe er sprechen konnte.

„Die Finsternis rennt hinter mir her, aber ich fliehe vor ihr,“ grollte er endlich. „Bist du sicher, dass sie dich nicht auch verfolgt? Doch bist du zu stolz, um zu flüchten.“

Itaril trat vor und versetzte dem Ork einen heftigen Schlag quer über das Gesicht; sein Kopf flog herum, und ein purpurrotes Mal erschien auf seinem Wangenknochen. „Sei still, Teufel! Erenu, Galuir, zieht ihn aus bis hinunter auf seine dreckige Haut; lasst uns sehen, was für Geheimnisse er bei sich trägt. Das hätten wir als allererstes tun sollen.“

Sie fanden die Umhangnadel des Waldläufers und den Passierschein, den Elladan ihm gegeben hatte, und Itaril hielt sie zwischen den Fingerspitzen vor sich hin, als würden sie stinken.

„Dann bist du jetzt also ein Waldläufer, ja? Und wieso auch nicht, sie sind immer ein Haufen Lumpengesindel gewesen. Na schön, Waldläufer-Ork, deine Nadel magst du behalten.“ Er stieß sie durch Canohandos Tunika und warf sie ihm zusammen mit seinen Hosen zu. „Bedeck dich, damit wir uns dein hässliches Fell nicht ansehen müssen. Doch das Sendschreiben von Elronds Sohn – nein. Das gebe ich dir nicht zurück, denn du könntest entkommen und jemanden betrügen, der weniger Urteilsvermögen besitzt als Itaril von Eryn Lasgalen.“ Er riss den Passierschein in Hälften und Viertel, wieder und wieder, bis nichts davon übrig war als weiße Fetzen, und die warf er von sich, so dass sie davon flatterten und sich auf dem Boden niederließen wie Schnee.

„Bindet ihn wieder,“ befahl er. „Und haltet dieses Mädchen von ihm fern. Wenn seine Geschichte wahr sein sollte, dann hat er sogar die Königin von Gondor verhext, die einmal einen Namen für Weisheit hatte. Wie viel leichter wird er dann dieses unglückselige Wechselbalg verführen; sie trägt das Zeichen des Feindes bereits auf ihrer Wange eingebrannt.“

Canohando schwieg, während sie ihn wieder an den Baum banden.

Für zwei oder drei Tage danach bekam er Malawen nicht zu sehen, obwohl er sie manchmal hörte; sie wütete und flehte abwechselnd darum, dass man ihr erlaubte, zu ihm zu kommen. Es war eine Qual, ihr Leid mit anzusehen und dabei machtlos zu sein, ihr zu helfen, und er versuchte, seine Ohren vor ihrer Stimme zu verschließen und an seine eigenen Schwierigkeiten zu denken. Seine Füße brannten wie Feuer, und jetzt taten ihm auch noch seine Hände weh; sie waren davon geschwollen, dass sie Tag und Nacht hinter ihm gefesselt waren. Eine fortgesetzte Tortur war der Durst. Erenu sorgte dafür, dass er zu Essen bekam, aber ihm fehlte die Geduld, den Weinschlauch lange genug zu halten, dass Canohando sich satt trinken konnte. Es war ohnehin nicht Wein, sondern Wasser, wonach es den Ork dürstete, und er stellte es sich vor, während er neben den Pferden her rannte: ein breiter Strom, tief und kalt, der in der Sonne glitzerte und sich zum Horizont hin wand. Er sah sich selbst, wie er bis zur Mitte darin watete, den Kopf senkte... wie er lange Züge nahm und kaum auftauchte, um Luft zu holen. Ich würde ihn leer trinken, dachte er sehnsüchtig.

Er hatte gedacht, dass es leicht sein würde, zu entkommen, aber er stellte fest, dass das nicht stimmte. Tagsüber wurde er auf allen Seiten von Elben flankiert, die ihm auf der Stelle einen Pfeil in den Rücken geschossen hätten, wenn er versucht hätte, auszubrechen. Nachts war er an einen Baum gefesselt und konnte kaum mehr tun, als die Finger zu dehnen, um den Blutfluss wieder in seine Hände zu bringen.

Die Unbequemlichkeit und seine Sorge um Malawen hielten ihn wach, und die Finsternis war wie ein Wolf, der ihn umschlich und nach einer Öffnung suchte, um ihn nieder zu werfen. Von Kindheit an waren die Elben seine Todfeinde gewesen, bis Neunfinger ihm Arwens Juwel geschenkt hatte, und sein heilender Einfluss berührte ihn mit Staunen und Ehrfurcht. Er hatte sich auf die Suche nach seiner Königin gemacht und sie verehrt, und er schätzte sein Elbchen höher als das eigene Leben. Aber die, die in gefangen genommen hatten, waren ebenfalls Elben, arrogant und achtlos. Die dunklen Stunden krochen vorüber und er kämpfte gegen die Bilder an, die seinen Geist bevölkerten – was er Itaril antun würde, ihnen allen, wenn er nur frei wäre.

Eines Morgens, als sie gerade aufbrachen, gab es ein wenig abseits ein Handgemenge, und Malawens Stimme erhob sich über die der anderen, schrill vor Panik: „Nein! Lasst mich los – ich werde zu ihm gehen, Ihr könnt mich nicht aufhalten - “ Es gab ein Geräusch wie den Schlag einer Peitsche; sie schrie auf, und Canohando fuhr herum und fing an, sich den Weg zu ihr zu bahnen. Erenu stieß einen lauten Ruf aus und zerrte an dem Seil, um ihn zurückzuhalten, aber für einen Moment sah es so aus, als würde der Orks das Pferd und alles, was daran hing, hinter sich her ziehen, bis er sie erreicht hatte. Dann stemmte das Pferd seine Hufe ein und wich zurück,und Canohando war gezwungen, stehen zu bleiben.

„Wer ist hier der Ork?“ bellte er. „Sie ist eine der Euren, und nun wollt ihr sie selbst quälen, genau wie die Ausgeburten der Schwarzen Grube? Mögen die Valar sie rächen, wenn ihr diesem Kind ein Leid zufügt!“

Es gab ein plötzliches, furchtbares Schweigen. Dann erschien Itaril und die Elben auf ihren Pferden drängten sich zur Seite, um ihm Platz zu machen.

„Du verfluchst uns bei den Valar, ja? Mit welchem Recht nennst du sie beim Namen, Teufel?“

Noch ein Moment, und ich gehe in einem Hagel von Pfeilen zu Boden, dachte Canohando. Aber zuerst wird man mich anhören.

„Mit dem Recht des Erstgeborenen,“ sagte er laut. „Meine Vorfahren waren ebenso Elben wie deine, unter den Sternen von Cuiviénen. Sie sind in Sklaverei und Finsternis versunken, aber es war nicht ihre Wahl. Was du diesem Mädchen antust, das tust du aus eigenem Willen, also sei gewarnt, Itaril von Eryn Lasgalen: selbst du magst fallen!“

Itaril starrte ihn an, ohne zu antworten, und Canohando bemühte sich um einen festeren Stand und straffte die Schultern. Der Moment dehnte sich bis in die Unendlichkeit, und als es so schien, als müsse etwas – irgendetwas - geschehen, um die Anspannung zu durchbrechen, da geschah auch etwas.

Es gab ein Wirrwarr aus Schreien und Rufen; Pferde liefen durcheinander, und dann brach ein einzelnes Pferd aus dem Durcheinander hervor und sprengte vorwärts in Richtung Westen, als wären die Wölfe von Morgoth hinter ihm her. Und gegen seinen Rücken gepresst, an seine Mähne geklammert war Malawen, und ihr bleiches Haar flutete hinter ihr her wie ein Kometenschweif.

Canohando blickte voller Staunen und Erleichterung hinter ihr her; Freude schoss in ihm hoch wie ein Springbrunnen. Sie ist frei – sie ist sicher! Itarils nächste Worte hörte er kaum.

„Also ist sie entkommen. Würdest du sagen, ich sei jetzt außer Gefahr, Dämon? Ich werde nicht in der Finsternis versinken, wenn ich dich so behandle, wie du es verdienst. Um deinetwillen werden die Valar keine Rache nehmen.“

Die Elben rings um sie beide warfen sich nervöse Blicke zu; ihre Pferde warfen die Köpfe und tänzelten hin und her, als spürten sie die Unruhe ihrer Reiter.

„Mögen die Heiligen schenken, dass es keine Notwendigkeit zur Rache gibt,“ sagte Galuir. „Möchtest du, dass jemand sie verfolgt, Itaril, oder sollen wir den Ork allein zu Celeborn bringen?“

„Wozu soll das gut sein?“ fragte Itaril. „Celeborn wird uns für einen geschenkten Ork kaum danken, und ohne das Mädchen können wir nicht beweisen, dass sie gemeinsame Sache gemacht haben. Genauso wenig habe ich den Wunsch, ihre Spur zu verfolgen und sie wieder gefangen zu nehmen. Schlagt ihn tot und fertig; er ist uns nicht von Nutzen.“

Galuir blickte von Canohando zu Erenu; noch immer hielt er seinen Strick fest. „War er dir gegenüber gewalttätig, Erenu? Ist er ausfallend geworden, nach Art der Orks, oder hat er versucht zu fliehen?“

„Nein. Heute hat er versucht, dem Mädchen zu Hilfe zu kommen, als sie schrie. Davon abgesehen hat er keinen Ärger gemacht; er hat sich nicht einmal beklagt, obwohl seine Handgelenke von den Seilen Striemen haben und seine Füße bluten, vom Rennen auf den Steinen.“

„Was macht das schon aus?“ unterbrach Itaril. „Er ist ein Ork, ein Geschöpf des Feindes. Wie sind wir je anders mit Orks umgegangen, als sie zu erschlagen?“

Galuir schaute auf seine Hände hinunter; er zupfte gedankenvoll an seinen Fingern. „Du bist mein Hauptmann, Itaril, allerdings nur für diese Mission. Am Hof von Thranduil sind wir gleichen Ranges, und deshalb werde ich in dieser Sache meine Meinung sagen.

„Hätten wir ihn beim ersten Anblick getötet, es wäre gerechtfertigt gewesen; er ist ein Ork, wie du sagst, und ein Feind. Aber wir haben ihn gefangen genommen, und so haben wir herausgefunden, dass er bei den Großen von Gondor in hoher Gunst steht, auch wenn der Grund dafür nicht klar ist. Das Kind, das vor uns geflohen ist, betrachtet ihn als ihren Beschützer. Und wer hat je von einem Ork gehört, der die Heiligen um Gerechtigkeit anruft? Irgendetwas hier verstehe ich nicht, und bis wir mehr wissen, sage ich, dass wir ihn nicht umbringen dürfen. Vielleicht haben die Valar selbst ihn im Auge.“

„Du besitzt eine üppige Vorstellungskraft, Verwandter,“ sagte Itaril mit einem höhnischen Lächeln. „Aber wenn es dein Herz erleichtert und diese Gesellschaft zufrieden stellt, dann werden wir ihn nach Bruchtal bringen. Ich bezweifle, dass Celeborn sich freuen wird, ihn zu sehen.“

Er versetzte seinem Pferd einen Tritt und drängte es vor die Kolonne, und Erenu zog an Canohandos Seil, um ihn neben sich zu bringen. Der Rest der Elben reihte sich ein und sie brachen auf, Itaril und Galuir an der Spitze. Galuir lehnte sich leicht zu seinem Hauptmann hinüber, als würde er mit ihm reden, doch Itaril saß aufrecht und steif und sah starr geradeaus auf die Straße.

*****

An diesem Abend sorgte Erenu dafür, dass der Ork sich auf den Boden setzte, bevor er ihn an den Baum band. „Ruh deine Füße ein wenig aus, Grauhaut. Es gefällt mir an dir, dass du versucht hast, dem Mädchen zu helfen, und es tut mir nicht Leid, dass sie entkommen ist.“

„Wieso ist Itaril so gegen sie eingestellt?“ fragte Canohando. „Ich hätte gedacht, deine Leute würden ihr gegenüber Mitgefühl zeigen, verwundet, wie sie ist.“

Erenu zuckte die Achseln. „Ich habe gehört, dass er einst eine Schwester hatte. Als das Böse zum ersten Mal in den Grünwald kam, waren Bruder und Schwester bei einer Gruppe, die sich unter den Sternen vergnügte, und Orks fielen über sie her – sie fanden sie später, zusammen mit vielen anderen - “ Seine Stimme erstarb. „Ich weiß es nicht. Wie du würde ich erwarten, dass er Mitleid zeigt, und umso mehr seiner Schwester wegen. Doch Elben lieben Hässlichkeit an Leib und Seele nicht, und bei ihr ist beides verunstaltet.“

Canohando dachte an Malawen, ihr leuchtendes Gesicht und die ständig wechselnde Farbe ihrer Augen. Er versucht, freundlich zu sein, dachte er, aber er ist hart wie Adamant, und blind vor Stolz.

Als der Ork nicht antwortete, warf Erenu ihm einen merkwürdigen Blick zu, und dann ging er davon. Aber Canohando schob sich an dem Baum hin und her; er versuchte, eine Stellung zu finden, die ihn nicht schmerzte. In seinem Geist stellte er Arwen und Itaril einander gegenüber. Beide hatten gelitten, aber Arwen war dadurch sanfter geworden, und Itaril – aber vielleicht war Itaril immer schon hart gewesen.

Und was ist mit dir, Ork der Königin? Sanfter oder härter? Er schloss die Augen und versuchte, das Gesicht der Herrin wieder vor sich zu sehen, und das des Königs. Er war ein starker Führer, aber er war nicht ohne Mitleid. Und mein Kümmerling war nicht schwach.

Tief in der Nacht, während das Lager im Schlaf lag, berührte etwas sein Gesicht und weckte ihn auf. Er öffnete die Augen einen Spalt breit um zu sehen, was es war, und dann riss er sie in freudiger Überraschung weit auf, als er Malawen auf den Knien neben sich fand.

„Sei leise, ich befreie dich,“ flüsterte sie und kroch hinter den Baum. Er spürte ein Zerren an den Seilen, die ihn hielten, während sie versuchte, sie mit ihrem Messer zu durchschneiden. Scheinbar hatte sie Schwierigkeiten; er war sicher gebunden, die Seile wenigstens zwanzigfach um den Baum geschlungen und jedes extra verknotet, so dass alle einzeln zerschnitten werden mussten, um ihn zu befreien. Malawen sägte eine lange Weile verbissen daran herum, dann gab sie ein Keuchen von sich.

„Was ist denn, Elbchen?“ Er versuchte, hinter sich zu sehen, dorthin, wo sie war, aber er wurde noch immer eng festgehalten.

„Nichts; ich habe mich ein wenig geschnitten. Elbereth, wie das blutet! Warte, ich muss es erst verbinden, bevor ich das tun kann...“

Plötzlich ertönte ein Schrei von der Stelle, wo die Pferde angepflockt waren, und in der selben Richtung leuchtete eine Fackel auf. Malawen huschte um den Baum herum zu Canohando; sie saugte an ihrer verletzten Hand. „Im Namen des Lichts! Sie haben mein Pferd gefunden – wie kommen wir jetzt von hier weg?“

„Außer Sicht mit dir, Elbchen; als nächstes sind sie hier. Sie wissen, dass du zu mir kommen wirst.“ Canohando mühte sich, ihr Gesicht in der Dunkelheit zu sehen. „Du hättest wegbleiben sollen; du warst in Sicherheit. - “

„Ich fühle mich nicht sicher, wenn du nicht bei mir bist.“ Sie legte ihm kurz die Hände auf die Schultern und pflanzte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Warte, bis es wieder still geworden ist, ich komme zurück. Ich kriege dich schon los.“ Dann war sie verschwunden, und er hörte die Blätter über sich rascheln, als sie Zuflucht in dem Baum nahm.

Er hatte gerade genug Zeit, sich zu fragen, ob sie wohl kämen, da waren sie schon da, ein Dutzend Fackeln und Itaril und Galuir vorneweg. Niemand redete mit ihm, aber sie untersuchten seine Seile und zogen daran; sie stellten fest, dass viele davon durchgeschnitten waren, und sie fanden Malawens Messer, wo sie es hatte fallen lassen, als es ihr in die Hand fuhr.

„Also macht er keinen Fluchtversuch, was?“ Itarils Stimme war triumphierend. „Zum Glück haben die Pferde das Tier, das sie gestohlen hat, mit einem Wiehern begrüßt, oder sie hätte ihn sauber fort geschafft, zu der Teufelei, die sie vorhatten - was für eine es auch immer sein mag.“

„Du weißt nicht, ob es eine Teufelei war,“ sagte Galuir.

„Genauso wenig weißt du, dass es keine war. Das Mädchen ist wieder fort, aber uns bleibt der Ork – für den Augenblick. Wir mögen ihn allerdings nicht lange behalten, wenn sie immer wieder zurückkommt, um ihn zu retten. Bringt ihn jetzt um, dann haben wir es hinter uns.“

„Nein!“ kreischte Malawen aus den Zweigen über ihnen. Ein Pfeil zerriss die Blätter und steckte im Boden zu Itarils Füßen. „Lasst ihn gehen, oder der nächste durchbohrt dein Herz!“

Ein Aufschrei der Wut ertönte von den versammelten Elben, und mehrere hoben ihre Bögen und schossen in die Zweige. Die Antwort war wildes Gelächter von oben. „Ihr könnt nicht nicht sehen, aber ich sehe euch!“ höhnte Malawen. Ein zweiter Pfeil fuhr vor Itaril in die Erde.

„Elbchen, halt!“ Canohandos Stimme hieb durch den Aufruhr, und Stille fiel herab wie eine Decke. Er begegnete Itarils Augen und hielt seinen Blick mit schierer Willenskraft fest.

„Die Königin von Gondor hat mich nach Bruchtal beordert, und dorthin waren wir auf der Reise, als ihr uns zu Gefangenen gemacht habt. Ich würde noch immer auf ihren Befehl dorthin gehen, und genau an diesen Ort wollt ihr uns bringen. Lasst die Kleine ungebunden neben mir wandern, denn sie schlägt mit den Flügeln gegen jede Fessel, wie ein wilder Vogel. Ich will die Geisel ihres Wohlverhaltens sein, und wir werden jedes Schicksal hinnehmen, das euer Celeborn für uns bestimmt.“

Itaril betrachtete ihn säuerlich. „Du bittest nicht darum, selbst ungebunden zu gehen.“

„Wenn ich darum bitte, wirst du es nicht zulassen. Ich kann die Fesseln ertragen.“

Die Augen des Elbenhauptmanns durchbohrten ihn, aber Canohando wandte den Blick nicht ab. Endlich sagte Itaril: „So sei es. Wenn sie herunter kommt, ihre Waffen abliefert und einen Eid leistet, nicht fortzulaufen, dann mag sie ohne Fesseln wandern. Aber ich nehme dich beim Wort, Grauhaut. Wenn sie wieder flüchtet, dann will ich dein Blut.“

Canohando neigte den Kopf, ein Befehlshaber, der die Bedingungen für einen Waffenstillstand hinnahm.

„Hörst du zu, Elbchen?“ rief er. „Wirst du herunterkommen und das Unterpfand der Sicherheit für mich sein?“

Malawens Stimme war wie splitterndes Eis. „Du musst schwören, dass du mich bei ihm bleiben lässt, Itaril von Düsterwald. Bei Elbereth musst du es schwören.“

Der Zorn, der den Elbenhauptmann nie ganz zu verlassen schien, flammte in seinen Augen, aber Erenu sagte ruhig: „Es wird weniger schwierig sein, sie zu bewachen, wenn sie zusammen sind, und ich denke, sie wird bei dem Ork bleiben.“

„Celeborn sollte sie befragen, Itaril. Hier gibt es etwas, das einen zweiten Blick erfordert,“ fügte Galuir hinzu.

Itaril zog eine Grimasse. „Ihr mögt Recht haben. Wir sind schon zu lange von ihnen aufgehalten worden. Ich wünsche die Anfurten zu erreichen, bevor der Sommer endet, und ich werde froh sein, diese beiden an Celeborn zu übergeben. Also schön!“ schrie er zu Malawen hinauf. „Ich schwöre bei Elbereth, du darfst bei der Grauhaut bleiben, und mögest du lang genug leben, um dein Bündnis mit ihm zu bereuen! Jetzt komm herunter und gönn uns etwas Rast, ehe die Nacht vorüber ist!“

Doch als sie herabstieg und ihren Bogen abgab, warf sie ihm einen Blick reinsten Hasses zu. Und er für seinen Teil hielt Wort und befahl nicht, sie zu binden; doch teilte er drei Elben ein, die sie und Canohando den Rest der Nacht bewachen sollten, und jede Nacht danach.

In Wahrheit war es allerdings zweifelhaft, ob sie die Wachen überhaupt bemerkten. Malawen schmiegte sich dicht an den Ork, breitete ihren Umhang über beide aus, so weit er reichte, und als die Fackeln gelöscht wurden und das Lager zur Ruhe kam, schliefen sie ein, aneinander gelehnt und glücklich und zufrieden, beisammen zu sein.


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