Sub Luna
von Cúthalion


Kapitel 6:
Frühstückstee

Vier Tage später sitzt sie mit Remus am Frühstückstisch und er bestreicht ein Milchbrötchen mit Butter, als plötzlich eine winzige Eule durch das offene Küchenfenster hineinrauscht. Sie kreist um die Lampe und zwitschert wie verrückt, bis Tonks den lebendigen Federball einfängt und den kleinen Körper vor Erregung gegen ihre Handfläche zittern fühlt.

„Sieht aus wie Rons Eule,“ meint Remus und nimmt einen Schluck Tee. Er wird in letzter Zeit immer schweigsamer; er bereitet sich darauf vor, sie fort zu schicken und einen neuen Vollmond samt quälender Verwandlung zu ertragen, und das Ganze ohne den zerbrechlichen Trost des Trankes, der ihn bei Verstand hält. Sie haben nicht darüber geredet, und sie reden auch jetzt nicht darüber, während Tonks die Nachricht von Pigs winziger Kralle losmacht. Sie rollt den Pergamentstreifen auseinander. Schwarze Buchstaben stolpern darüber hin, als wären sie von einer ungeschickten – oder sehr erschöpften – Hand geschrieben worden.

Er ist fertig: komm und hol ihn sofort ab, er muss getrunken werden solange er noch heiß ist oder er wirkt nicht. H.

Sie hebt den Kopf und schenkt Remus ein strahlendes Lächeln. „Würdest du mich einen Moment entschuldigen?“

„Äh… sicher. Würdest du mir sagen…“

„Ich bin sofort wieder da, Lieber.“

Mit einem Flattern ihres weiten Sommerhemdes ist sie zur Tür und zur Wohnung hinaus; sie rennt die Stufen des schäbigen Treppenhauses hinunter und hinaus auf den Gehsteig. Es ist Sonntag und die Straße ist ziemlich leer, also sieht niemand die junge Frau mit dem kaugummi-rosa Haar, die sich plötzlich direkt vor dem Tattoostudio in Luft auflöst.

Dieses Mal appariert sie geradewegs in Molly Weasleys Küche. Die Szene ist ziemlich… verstörend, um das Mindeste zu sagen. Molly deutet mit ihrem Zauberstab auf einen riesigen, schwarzen Fleck, der die Decke verunziert, und als Tonks sich umdreht, entdeckt sie Ginny, die grimmig die Scherben wegräumt, die einmal die Glastür von Mollys altem, ererbten Geschirrschrank gewesen sind. Aber was sie im meisten erschreckt, ist die zusammengekrümmte Gestalt, die am Tisch sitzt.

„Hermine…?“ 

Müde Augen starren sie aus einem grauen, rußverschmierten Gesicht an; ein langer Kratzer bildet eine tiefrote Linie von ihrer linken Augenbraue über die Wange hinunter bis zum Kinn.

„Was ist denn hier passiert?“ flüstert Tonks; ein plötzliches Gefühl der Schuld zerrt an ihrem Herzen. „Hast du die Küche in die Luft gejagt?“

„Nein.“ Hermines Stimme ist heiser. “Bloß den Kessel. Zweimal.” Sie niest in ihren Ärmel hinein und hinterlässt einen kohlschwarzen Streifen quer über ihre Nase. „Zum Glück hatte ich die Harpyienkralle noch nicht hinein getan… der Rest der Zutaten ist nicht so schwer zu kriegen. Das Problem ist nicht, was du in den Kessel hineintust, sondern, wie du es umrührst und die Zaubersprüche, die du dabei sagen musst. Der Rhythmus und die Worte sind schrecklich kompliziert, und wenn du auch nur eine Silbe vergisst oder in die falsche Richtung rührst, dann hast du eine furchtbare Schweinerei. Und der Schaden, den diese besondere Lösung anrichtet, wenn sie halbfertig explodiert, kann normalerweise nicht mit einem Zauberstab beseitigt werden.”

Sie steht von ihrem Stuhl auf und schwankt langsam in Richtung Tür, das Gesicht zu einem riesigen Gähnen verzogen. 

„Irgendwann demnächst bringe ich Muggelfarben, Pinsel und Rollen mit und streiche die Küchenwände,“ murmelt sie, „aber nicht vor nächster Woche. Ich brauche erst ein bisschen Schlaf, und heute Nacht muss ich den nächsten Trank brauen. Er muss ihn…“ Noch ein Gähnen, während sie auf der Türschwelle steht. „… er muss ihn jeden Morgen bis zum Vollmond nehmen, und frisch hergestellt wirkt er am besten.“

Mit ein paar schnellen Schritten ist Tonks neben ihr und zieht das junge Mädchen in eine feste Umarmung hinein.

„Danke,“ flüstert sie in das zerzauste Haar unter ihrem Kinn und atmet das stechende Aroma aus Ruß, Schweiß und Erschöpfung ein, das daraus aufsteigt. „Danke, Hermine. Ich hoffe, dass eines Tages irgendjemand ein Buch darüber schreibt.“

„Hoffentlich hab ich nichts falsch gemacht,” murmelt Hermine, “oder es wäre besser, ich komme gar nicht erst drin vor.“

Sie tritt zurück, dreht sich um und Tonks hört, wie sie die gewundene Treppe zu Ginnys Zimmer hinauf stolpert. Sie wendet sich ab, ihren Herzschlag laut in den Ohren und Ginny reicht ihr eine in weichen Stoff gewickelte Tonflasche.

„Nicht fallen lassen.“ sagt sie mit einem merkwürdigen, kleinen Lächeln.

„Nie im Leben.“ entgegnet Tonks mit leidenschaftlicher Heftigkeit. Sie hält die Flasche fest an die Brust gedrückt und spürt, wie die Hitze des Trankes durch Ton und Stoff und Hemd geradewegs unter ihre Haut sickert.

Eine Sekunde später steht sie wieder auf dem Gehweg vor dem Tattoostudio. Als sie ging, ist sie die Treppen hinunter gerannt, jetzt ist jeder Schritt ängstlich und behutsam, und sie braucht fast fünf Minuten, um den Eingang von Remus’ Wohnung zu erreichen. Sie tritt ein, schließt mit einer Hand die Tür und geht langsam in die Küche.

Er sitzt noch immer am Tisch und sein Tee hat sich nicht einmal abgekühlt. Er schaut stirnrunzelnd zu ihr auf, als sie den Stoff von der Flasche entfernt und einen Keramikbecher aus dem Schrank holt. Sie entkorkt die Flasche und kippt den gesamten Inhalt in den Becher.

„Vergiss deinen Tee,“ sagt sie atemlos, und ihre Stimme bebt ganz leicht. „Versuch stattdessen das hier.“

Langsam streckt er die Hand aus und nimmt ihr den Becher ab. Er taucht die Nase in den Dampf… und erbleicht, während er sie mit ungläubigen Augen anstarrt. Seine Finger fangen an zu zittern und sie greift hastig zu, um seinen Griff zu stützen; kein Tropfen davon darf verloren gehen. 

„Tonks…“ flüstert er. „Mein Gott, Tonks. Wie…”

„Das erklär ich dir später,“ sagt sie und blinzelt die heißen Tränen weg, die ihr langsam die Sicht auf sein fassungsloses Gesicht verschleiern. „Aber zuerst solltest du trinken.“ --

„War das deine Idee, dass Hermine versuchen sollte, den Trank zu brauen?“

Die Mittagszeit ist vorüber; sie haben das Haus für einen kleinen Spaziergang verlassen, zu einer Kirche in der Nähe. Bänke stehen an einem Kiesweg entlang um eine runde Blumenrabatte; Tonks betrachtet dem bunten Aufruhr üppig blühender Rosen. Ihr Kopf liegt auf Remus’ Schoß und sie kann seine Finger spüren, die ihr langsam durchs Haar streichen.

„McGonnagall hat mir den Rat gegeben, sie zu fragen; sie hat verdammt genau gewusst, dass Zaubertränke eines meiner schlechtesten Fächer war. Kein Wunder – ich habe dauernd die Zutaten vergessen oder sie miteinander verwechselt. Allerdings hat mich Snape nie zur Zielscheibe von seinen bösen Witzen oder seinem Spott gemacht… er dachte wahrscheinlich, ich wäre ganz einfach ein hoffnungsloser Fall.“ 

Er fängt an, ihre Stirn zu liebkosen; der sanfte Rhythmus macht sie schläfrig. 

„Ich hatte gehofft, dass Snape das Rezept in sein Buch geschrieben hätte; Professor McGonnagall sagte mir, ich soll Harry fragen, wo er es hingetan hat, bevor er diesen Sommer von Hogwarts wegging.“ Sie gähnt. „Komischerweise hat keine von uns beiden daran gedacht, dass der Wolfsbann-Trank zum ersten Mal 1990 gebraut wurde, lange nachdem Snape die Schule beendet und aufgehört hatte, etwas in das Buch einzutragen. Hermine hat das natürlich gewusst, und sie hatte sich sogar Damocles Belbys Buch gekauft. Damocles Belbys Dramatische Bräue – der Titel ist ein schlechter Scherz, aber ich werde den alten Angeber immer dafür lieben, dass er so gründlich war.“

„Der Wolfsbann-Trank hat dem ,alten Angeber’ den Orden des Merlin eingetragen,“ sagt Remus leicht belustigt. „Er wäre ganz schön entsetzt, wenn er dich hören könnte, meine liebliche Hexe.“

Sie lächelt zu ihm hoch.

„Jetzt, wo du den Trank hast – lässt du mich bleiben?“

„Nein, das kann ich nicht.“ Seine Finger verlassen ihre Stirn und schließen sich in einem fast schmerzhaften Griff um ihre Schulter. „Du musst das verstehen, Liebes… der Trank mag den selben Geschmack haben, aber wir können nicht völlig sicher sein, dass er auch genau so wirkt. Glaub mir, ich vertraue Hermine… vermutlich war sie die einzige mit der Fähigkeit und dem schieren Mut, das fertig zu bringen… aber es besteht immer noch ein Risiko, dass er nicht genau die Wirkung zeigt, die er zeigen sollte, oder dass es gewisse… Nebenwirkungen gibt. Du gehst heute Nachmittag, und ich werde den Trank für die restlichen Tage selbst holen.“

Sie erhebt keinerlei Widerspruch. Eine halbe Stunde später gehen sie zu seiner Wohnung zurück und sie packt die kleine Tasche, die sie mitgebracht hat, als sie vor fast drei Wochen gekommen ist. Es scheint ihr unglaublich, dass eine Zeitspanne so lächerlich kurz sein soll, wenn sie sich gleichzeitig anfühlt wie ein ganzes Leben. Sie verabschiedet sich mit einer langen Umarmung und einem Kuss, der beinahe noch länger dauert, und für einen flüchtigen, ewigen Moment nimmt sie sein Gesicht in beide Hände und lächelt ihm in die Augen, bevor sie sich abwendet und die Treppe hinuntergeht.


Top          Nächstes Kapitel          Harry-Potter-Stories          Home