Sub Luna
von Cúthalion


Kapitel 5:
Zunehmender Mond

Die folgende Woche ist ziemlich ruhig. Sie verbringen jede Minute miteinander, genießen die neue Nähe, die Berührung, die geflüsterten Worte am Rand des Schlafes. Manchmal wacht Tonks mitten in der Nacht auf, betrachtet sein stilles Gesicht und kann ihr Glück noch immer nicht fassen.

Nach den ersten paar Nächten bekommt sie allerdings nicht mehr viel Schlaf. Sobald sie hört, dass sein Atem langsam und regelmäßig wird, schlüpft sie aus dem Bett, geht in die Küche hinunter und deutet mit ihrem Zauberstab müßig in die Richtung seiner zweitbesten Teekanne, die ihr freundlicherweise einen eigenartig schmeckenden Earl Grey serviert. Sie sitzt vor dem dampfenden Becher, grübelt im Stillen und schmiedet Pläne, bis sie den Weg, den sie jetzt nehmen muss, vor sich sieht.

Es gibt noch immer ein paar Unwägbarkeiten. Aber sie weiß, wen sie um Rat fragen muss, und die fragliche Person wird ihr den nächsten Schritt zeigen können. Es ist gefährlich, sie weiß es mit grimmiger Klarheit. Sie könnte entdeckt werden, und von den falschen Leuten noch dazu… aber sie ist nicht bereit, auch nur einen einzelnen Gedanken an diese spezielle Gefahr zu verschwenden. Sie hat all ihren Mut aufgebracht, die Barriere zwischen ihnen beiden zu durchbrechen, und sie ist nicht bereit, den Schatz aufzugeben, den sie gerade erst erworben hat.

Die erste Nacht im August ist ungewöhnlich kühl und Professor McGonnagall hat im Studierzimmer-Kamin des Schulleiters ein kleines Feuer angezündet… zum Glück für Tonks, die ein paar Minuten nach Mitternacht ihren Kopf aus dem Feuer streckt.

Sie hat einen Augenblick, ihre frühere Lehrerin unbemerkt zu beobachten; in den letzten paar Monaten hat sie sie besser verstanden als jemals zuvor. Viele der Gryffindors, die unter ihrem eisernen Blick zusammengeschrumpft sind, wären sehr überrascht, wenn sie irgendeine Ahnung von ihren schmerzhaften Zweifeln hätten.

„Minerva…?“ 

Die vorläufige Schulleiterin macht regelrecht einen Satz und lässt die Feder fallen; Tinte spritzt über das Pergament auf dem Schreibtisch und sie entfernt die Flecken mit einem ungeduldigen Wedeln ihres Zauberstabes. Als sie ihren unerwarteten Gast erkennt, gibt sie ein verärgertes Schnauben von sich.

„Haben Sie eine Vorstellung davon, wie spät es ist?“

„Tut mir Leid, Professor.“ sagt Tonks und rutscht auf der Stelle in die Rolle zurück, an die sie jahrelang gewöhnt war. Die Tatsache, dass sie beide Mitglieder des Ordens sind, hat es scheinbar nicht vermocht, auch nur ein Jota an ihrem lang eingeübten Verhalten zu ändern. „Ich fürchte, ich brauche Ihre Hilfe.“

Sie nimmt ihren Mut zusammen und beginnt zu erklären; McGonnagall lauscht mit einer tiefen, senkrechten Falte über ihrer Nasenwurzel und nimmt die scharfen Katzenaugen hinter ihrer Schildpattbrille keinen Moment von Tonks Gesicht. Als Tonks ihre äußerst sorgsam vorbereitete Rede beendet hat, folgt ein langes, schweres Schweigen.

„Erst einmal müssen Sie herausfinden, wo es versteckt ist,“ sagt Minerva endlich. „aber das sollte kein Problem sein. Ich wünschte nur, wir müssten Potter nicht damit behelligen. Nun ja… ich nehme an, wir haben keine Wahl. Und wenn Sie es finden, werden Sie noch mehr Hilfe brauchen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das nicht gerade Ihr Lieblingsfach.“

Es hat keinen Sinn, etwas abzustreiten, was so offensichtlich wahr ist. Tonks lächelt ein wenig ironisch. „Ich bin sicher, Sie haben schon jemanden im Sinn.“

Minerva reibt sich die Stirn, als wollte sie einen stechenden Kopfschmerz loswerden. „Das habe ich tatsächlich,“ sagt sie. „Hermine Granger ist genau die richtige Wahl – sie hat bereits in ihrem zweiten Jahr hinbekommen, was Sie in Ihrem siebten nicht geschafft haben. Sie sollten sie im Fuchsbau finden. Und kommen Sie bitte zurück, sobald Sie mir sagen können, wo ich suchen soll.“

Das letzte, was Tonks in dieser Nacht vom Studierzimmer des Schulleiters zusehen bekommt, ist Dumbledores Portrait hinter McGonnagalls rechter Schulter; gerade, als sie ins Feuer zurücksinkt, öffnet es die Augen. Die ganze Zeit, während sie die Flammen in Remus’ kleinem Küchenkamin erstickt, während sie den schmerzenden Rücken streckt und leise die Treppe hinauf und zurück ins Schlafzimmer geht, erfüllt sie das kleine, belustigte Lächeln, das sie auf seinem Gesicht gesehen hat, mit unendlicher Traurigkeit.----

Am nächsten Morgen geschieht es zum ersten Mal, seit sie zu ihm gekommen ist, dass Remus das Haus verlässt. Er erklärt ihr nicht wieso, er sagt ihr einfach, dass er einen langen Spaziergang nötig hat. Tonks ist sich ziemlich sicher, dass er frische Luft schnappen möchte, so lange die Verwandlung ihn noch nicht heimgesucht hat… und dass er ein wenig Zeit für sich braucht und zu rücksichtsvoll ist, es ihr zu sagen. 

Noch immer neun Tage bis zum Vollmond.  

Tonks ist viel zu beschäftigt, um sich vernachlässigt zu fühlen oder ihm böse zu sein. Kaum eine halbe Stunde, nachdem er gegangen ist, appariert sie in Mrs. Weasleys Gemüsegarten und bleibt beinahe in einer sauberen Reihe von Bohnenstangen hängen. Molly pflückt gerade frischen Salat für das Mittagessen, und Tonks plötzliches Auftauchen jagt ihr einen solchen Schrecken ein, dass ihr Korb durch die Luft segelt wie ein Weidengeschoss; er verfehlt Tonks Kopf nur knapp und lässt Feldsalat auf ihre Schultern regnen.

„Hallo, Molly.“ Tonks lächelt entschuldigend und bürstet sich kleine, grüne Blätter von der Bluse. „Tut mir wirklich Leid… ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sie schneidet die voraussichtliche Einladung zu Tee, Keksen und einer gemütlichen Unterhaltung ab, indem sie die ältere Frau an der Schulter berührt. „Ist Harry hier?“

Molly betrachtet sie mit neugierigen Augen.

„Ich hab ihn seit dem  Frühstück nicht mehr gesehen,“ sagt sie. „Er ist heutzutage schrecklich still… und er isst nicht genug.“ Sie seufzt ziemlich unglücklich. „Er kommt mir vor wie eine magische Tür, die irgendjemand mit wenigstens sieben unauflöslichen Flüchen versiegelt hat.“

Tonks spürt, wie sich ihre Mundwinkel nach oben kräuseln, aber auch dieses Lächeln ist nicht gerade glücklich.

„Wenn er die Tür aus eigenem Willen geschlossen hält, solltest du nicht versuchen, dir den Weg zu erzwingen,“ sagt sie sanft. „Er hat mehr Verlust, Qualen und Schmerzen ertragen, als es irgendjemand sollte. Es hat keinen Sinn, ihn unter Druck zu setzen… selbst wenn du es zu seinem Besten und aus Liebe tust.“

Molly hat den letzten, verstreuten Feldsalat eingesammelt und Tonks folgt ihr, als sie zum Haus zurückgeht. „Ich muss bald wieder los… wo ist Hermine?“

„In Ginnys Zimmer.“ Die Neugier in Mollys Augen hat eine neue Höhe erreicht. „Würde es dir etwas ausmachen, mir zu sagen, was…“

„Nicht heute.“ Tonks beugt sich hinunter und küsst Molly spontan auf die Wange; sie atmet den beruhigenden Duft nach leckerem Essen, Kräutern und frischer Wäsche ein, der ein Teil von ihr zu sein scheint. Sie riecht nach ausgelassenen, lärmenden Mahlzeiten gemeinsam mit geliebten Menschen, nach Geschichten, die immer ein Happy End haben… es ist der Duft nach einem Zuhause, nach dem sich jedes Kind der Welt sehnen würde. „Warte, bis die Hochzeit vorbei ist. Dann klaue ich Arthur eine Flasche Wein aus dem Keller, wir sitzen bis tief in die Nacht im Garten und ich erzähle dir alles, was du immer schon über mich wissen wolltest.“

„Alles?“ Molly legt den Kopf schief und ein Grübchen erscheint, wo Tonks Lippen gerade noch ihre Haut berührt haben.

„Jede Einzelheit.“ Es ist ein feierliches Versprechen, und ein niedriger Preis für das, was sie heute zu erreichen hofft. Sie nimmt die gewundene Treppe mit raschen Schritten und erreicht endlich das kleine Zimmer, das sich Hermine während der Ferien mit Ginny teilt. Wie erwartet hat sich Hermine in einem alten Schaukelstuhl zusammengerollt, die Nase in einem Buch.

Ohne große Vorrede lässt sich Tonks im Schneidersitz auf dem Teppich vor dem Schaukelstuhl nieder und stellt ihre erste Frage. Einen Moment lang bleibt Hermine völlig still, dann klappt sie mit einem heftigen Stirnrunzeln das Buch zu.

„Es ist nicht nötig, Harry zu fragen,“ sagte sie ruhig. „Er hat mir gesagt, wo er es gelassen hat. Wofür brauchst du dieses verflixte, unruhestiftende Ding eigentlich?“

Tonks sagt ihr, wofür sie dieses verflixte, unruhestiftende Ding braucht, und sie erzählt ihr auch, was Miss McGonnagall letzte Nacht zu ihr gesagt hat. Hermines Augenbrauen steigen nach oben, bis sie beinahe unter ihrem buschigen Haar verschwinden; ihr Stirnrunzeln wird zuerst von einem stolzen Lächeln ersetzt und dann von plötzlichem Gelächter. Tonks schaut mit einer gewissen Verblüffung zu ihr auf und Hermine erwidert ihren Blick mit leuchtenden Augen.

„Wir werden Professor McGonnagall nicht damit behelligen müssen,“ ruft sie aufgeregt. „Weißt du, ich bin letzte Woche zu Flourish 8 Blotts gegangen und habe Damocles Belbys Buch gekauft. Und er war stolz und penibel genug, um jede Einzelheit zu erklären… obwohl das wohl das Schwierigste sein wird, was ich je gemacht habe, und ich weiß wirklich nicht, ob…“ Sie bemerkt Tonks flehenden Blick und strafft ihren Rücken. „Ich bezweifle, dass wir irgendwo in der Winkelgasse die gemahlene Kralle einer mazedonischen Harpyie kriegen… aber ich weiß, wo sie die her bekommt.“


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