Der letzte Tanz (The Last Dance)
von illyria-pffyffin, übersetzt von Cúthalion

Hobbingen, Sommer 1489

Ihre Augen (auch wenn sie verschleiert waren) konnte noch immer die Braut sehen, die mit scheuer Bewunderung und verletzlicher Zärtlichkeit zu dem strahlenden, hübschen Gesicht von Elfstan Schönkind aufblickte. Ich weiß, wie du dich fühlst, Kind, flüsterte sie in ihrem Herzen, denn einst habe ich selbst die Schönheit selbst geschaut, und ich habe geliebt, ich tue es immer noch.

Sie saß in dem gepolsterten Weidensessel im Schatten des Mallornbaumes; sie beobachtete, wie das schöne Paar einander in den Armen lag und miteinander tanzte. Sie lächelten. Elfstan flüsterte der jungen Rosemarie etwas ins Ohr, und sie wurde rot.

Oh Mädel, ich kenne es auch; das erregende Gefühl, die Stimme von einem zu hören, der uns liebt. Er wird deinen Namen sagen, Kind, und du wirst den Klang seiner Stimme hüten wie einen Schatz und dich daran erinnern wie an ein Lied... und eines Tages, irgendwann, wirst du sie in der Menge hören, und du wirst dich danach umdrehen und denken, er wäre es, nur um herauszufinden, dass es nichts ist als das gnadenlose Spiel, das dein Gedächtnis mit dir spielt.

Elfstan ließ seine Braut los und ging zu der niedrigen Holzbühne hinüber, wo die Musiker ihn mit Gelächter und Applaus begrüßten. Nach einer kurzen, flüsternden Unterhaltung begannen sie mit einer anderen Melodie, einer langsameren und sanfteren, und während Rosiemarie ihn mit unverhohlener Liebe anschaute, sang Elfstan ein altes, süßes Liebeslied.

Er hat auch für mich gesungen, Kind, vor langer Zeit. Er lachte mit mir und er weinte in meinen Armen, und wir plauderten müßig miteinander, als würde die Welt für immer aus dem Duft des Geißblatts vor meinem Fenster bestehen und aus der gemächlich langsamen Liebkosung seiner Lippen auf meinen. Wie leicht, wie einfach alles war vor jenem Tag, als sein Schicksal ihn rief und er gehorchte.

Als das Lied zu Ende war, sprang Elfstan unter dem donnernden Applaus der Hobbits auf der Festwiese von der Bühne herunter. Fastred und Elanor kamen herüber, um mit Braut und Bräutigam zu tanzen. Elanor war noch immer Die Schöne, obwohl sie schon fast siebzig war. Ihr goldenes Haar leuchtete nach wie vor im Licht der Kerzen und ihr Gesicht konnte noch immer viele der jüngeren Mädchen beschämen; sie bewegte sich leichtfüßig, während Elfstan sie über den Tanzboden führte.

Es war die Nacht des Jahrmarktes, eine Vollmondnacht, und der Tanzboden war ein kompliziertes Muster aus jungen Mädchen mit neuen Haarbändern und farbenfrohen Sommerkleidern; die Jungs hatten ihre Ärmel hoch gekrempelt und ihre Westen aufgeknöpft. Die Musik nahm kein Ende, genau wie das Gelächter und Geschrei, während das Muster sich drehte und veränderte, und während Paare einander los ließen und sich in die Arme eines anderen Partners warfen.

Ich habe ihn mit der hübschen, dunkelhaarigen, kleinen Bolger tanzen sehen, und mit dem süßen Braunlockmädchen mit den Grübchen in den Wangen. Mein Herz flatterte in eifersüchtiger Unruhe bei jedem Lächeln, das er ihnen schenkte, mit jeder graziösen Verbeugung vor seiner nächsten Tanzpartnerin. Dann gab die Musik das Signal zum nächsten Wechsel und ich stellte fest, dass er dich neben mir stand. Und als er mich anschaute und seine Augen mich mit jener geheimem Sprache anlächelten, die nur wir beide sprachen, da war ich das einzige Mädchen auf dem Tanzboden. Als die Musik endete, gingen wir beide.

Oh Mädel, ich habe alles geschmeckt, von den süßesten Träumen und Versprechungen bis zum bittersten Augenblick, als keine Musik spielte und es nur Schmerz gab, Zorn und Verzweiflung. Man könnte meinen, mein Leben sei so leer gewesen wie mein kleiner Smial, so kalt wie die Berührung meiner gichtigen Finger, so müde wie mein gebeugter Rücken, Aber einst, mein Liebes, da habe ich geliebt. Ich habe die Schönheit berührt und sie hat mich schön gemacht. Einst gab es Leidenschaft in meinem Leben, und sie fühlte sich an wie eine Wiedergeburt... dieser Strom des Lebens, der in meinen Adern pulste, wenn ich auch nur an ihn dachte. Dann war da die Furcht und das Entsetzen, als er fort ging. Dann kamen der Kummer und die Trauer, als ich wusste, dass er nie zurück kommen würde, niemals wieder. Mit ihm segelte, was in meinem Herzen jung, unschuldig und voller Hoffnung war. Immer seither hat Liebe Opfer bedeutet, eines, das ich freudig gab und nicht ein einziges Mal bereut habe.

Nur manchmal sind die Erinnerungen so scharf, und die Sehnsucht bereitet mehr Schmerzen. Ich wünsche dir, Kind, ein freundlicheres Schicksal als das meine.

„Mutter Lily,“ rief Goldlöckchen ihr leise zu, „du gehst schon so bald? ist alles in Ordnung?“

„Oh, mach dir keine Gedanken, Liebes, mir geht's gut.“ Die alte Hobbitfrau erhob sich mit einigen Schwierigkeiten aus dem Weidensessel. „Es ist Zeit, meine alten Knochen zurück in mein gemütliches Zimmer zu schaffen. Nebenbei bin ich's müde, all diesen eifrigen Jungs zu sagen, dass ich weder die Beine noch den Kopf habe für diese ganzen neuen, wirbelnden Tänze.“ Sie lächelte Goldlöckchen an und zwinkerte ihr zu, während sie das Umschlagtuch enger um ihre zerbrechliche Gestalt zusammen zog.

„Warte einen Moment hier, Mutter Lily,“ sagte Goldlöckchen und wandte sich bereits in Richtung des Zeltes, das die Küche beherbergte. „ich werde die Köchin einen Korb füllen lassen, den du mit nach Hause nehmen kannst, und ich hole Faramir, damit er dich zu deinem Smial begleitet.“

„Dankeschön, Liebes," murmelte die alte Hobbitfrau, während sie der Frau des Thain zusah, wie sie davoneilte.

Sie stand da, lehnte sich zittrig auf ihre Krücke und betrachtete den verschwommenen Wirbel von Festkleidern und modischen Westen auf dem Tanzboden. Die Musik war schnell und fröhlich, und viele Stimmen sangen das Lied mit, während Hände den Rhythmus klatschten. Ein Summen von Gesprächen, durchsetzt vom Klirren des Silberbestecks auf den Tellern, durchwehte die schwülwarme Luft.

Lily.

Sie schnappte nach Luft und blinzelte ein paar Mal; sie durchsuchte verzweifelt die kreiselnde Menge vor sich. Diese Stimme...

Lily. Immer noch sanft, nun aber nachdrücklicher.

Seine Stimme. Aber das war... unmöglich.

Lily, komm mit mir. Komm mit mir, Liebste.

Sie drehte sich um und machte ein paar Schritte auf den Rand der Wiese zu.

Ich bin hier, meine Geliebte. Komm jetzt mit mir.

Überzeugt und doch zweifelnd, hoffnungsvoll und doch ängstlich humpelte sie unter Schmerzen fort von dem Fest.

Frodo?

Ja, Liebste. Ich bin hier.

Frodo...

Ich bin hier. Komm. Komm mit mir.

Sie hinkte weiter, an der niedrigen Hecke vorbei, die den Lehmweg begrenzte, den sanften, grasigen Abhang hinter einer Reihe aus Eichen und Lindenbäumen hinauf. Ihr Umschlagtuch rutschte von ihren Schultern herunter und flatterte in der abendlichen Brise, ehe es auf dem kühlen Gras zur Ruhe kam. Ihr Atem war jetzt ein raues Nach-Luft-Ringen, aber noch immer kletterte sie den kleinen Hügel hinauf, bis sie zu einer kleinen Lichtung inmitten eines unregelmäßigen Kreises aus Bäumen kam. Und da war er und wartete auf sie.

Sie konnte keinen Schritt mehr weiter. Sie starrte, ohne zu blinzeln, die Gestalt an, die im Mondlicht mitten auf der Lichtung stand.

Sie hatte immer gedacht, dass er schön sei, aber das schien ihr so ein armseliges Wort zu sein, um das leuchtende Wesen zu beschreiben, das lächelnd vor ihr stand, die Arme geöffnet, um sie willkommen zu heißen. Er erschien ihr so sehr wie der Hobbit, in dem sie sich vor einem Lebensalter verliebt hatte, aber da war noch eine andere Seite an ihm, die sie nie zuvor gesehen hatte, ein Hauch Weisheit in seinen Augen, ein Ausdruck von Liebe und Frieden auf seinem Gesicht. Ein altersloses Gesicht, wie sie bemerkte, nicht von Sorge gezeichnet, so jung, fast kindlich, abgesehen von dem Wissen in diesen Augen, die mit ihr in der Sprache redeten, die sie nicht vergessen hatte. Liebe, Hingabe, Verlangen.

Sie schob sich eine verirrte, silberne Strähne hinter das Ohr und wurde plötzlich an die Steifheit ihrer Finger erinnert und an die hölzerne Krücke, die immer noch zitternd ihr Gewicht trug. Sie erinnerte sich an das Gesicht, das sie aus dem Spiegel anschaute und an all die Zeichen des Alters, hinterlassen von den langen Jahren, die vergangen waren, seit er sie zuletzt gesehen hatte.

Lily. Er lächelte.

Sie drängte die Tränen zurück.

Ich bin nicht deine Lily. Ich habe mich verändert. Ich bin alt. Ich bin jetzt nicht mehr als eine vertrocknete Hülse.

Du bist wunderschön, Lily, so wie immer.

Er schloss den Abstand zwischen ihnen mit ein paar Schritten und hielt sie fest, er hielt sie ganz fest.

Ihre Krücke fiel ins Gras, als sie sie losließ, damit sie ihn berühren konnte, damit sie ihn spüren und die letzte, flackernde Spur von Zweifel in ihrem Herzen zum Schweigen bringen konnte. Selbst durch die Schichten ihrer Kleidung konnte sie seine Wärme fühlen. Sein Geruch erinnerte sie an einen Morgen im Frühling. Sie streckte eine Hand aus und strich ihm mit zitternden Fingern über das Gesicht; durch seine dicken, glänzenden Locken; hinunter in seinen Macken, und ja, diese Narbe war noch immer da, aber da war keine Dunkelheit in seinen Augen, als ihre Hand darüber streifte; unter den feinen, leichten Stoff seines Hemdes und über die Wärme seiner Brust hin zu seiner Schulter, und ja, da war noch immer diese Erhebung, aber sie war nicht kalt, und er zuckte nicht vor Schmerz zusammen, als sie ihre Finger darauf ruhen ließ. Sie langte nach unten, löste seine rechte Hand von ihrer Mitte und hob sie hoch. Sie starrte sie an und rieb mit dem Daumen über die Narbe, die blieb, wo sein Ringfinger gewesen war.

Er schüttelte leicht den Kopf, um die Frage zu beantworten, die auszusprechen sie sich nicht überwinden konnte. Nein, sie tun mir nicht mehr weh, aber sie werden bleiben. Dies, er legte seine schlanke, sehnige Hand über die Finger, die auf seiner Schulter lagen, und dies, und er umfasste ihre linke Hand mit seiner Rechten, bleibt bei mir, weil es ein Teil ist von dem, was ich bin, ein Teil meiner vergangenen Taten und meiner zukünftigen Entscheidungen. So wie du es bist, mein Liebes.

Sie schloss die Augen, als er ihr Gesicht mit den Händen umschloss, und unter seiner Berührung schmolz das gesamte Erbe der Zeit von ihr ab, und all die Schmerzen eines harten Lebens und des Greisenalters verschwanden. Seine Finger liebkosten schwere, kastanienbraune Locken, und in seiner Umarmung war sie wieder das jugendliche, geschmeidige Mädchen mit funkelnden Augen und einem Rosenhauch auf den Wangen.

„Ich hab dich vermisst," schluchzte sie und vergrub endlich das Gesicht an seiner Schulter. „Ich hab dich vermisst.“

„Ich habe auf diesen Moment gewartet," murmelte er in ihr Haar hinein, „ich habe auf dich gewartet.“

„Verlass mich nicht wieder,“ flüsterte sie. „Ich kann es nicht ertragen.“

Er sagte nichts, aber seine Lippen berührten die ihren, ich bin dein, und sie wusste, dass die Sehnsucht für sie beide endlich ein Ende gefunden hatte. Es würde keine Abschiede mehr geben, niemals niemals niemals

Frodo. Diesen Namen wieder zu hören und auszusprechen, ihm nahe zu sein, zu wissen, dass sie einen sicheren Hafen gefunden haben, wo sie ausruhen und die Finsternis der Vergangenheit hinter sich lassen können; sie hat nie gedacht, das so etwas jemals geschehen würde.

Mein geliebter Frodo.

Meine Lily. Meine Liebe.

Sie hört eine schwache Musik, leise, aber wunderschön. Selbst auf den Wiesen, wo die Wildblumen blühen, hat sie nie so einen Duft gekannt. Ist es schon Morgen? Ihr ist, als wäre sie von einem warmen, hellen Licht umgeben. Sie lacht, sie ist so glücklich. Jetzt tanzen sie, sie und Frodo, und in ihrem Geist tragen all die Schritte sie höher und höher hinauf, bis sie endlich weiß, dass die Musik ein Lied der Sterne ist, und der Himmel ihr Tanzboden.

*****

Sie beerdigten sie am nächsten Morgen neben dem grasbedeckten Grab ihres Vaters. Ihr Name wurde in den Grabstein graviert, eine einzelne Inschrift; es gab keinen Namen eines Ehemannes oder die Namen von Kindern. Selbst dort, auf dem kalten Stein, der bald scheckig und verwittert sein würde von Moos, Sonne und Regen, war sie allein. Hobbitfrauen, denen sie bei vielen Geburten geholfen hatte, kamen und legten Blumen auf die feuchte, rote Erde; sie unterhielten sich in gedämpftem Ton darüber, wie friedlich sie ausgesehen hatte, als sie sie auf der Lichtung gefunden hatten.

Noch vor dem Mittag war der kleine Friedhof wieder verlassen. Aus einer ungepflegten, von Unkraut überwachsenen Ecke wehte der schwache Duft von Geißblatt herüber. Er kam mit der Brise, die durch das Laub einer hohen Kastanie raschelte; der Baum ragte über den welkenden Blütenblättern auf, die verstreut waren auf dem Grab von Lily Stolzfuß.


ENDE


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