Über das Wasser (Across the waters)
von oselle, übersetzt von Cúthalion


4. Kapitel
Tränen

Wasser.

„Willste bisschen Wasser?Musst 'n schrecklichen Brand haben!“

Die Stimme des Orks war spöttisch und allzu schadenfroh, als dass er wirklich mildtätige Absichten haben konnte. Frodo jedoch war viel zu erschöpft und durstig, um sich über die Beweggründe des Orks Gedanken zu machen. Sein Mund und seine Kehle brannten von dem Fusel, den sie ihm aufgezwungen hatten. Er dachte an klares Wasser und zitterte beinahe vor Verlangen.

„Ja.“ antwortete er und seine Stimme war so schwach, dass er sie kaum selbst hören konnte.

„Was is’ los? Was? Ich kann dich nich’ hör’n! Du muss’ schon lauter reden!“

„Ja...ich sagte...“ Frodo hielt inne, räusperte sich und zwang seine Stimme zu mehr Lautstärke, obwohl diese Anstrengung schmerzhafte Stiche durch seine wunde Kehle schickte. „Ich sagte... ja."

"Ja was?“

In Frodos Geist drehte sich alles. Was meint er? Was will er, das ich sagen soll? Er hob seinen Kopf und schaute in schrecklicher Verwirrung zu dem Ork auf. Er versuchte, Blick und Geist zu schärfen, aber keines von beidem klärte sich. „Was...?“ fragte er und plötzlich dachte er, beinahe hysterisch: Bitte? Will er, dass ich... Bitte sage?

„Was willste?“ fragte der Ork gutgelaunt. „Du hass’ ,Ja’ gesacht, dann hab ich ,Ja was?’ gesacht und dann hast du ,Was?’ gesacht, und jetzt weiß ich nich’, waste wills’!“

Er grinste ihn an und schüttelte den Krug neben sich. Die Flüssigkeit darin machte ein kühles, plätscherndes Geräusch und Frodo weinte beinahe, als er es hörte. Er räusperte sich wieder und sagte: „Wasser.“ Und dann fügte er verzweifelt hinzu: „Bitte.“

„Och, na ja, nachdem de ,Bitte’ und alles gesacht hass’... Da haste was!“

Der Ork zerrte Frodos Kopf an den Haaren zurück, setzte ihm den Krug an die Lippen, und noch bevor Frodo ihn zu schmecken bekam, konnte er ihn riechen... den selben feurigen Schnaps, den sie ihm schon gegeben hatten. Er versuchte, den Kopf wegzudrehen, aber er konnte nicht und ein riesiger sengender Schluck rann ihm in die Kehle. Sofort stiegen ihm Tränen in die Augen und er fing an zu husten. Der Ork brüllte vor Lachen, als Frodo sich über seine Knie beugte und alles wieder erbrach.

„’Ne verfluchte Verschwendung, wennde mich frags’. Passt zu dir...“Er wandte sich ab und verschwand durch die Falltür; Frodo konnte ihn den ganzen Weg die Leiter hinunter lachen hören.

Frodo stützte seine Stirn in die Hände und würgte, bis seine Schläfen pochten. Als die Übelkeit abebbte, legte er die Handflächen auf den Boden und schob sich außer Reichweite seines Erbrochenen. Sein bloßer Rücken berührte die Steinmauer und er lehnte sich erschöpft dagegen. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund und seine Hand zitterte wie ein dürres Blatt im Wind.

Er klemmte sich die Hände unter die Achseln und versuchte, sich zu beruhigen. Aber er konnte keinen hoffnungsvollen oder tröstenden Gedanken finden, der ihm auch nur ein wenig Frieden beschert hätte. Er hatte sich genügend von den Spinnengift erholt, um sich die Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen, die ihn hergebracht hatten. Sein mangelndes Urteilsvermögen hatte ihn dazu verleitet, Gollum zu trauen, und das hatte ihren Verrat nach sich gezogen. Seine vermessenen Handlungen in der Höhle des Ungeheuers hatten ihn im schlimmsten Augenblick von Sam getrennt und gaben der Spinne eine Gelegenheit, ihn anzugreifen, während Sam von einem anderen Schrecken heimgesucht worden war. Sicherlich war Sam tot, oder er war gefangen in der üblen Höhle der Spinne. Und nicht durch eigene Fehler oder Schwächen. Sams einziger Fehler war, dass er mir vertraut hat, dachte Frodo. Er hat gesagt, er würde mir bis auf den Mond folgen, aber ich habe ihn an einen viel dunkleren Ort geführt. Alle meine Entscheidungen haben sich als schlecht erwiesen, von Anfang an.

Nun würde seine Dummheit dafür sorgen, dass das Böse wie ein übler Regen auf Mittelerde herabfiel, auf jede Kreatur, die dort lebte. Der Ring war dahin. Und Er war ihm nicht nach der Folter oder in Gefangenschaft entrissen worden. Er hatte Ihn bis direkt vor Saurons Tür gebracht, und es gab keine andere Entschuldigung für sein Versagen als seine eigene, endlose Kette falscher Entschlüsse.

Frodo zog seine Knie bis hoch zum Kinn und legte seinen Kopf darauf. Er wusste, dass er gefoltert werden würde und hatte entsetzliche Angst davor. Er konnte kaum atmen, so sehr fürchtete er sich. Und doch, was konnte passender sein, als dass er jahrelang in diesen Kerkern leiden würde? Ich habe meinen besten Freund umgebracht, der mich geliebt und mir vertraut hat. Ich habe das Böse auf die Welt losgelassen, ich habe verdient, was immer sie mir antun. Ich habe es mehr als hundert Mal verdient.

Er legte die Arme über seinen Kopf und weinte.


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