Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Dreißig Die Elben ritten vor und hinter ihnen, aber Radagast führte seine Gefährten so gelassen, als wären sie ganz allein auf dem Pfad. Als er sich genügend verbreiterte, dass sie nebeneinander her gehen konnten, nahm der Ork Malawens Hand. „Ist Celeborn in Bruchtal, alter Mann? Sie haben gesagt, sie würden uns vor ihn bringen.“ Radagast lächelte. „Oh ja, er ist dort. Er sendet seinen Ruf aus zu den Erstgeborenen, die noch hier sind, unaufhaltsam wie der Ruf des Herbstes für die wilden Vögel. Er wird am Ende des Sommers segeln, und die, die sich weigern, jetzt fortzugehen, haben ihre Gelegenheit verspielt. Die Flut strömt nach Westen, und zurückkehren wird sie nicht.“ Canohandos Griff um Malawens Hand wurde fester. „Siehst du, Elbchen?“ „Ich gehe nicht,“ sagte sie. Der Zauberer fiel einen Schritt zurück und sah sie an. „Du hast deine Gründe,“ meinte er, und sie nickte. Wieder fingen sie an, aufwärts zu steigen, über eine Reihe von Terrassen, die in den Hügel eingesetzt worden waren, mit glattem Stein gepflastert. Die Pfad wand sich im Zickzack durch dicht bewachsenes Waldland, so dass sie nur ein kurzes Stück voraus sehen konnten, und dann kamen sie plötzlich auf eine freie Fläche hinaus, von der man eine tiefe Kluft in den Hügeln überblickte. Eine weiße Vision lag vor ihnen; sie schien das Licht von allen Seiten anzuziehen und es sanfter zu machen. Dächer und Veranden, Gärten und Springbrunnen glühten in einem zarten Schimmer, der kaum zur wirklichen Welt zu gehören schien. Canohando starrte hinunter, mit offenem Mund, die Augen voller Staunen. „Das ist Bruchtal? Aber natürlich ist es das, einen anderen Ort kann es nicht geben, der so gesegnet ist.“ Er setzte sich wieder in Bewegung, aber langsam, als würde er träumen. „Das Letzte Heimelige Haus, und Elronds Zuflucht,“ sagte Radagast. „Hier wurde der Ringträger von seiner Wunde geheilt und nahm seine Bürde auf sich.“ „Er war hier?“ fragte Canohando überrascht, und sein Gesicht erwärmte sich zu einem Lächeln. „Dann bin ich froh, dass ich her gekommen bin, und sei es auch nur, um seine Spur wieder aufzunehmen.“ Eine gewundene Treppe führte hinunter in das Tal, und er wurde schneller, während er sie herunter sprang. Radagast musste sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten, und er wickelte das Seil ab, das noch immer um die Mitte des Orks befestigt war. Malawen hastete ihm nach, und die Elben, die ihnen voraus waren, wichen nach einer Seite aus, um ihnen aus dem Weg zu gehen und starrten verwirrt hinter den dreien her. Itaril an der Spitze bellte einen Befehl, als sie an ihm vorbei kamen, und Radagast lachte ihn aus. „Er flüchtet nicht, er beeilt sich, seinem Schicksal zu begegnen! Folge uns, wie es dir beliebt, Hauptmann; ich bringe ihn zu Celeborn.“ Doch als sie den Talgrund erreichten, blieb Canohando stehen und blickte sich um, und der Zauberer holte ihn ein. „Steh einen Moment still, Haltacala. Jetzt hast du deine Gefängniswärter hinter dir gelassen, und Arwens Leibwache soll ihr altes Zuhause nicht in Fesseln betreten.“ Er zog ein Messer aus seinem Gürtel und schnitt die Seile durch, die den Ork banden. Canohando schien es kaum zu bemerken, so sehr war er auf die Szenerie rings um sich her konzentriert, aber Malawen zupfte den Zauberer am Ärmel. „Wie hast du ihn genannt? Das ist doch die Alte Sprache, nicht wahr? Was bedeutet es?“ Radagast lächelte. „Springt ins Licht, so habe ich ihn genannt. Es genügt ihm nicht, dass er sich von der Finsternis abgewandt hat; er muss immer höher streben und die Hand nach dem Himmel ausstrecken. Es gibt wenige wie ihn, Kleine, in welcher Welt auch immer.“ Ein hochgewachsener Elb trat aus einem der Gebäude und kam ihnen entgegen. „Du bist hier willkommen, Schatten der Königin. Der Herr Celeborn erwartet dich, aber er möchte, dass du dich nach deiner Reise erst einmal erfrischt. Wenn du mit mir kommst, kannst du ein Bad nehmen und bekommst saubere Kleider.“ Canohando riss seine Aufmerksamkeit von den Springbrunnen und Gärten los, von den Steinportalen, die lebenden Baumstämmen so ähnlich sahen, dass er fast erwartete, daran Blätter sprießen zu sehen. Das große Haus war so sehr von Licht erfüllt, dass es kaum ein Teil der Erde zu sein schien. „Was hast du gesagt?“ Er blickte an sich herunter; seine Kleidung hing in Fetzen, seine Füße waren schmutzig und mit getrocknetem Blut verkrustet. „Du hast Recht; ich wasche mich wohl besser, bevor ich mich meinem Urteil stelle.“ Er zog Malawen nach vorne. „Hier ist eine der euren, Erstgeborener. Sie wurde von denen, die uns hergebracht haben, schlecht behandelt. Wirst du auch ihr Freundlichkeit erweisen?“ Malawen erstarrte, aber Radagast legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich werde mich um sie kümmern, Canohando. Geh, nimm dein Bad, und wir sehen dich in Celeborns Gegenwart.“ Doch nachdem Canohando sich gewaschen, eine reine Tunika und Hosen angezogen hatte, wurde er zu einer abgeschirmten Veranda auf der östlichen Seite des Hauses geführt und dort ganz allein gelassen. Er ging auf und ab und lehnte sich endlich gegen die Brüstung; er blickte zu einem Waldstück hinauf, das hoch auf dem Berg lag und dann hinunter zu einem Fluss, der sich singend über die Felsen unter ihm ergoss. Noch immer war er verwirrt von der Atmosphäre einer anderen Welt in diesem Tal, und durch den plötzlichen Wechsel seines Schicksals... von der Feindseligkeit Itarils zu der feierlichen Höflichkeit des Elben, der ihm aufgewartet hatte. Doch als auf den Steinfliesen hinter ihm Schritte ertönten und er sich umdrehte, um Celeborn gegenüber zu treten, da war sein erster Gedanke, dass er es bei weitem vorgezogen hätte, den Wölfen vorgeworfen zu werden. Auf der schattigen Veranda wirkte der Elbenfürst wie ein Speer aus Licht. Seine Kleider schimmerten wie Mithril, und das Haar floss ihm silbern über die Schultern, an seiner Stirn von einem goldenen Band gehalten. Ein Schwert in einer Scheide aus geprägtem Leder hing an seinem Gürtel, und seine Augen waren so durchdringend, als ob auch sie Schwerter wären; sie richteten ihren Lichtstrahl auf Canohando und hielten ihn zwischen einem Atemzug und dem nächsten fest. Der Ork konnte nicht weg schauen, obwohl er sich das heftig wünschte; er brach vor diesen silbernen Augen zusammen wie ein aufgespießtes Tier und fiel auf die Knie. Er konnte nicht sprechen, und Celeborns Blick prüfte ihn, legte ihn bloß und breitete all seine Gedanken und wirren Gefühle auf dem Steinboden aus. „Du bist zornig,“ sagte die gemessene Stimme. „Mir ist Unrecht geschehen,“ sagte Canohando. „Und meine Kleine ist von denen verworfen worden, die ihr hätten helfen sollen.“ Er hielt sich an dem Bild von Malawen fest, an der Verachtung, die sie ihr entgegen gebracht hatten. Die Verachtung für einen Ork würde an einem solchen Ort niemandem viel Sorge bereiten, dachte er. Celeborn runzelte die Stirn. „Du hast die Gerechtigkeit auf deiner Seite, Ork. Du hast von meinem Volk Besseres verdient als das, was du bekommen hast. Welche Entschädigung wünscht du dir von mir? Soll ich sie um deinetwillen strafen?“ Canohando schüttelte den Kopf. „Bitte sie nur, uns in Ruhe zu lassen, Herr, und geh sanft mit meinem Elbchen um.“ Der Elbenfürst streckte ihm eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen, „Arwen hat weise gewählt, als sie dich in ihren Dienst nahm. Du brennst darauf, Rache zu nehmen oh, ich sehe es, und ich mache dir keinen Vorwurf daraus! Doch wenn sie dir angeboten wird, dann weist du sie zurück. Du hast die Finsternis wahrhaftig verlassen, wie Radagast es mir sagte, bevor du kamst... und ich würde eher dir vertrauen als gewissen Elben. „Komm, wir wollen uns deinen Freunden anschließen, und wenn du bereit dazu bist, dann würde ich wünschen, dass du mir alles von meiner Undómiel erzählst, was du vermagst, und von ihren letzten Tagen in Lothlórien. Ich habe Nachricht von Elladan erhalten, dass sie dich bis zum Ende bei sich behalten hat, und dass du ihr so viel Trost gewesen bist, wie es in ihrem Kummer nur irgendjemand sein konnte.“ Canohando mühte sich auf die Beine; er hatte das Gefühl, als wäre er von einem Baum gefallen und der Sturz hätte ihm die Luft aus den Lungen getrieben. Er folgte dem Elbenfürsten ohne ein Wort. Sie fanden Radagast und Malawen in einem großen, hellen Raum; zwischen allen Fenstern hingen Wandteppiche, die lebhaften Farben mit der Zeit verblichen, aber noch immer wunderschön. Malawen fing Canohandos Blick ein, von dort, wo sie an einem polierten Tisch saß, und er spürte, wie seine Welt wieder zurecht gerückt wurde. Allem Anschein nach hatte sie auch ein Bad genommen, und ihr Haar fiel ihr in leuchtender Flut über das gelbe Gewand, das sie trug. Sie sah aus wie ein zum Leben erwachter Sonnenstrahl. „Du hast von Elladan gehört, Herr?“ antwortete der Ork auf Celeborns letzte Bemerkung. „Hat er dir gesagt, ob er mit seinem Bruder segeln wird?“ „Er war dabei, sich für die Reise vorzubereiten. Inzwischen sind sie fort, und ich werde sie in Avallóne wiedersehen. Soll ich ihnen deine Grüße ausrichten? Auch dafür stehe ich in deiner Schuld, denn ich bin nicht sicher, dass er ohne dein Drängen gegangen wäre.“ Zwei Elben kamen auf leisen Sohlen herein; sie trugen Schalen mit Früchten und kleine, runde Brotlaibe mit goldener Kruste. Aus einem niedrigen Schrank holten sie Gläser, zarte Kelche, die so flüchtig wie Luftblasen auf langen Stängeln schimmerten, und sie füllten sie mit einem Wein wie dünnflüssiges Sonnenlicht. Dann schlüpften sie wieder so leise hinaus, wie sie herein gekommen waren, und Celeborn stand auf und hob sein Glas. „Lasst uns trinken Freunde, auf den Anfang und das Ende. Die letzten der Eldalië scheiden dahin, oder sie verblassen zu einer Legende in vergessenen Wäldern. Und doch sitzt Westernis für eine Weile wieder auf dem Thron, und eines der verlorenen Kinder von Cuivienen ist heimgekehrt. Nicht alles ist traurig, und ich werde hoffnungsvoller segeln, als ich es gedacht hätte.“ Sie tranken, Canohando hielt seine Kelch behutsam mit beiden Händen, er fürchtete, seine Berührung könnte das Ende des zerbrechlichen Glases sein. Aber Celeborn versorgte ihn unermüdlich mit Brot und Früchten und bestürmte ihn mit Fragen; er vergaß sich ganz und berichtete von der Gnade seiner Herrin und von ihrem Kummer, der in ihrem Herzen doch Raum für Freundlichkeit ließ, bis jede Person am Tisch sich die Tränen abwischte. „Sie bat mich, herzukommen, Herr, und dann in das Land meines Bruders zu gehen. Sie hat mir eine Karte gegeben.“ Er schaute Malawen an und sie stand langsam auf. Sie errötete, aber unter ihren Augen hob sie ihr Gewand ein wenig an und tastete hinter ihrem Knie herum; sie holte ein kleines Bündel aus schmutzigem Tuch heraus, das sie um ihr Bein gebunden bei sich getragen hatte. Sie legte es auf den Tisch und wickelte es aus; zum Vorschein kamen der dünne Zylinder mit der zusammen gerollten Karte und der Juwel an seiner zerrissenen Kette. „Ich hatte Angst, Itaril würde befehlen, dass man mich durchsucht, also habe ich sie so gut verborgen, wie ich konnte.“ „Und hat er dich durchsucht?“ fragte Celeborn. Seine Stimme war ruhig, aber bei seinem Ton leckte sich Malawen nervös die Lippen. „Nein, Herr. Es erschien mir nur sicherer, sie dort zu lassen, wo sie waren.“ Der Elbenfürst nickte. „Du bist ein gescheites Mädchen, und dafür lobe ich dich. Ich werde nicht vergessen, dass Itaril meine Aufmerksamkeit verdient, und es ist nur gut für ihn, dass er nicht Hand an dich gelegt hat. Er muss sich mir gegenüber schon für genug anderes verantworten. Lass mich diesen Juwel sehen.“ Sie trug den Stein zu ihm hinüber, und er nahm ihn in die Hand, hauchte darauf und rieb mit der Fingerspitze darüber hin. „Das ist der Juwel, den meine Enkeltochter dem Ringträger gab,“ sagte er. „Neunfinger trug ihn die ganze Zeit, bis er ihn mir um den Hals gehängt hat,“ sagte Canohando. „Es hat mich davor bewahrt, erneut unter den Schatten zu fallen.“ „Dann solltest du ihn besser wieder tragen.“ Celeborn klatschte in die Hände und eine Elbin tauchte von hinter der Schwelle auf. „Lass diese Kette für mich in Ordnung bringen, Cyrele, und bring sie zurück. Sag ihnen, ich will sie sofort haben.“ Er wandte sich wieder an Canohando. „Arwen gab ihn Frodo, aber ich war es, der ihr den Juwel schenkte, nachdem ihre Mutter über das Meer fortging. Sie litt bitteren Schmerz, und ich wusste, er würde sie trösten.“ Er lächelte leicht. „Es kam von Alters her, aus Doriath.“ Der Name sagte Canohando nichts, doch Radagast hob die Augenbrauen. „Wirklich? Ich werde nicht nach mehr von seiner Geschichte fragen als dies, aber ich glaube, ich sehe, warum er solche Macht besitzt.“ „Ich könnte dir nicht mehr über seine Geschichte sagen, auch wenn du mich fragen würdest,“ sagte Celeborn. „Ich bekam ihn von meinem Vater am Tag meiner Volljährigkeit, und ich weiß nicht, woher er ihn hatte. Ich fand es beruhigend, ihn in die Hand zu nehmen, wenn ich in Sorge war, also gab ich ihn meiner Enkeltochter, denn sie trauerte heftig über den Verlust ihrer Mutter. Nun, Mädchen,“ sagte er zu Malawen, „zeig mir diese Karte.“ Er strich sie auf dem Tisch vor sich glatt, zog die Linien darauf mit einem eleganten Finger nach und drehte sie um, damit er lesen konnte, was auf der Rückseite stand. „Sie hat für alles gesorgt, sogar dafür, dass du die Erlaubnis erhältst, das Auenland zu betreten. Wieso hast du das nicht den Elben von Eryn Lasgalen gezeigt?“ Einen Moment lang flammte ein Feuer in Canohandos Augen, aber dann senkte er den Blick. „Ich hatte Angst, es ihnen zu zeigen. Ich habe ihnen etwas angeboten, das weniger kostbar war einen Passierschein, den Elladan mir gab. Itaril hat ihn vernichtet.“ Celeborn hob den Kopf und betrachtete den Ork ganz genau. „Ihn vernichtet? Dachte er, es wäre eine Fälschung, oder gab er Elladans Wort kein Gewicht?“ „Er sagte, der Fürst sei nur zur Hälfte ein Elb, und die Königin auch. Er dachte, ich hätte sie beide hinters Licht geführt.“ Der Elbenfürst erhob sich. „Ich habe unangenehme Pflichten aufgeschoben, um das Ende von Arwens Geschichte zu hören, Nun muss ich diesen Elben von Thranduils Hof gegenüber treten und ihnen begreiflich machen, wer Elrond ist. Warte hier, bis du deine Kette zurück bekommst, Canohando, und trage deinen Juwel mit meinem Segen.“ ***** Der Elb, der ihm die Kette wiedergab, brachte auch die Nachricht, dass Malawen zu Celeborn kommen sollte. „Er wird deine Aussage haben wollen, genau wie die von Canohando, darüber, wie Itaril euch beide misshandelt hat,“ beruhigte Radagast sie. „Hab keine Furcht, Kätzchen, du besitzt Celeborns herzliches Wohlwollen. Du musst ihm nur helfen, seinen Fall gegenüber Thranduils Elben durchzusetzen, denn sie sind zu stolz, um die Beschwerde eines Orks anzuerkennen. Sie werden es allerdings schwierig finden, zu erklären, wieso sie auf diese Weise mit dir umgesprungen sind.“ Wider Willen grinste sie. „Kätzchen?“ fragte sie, und Radagast gluckste. „Wegen deinem Katzenbuckel und deinem gesträubten Fell, deinem Spucken und Kratzen. Aber es gibt für dich nichts zu fürchten, Kind, also geh, setz dich zu Celeborn und schnurr ihm schön etwas vor.“ Als sie fort war, führte der Zauberer Canohando beiseite. „Bruchtal ist nicht länger, was es in früheren Zeiten war, aber es ist noch immer einen Blick wert. Komm, wir wollen es ein wenig erforschen und unsere Freundschaft erneuern.“ Sie verbrachten den Nachmittag damit, durch die Gärten zu wandern, und dann durch das große Haus, und Radagast hielt einen Strom angenehmen Geplauders in Gang. Er erzählte ihm Geschichten von Elrond und seiner verborgenen Enklave, und ein ganz klein wenig von seinen eigenen Reisen. Aber als er das Thema auf Canohandos Abenteuer lenkte, waren die Antworten nur knapp; der Ork machte sich sichtlich Sorgen. Endlich sagte der Zauberer: „Ich bin froh, dass du Arwens Juwel noch immer hast. Deine Kleine war ein schlaues Hexchen, ihn so zu verstecken, wie sie es tat.“ Canohando befingerte den Juwel; er war kühl an seiner Haut und linderte das Feuer in seinem Hirn, und er war froh, dass er ihn wieder zurück hatte. Und doch hatte er gewollt, dass Malawen ihn trug, und noch immer schien es ihm, dass sie ihn nötiger hatte als er. Als würde er seine Gedanken lesen, sagte Radagast: „Itaril sollte sich davor fürchten, schlafen zu gehen, nun, da du frei bist. Viele Elben würden ihn schwer für eine solche Behandlung zahlen lassen, von einem Ork gar nicht zu reden! Es wäre sicherer für ihn gewesen, dich auf der Stelle zu erschlagen.“ Canohando gab es leises Knurren von sich, das tief aus seiner Kehle kam, und der Zauberer dachte unbehaglich, dass er sich anhörte wie ein wütender Bär. „Du kennst mich zu gut, alter Mann. Ich würde es genießen, sie nieder zu machen, jeden einzelnen von ihnen, und sie an die Raben zu verfüttern! Und Itaril zuallererst, denn er hat die Herrin als närrisch verspottet; obwohl... wie sollte er es wissen, wo er doch selbst ein Narr ist?“ Er seufzte und rieb sich die Augen mit dem Handrücken, ehe er fortfuhr. „Er hielt nichts für glaubhaft, was ich gesagt habe, aber wieso sollte er einem Ork auch glauben? Doch die Verachtung, die sie meinem Elbchen erwiesen haben eine ihrer eigenen Rasse und von Leiden gezeichnet vom ersten Mal an, als ich sie sah, konnte ich nicht anders, als sie zu bemitleiden. Aber diese Erstgeborenen, sie hatten kein Mitleid! Verunstaltet an Leib und Seele, das war alles, was sie sahen - diese leuchtenden Wesen, die nur unwillig ins Segensreich abmarschieren, und denen es zuwider ist, auch den geringsten ihrer Feinde ungetötet zu lassen!“ „Nein, ich werde mir die Hände nicht an ihnen schmutzig machen. Sollen die Valar sie haben; mag sein, dass die Heiligen ihre eisernen Herzen schmelzen können. Jetzt vermisse ich meinen Kümmerling noch viel mehr, mit seinen friedlichen Augen.“ Er verfiel in Schweigen, und der Zauberer legte ihm einen Arm um die Schultern. „Frodo wäre von Herzen froh, wenn er dich hören könnte, und du wirst deinen Frieden wiederfinden, mein Freund. Frieden und großes Glück du hast dir beides aus dem Goldenen Wald mitgebracht.“ Und Radagast verkniff sich angesichts der schamhaften Freude, die plötzlich das Gesicht des Orks durchflutete, ein Lächeln. „Ich möchte sie zur Gefährtin haben,“ gestand Canohando und schaute auf seine Füße hinunter. „Und was sagt sie dazu?“ Sie setzten sich wieder in Bewegung. „Wir haben nicht darüber geredet. Bis du gekommen bist, wussten wir nicht, was uns in Bruchtal erwartet. Sogar Erenu, der freundlicher war als die anderen...“ Er tat die Erinnerung an die Elben mit einer Handbewegung ab. „Ich habe in seinen Augen gesehen, dass er meinen Tod erwartet hat, und ihren vielleicht auch.“ „Sie haben Celeborn nach sich selbst beurteilt doch die Elben des Düsterwaldes sind Außenstehenden gegenüber schon lange misstrauisch und unfreundlich gewesen. Manche nennen sie die Moriquendi, die Dunkelelben. Obwohl es einen gab, Thranduils Sohn Legolas aber er war eine Ausnahme. Celeborn ist weiser. Nun allerdings, da du sicher bist, musst du mit deinem kleinen Elbchen reden.“ „Ja, und er muss aufhören, sich vor mir zu verstecken und Heimlichkeiten mit dem Zauberer vom Rhosgobel zu haben,“ sagte eine Stimme dicht neben dem Pfad. Canohando zuckte zusammen und begriff, dass ihr Spaziergang sie zu einer der vielen abgeschirmten Bänke gebracht hatte, die sich hier und da im Garten verbargen. Malawen saß da, die Beine hochgezogen; sie flocht etwas aus einer Rolle Kordel, die den selben Farbton hatte wie die Blätter rings um sie herum, „Was machst du da, Elbchen?“ Er trat näher, um es sich anzusehen und sie hielt es ihm zur Untersuchung hin: eine Spirale aus komplizierten Flechten, die vom Boden einer hohlen Holzröhre empor wuchs. Sie war so lang wie sein Arm und so dick wie sein Daumen. „Es ist ein Schulterriemen für deinen Köcher,“ sagte sie. „Unsere Bögen haben sie fort geworfen, aber Celeborn wird uns neue schenken, ehe wir fortgehen. Gefällt er dir? Er ist weich, aber kräftig.“ Er zog ein Stück davon zwischen den Händen auseinander. „Ja, das ist er. Aber Celeborn braucht uns keine Waffen zu schenken, wenn er uns erlaubt, einen Monat oder zwei hier zu bleiben. Ich werde Bögen für uns beide schnitzen, und Pfeile. Machst du uns Köcher dazu, Elbchen?“ Er setzte sich zu ihr und berührte mit seinem Finger ihre Wange. „Mach uns zwei gleiche Köcher, damit jeder, der sie sieht, weiß, dass wir ein Paar sind,“ sagte er. Doch Malawen scheute vor ihm zurück, als hätte er eine Hand erhoben, um sie zu schlagen; in ihrer Hast, aufzuspringen und Abstand zwischen sie zu bringen, wäre sie beinahe gefallen. „Ich kann nicht,“ sagte sie. „Ich kann nicht.“ Das Licht erlosch in seinen Augen. „Ich bin ein Ork,“ sagte er bitter, aber Malawen schrie auf. „Nein! Das ist nicht der Grund. Du sagst, ich bin schön Elbereth weiß, wieso, vernarbt wie ich bin aber du kennst mich nicht. Als die Orks nach Lothlórien kamen - “ Er erhob sich und stand über ihr, als wollte er sie vor ihren eigenen Worten schützen; er vermied es allerdings, sie zu berühren. „Elbchen, nicht das ist vorbei, es hilft nichts, wenn du dahin zurück gehst - “ Malawen schüttelte heftig den Kopf, und Radagast legte Canohando eine Hand auf den Arm. „Lass sie reden,“ sagte er. „Sie wird keinen Frieden haben, bevor sie es dir nicht erzählt, was immer es auch ist.“ „Du hast dich geirrt, Canohando, es waren als Nächstes nicht meine Augen... mein Vater brach durch den Kreis der Orks,und rettete mich, bevor sie mich wieder verbrennen konnten, und sie haben ihn abgeschlachtet; wir haben seine Leiche später gefunden. Doch als er kam, war es schon zu spät. Da war ein Kind...“ Ihr brach die Stimme, und er Zauberer trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern, wie, um ihr Stärke zu geben. „Da war ein Kind...“ wiederholte er, als sie nicht fortfuhr. „Ich habe ein Kind getragen,“ flüsterte sie. „Ein Orkkind, einen Jungen.“ Es war so still, als würden sogar die Bäume den Atem anhalten. Endlich fragte Radagast leise: „Und was wurde aus ihm?“ „Ich habe ihn im Fluss ertränkt ich habe ihn in eine Decke gewickelt und sie mit Steinen beschwert, und ich wartete...“ Sie schluckte. „Um sicher zu sein, dass er sich nicht frei strampelt, habe ich er ist ertrunken.“ Jetzt weinte sie, sie zitterte und rang die Hände. „Er bekam einen Arm frei, er hat sich so gewehrt! Ich drückte ihn hinunter, bis...“ Sie sank auf dem Boden zusammen, ein schluchzendes Häufchen Elend, Kopf und Gesicht von den Armen bedeckt, als fürchtete sie einen Schlag. Radagast kauerte sich neben sie und rieb ihr in langsamen, geduldigen Kreisen den Rücken, aber Canohando stand reglos da, das Gesicht vollkommen ohne jeden Ausdruck. Endlich kroch seine Hand zur Kehle hinauf und umklammerte Arwens Juwel. Nach einer langen Weile schüttelte er sich, als wollte er seinen Geist von einer entsetzlichen Vision befreien, und dann war er neben ihr auf den Knien und nahm sie in die Arme. „Elbchen, mein armes Elbchen! Du bist wahrhaftig von Orks gezeichnet, mehr als du ahnst. So machen Orkmütter das auch, wenn sie nicht noch mehr Junge wollen, wusstest du das?“ Er zog ihren Kopf an seine Brust, wiegte sie und sprach ihr leise ins Ohr. Von unter den Falten ihres Umhanges streckte sie die Hände aus und klammerte sich an ihn, ihr Gesicht an seinem Körper verborgen. Radagast wandte sich zur Seite, um sie nicht zu stören. Er schritt langsam den Weg hinunter und überließ es ihnen, beieinander Frieden zu finden. Als Malawen sich ein wenig beruhigte, versuchte sie, sich von Canohando zu lösen, aber er wollte sie nicht loslassen. Er rutschte herum, bis er in Schneidersitz auf dem Boden saß und sie auf dem Schoß hielt, und er hob ihr Kinn mit der Hand an, damit ihre Augen sich trafen. „Willst du meine Gefährtin sein, Elbchen, und Kinder mit mir haben? Ich kann dir nicht versprechen, das sie keine Grauhäute sind, aber es werden unsere sein, deine und meine gemeinsam, und wir werden sie lehren, großzügig und wahrhaftig zu sein, so wie mein Kümmerling.“ „Wie kannst du mir deine Kinder anvertrauen, nachdem - “ „Du würdest ihnen kein Leid antun, oder nicht?“ unterbrach er sie, und sie schüttelte den Kopf. „Mich kümmert es nicht, wie grau ihre Haut ist, wenn sie nur deine Augen haben,“ sagte sie und streichelte ihm die Stirn und über die Wange hinunter, die Hand leicht wie Distelflaum auf seinem Gesicht. Seine Arme schlossen sich fester um sie, und sie schmiegte sich an ihn. Jetzt verstehe ich dich, meine Königin; jetzt weiß ich, weshalb du dein Geburtsrecht aufgegeben hast. Für dieses Glück... ich bin ausgeschlossen von Valinor, aber nun ist das Segensreich dorthin gekommen, wo ich bin. Er küsste sie auf den Kopf und ließ seine Lippen über die glänzende Seide ihres Haares gleiten. „Melethril,“ murmelte er. „Malawen Melethril, mein Elbchen...“ Sie blickte zu ihm auf; halb lachte sie, obwohl ihre Augen noch immer voller Tränen standen. „Wo hast du dieses Wort gelernt? Ich habe es dir nie beigebracht.“ „Der alte Mann hat es mir gesagt. Er sagte, ich würde es vielleicht brauchen.“ Trockener Humor klang in der Stimme des Orks mit, und die schlang die Arme um ihn und streckte sich, damit sie ihn auf das Kinn küssen konnte. „Melethron - mein Liebster, mein Liebster - “ Canohando beugte sich hinunter und bedeckte ihren Mund mit dem seinen. In dieser Nacht kam er im tiefer Dunkelheit zu ihr, hungrig und drängend, und zuerst zitterte sie, obwohl sie ihn kannte. Aber seine Liebe war sanft, und er nahm sie mit sich, bis sie sich gemeinsam wiegten wie die Wogen des Meeres. Und sie öffnete die Augen und starrte zu den Sternen hinauf, die irrwitzig am Firmament im Kreis zu wirbeln schienen, und sie schrie auf vor Glück. *********************** Melethril, Melethron Geliebte/ Geliebter
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