Ungesagt (Unspoken)
von illyria-pffyffin, übersetzt von Cúthalion

Die Schürze war abgetragen, aber fleckenlos; sie faltete sie und legte sie in den Korb, oben auf ihre kleine Holzkiste mit Hebammenwerkzeug.

„War es wieder einmal schlimm?“Seine Stimme floss über sie hinweg mit einer Wärme, die „Zuhause“ sagte, selbst während sie in dem unvertrauten Durcheinander der Küche von Beutelsend stand. Sie schmiegte sich enger in seine Umarmung hinein und genoss das Gefühl seines starken Körpers, der sie aufrecht hielt. Seine Hände beschrieben sanfte, beruhigende Kreise entlang ihres angespannten Rückens und ihrer Schultern.

Sie nickte dumpf. „Sie sind beide gestorben“, begann sie trostlos. „Ich konnte sie nicht retten.“

„Oh Liebste“, seufzte er und wiegte sie sachte, als sie anfing zu schluchzen. „Es tut mir leid.“

Sie war ruhig und beherrscht gewesen, als sie dem ungläubigen Vater die verheerende Nachricht überbrachte. Sie war ganz Tüchtigkeit und gesunder Menschenverstand, als sie die Vorbereitungen für das Begräbnis der Mutter und des totgeborenen Babys übernahm. Aber jetzt, in seinen Armen, wurde der letzte Überrest einer fadenscheinigen Fassade von Gelassenheit erschüttert und ging verloren. Sie klammerte sich an ihn, während er ihr aus dem Mantel half. Sie trug noch immer ihre Schürze darunter. Sie war frisch und sauber; sie hatte sie erst umgebunden, als sie in die Küche ging, um ein einfaches Essen für die beiden älteren Kinder zusammenzuhaspeln, die verwirrt und mutterlos aufgewacht waren. Ihre andere Schürze hatte sie zerknüllt in der Waschküche von Bauer Dornbusch zurückgelassen, steif von getrockneten Blutflecken. Sie taumelte unter der Erinnerung an die Stunden, die sie mit der wachsenden Überzeugung verbracht hatte, dass der Tod unmittelbar bevorstand. Seine Arme verstärkten ihren Griff um ihren Körper, als sie schwankte.

Er geleitete sie zu dem Armsessel dicht am Fenster. Auf dem niedrigen Tisch daneben befand sich ein Tablett mit gebuttertem Röstbrot, einem Schälchen mit eingemachtem Obst, einer Tasse Tee und einem Topf Honig. Er setzte sich hin, zog sie auf seinen Schoß und legte ihr eine Decke um die Schultern. Sie ließ ihren Kopf in seiner Halsbeuge ruhen und schloss die Augen. An jedem anderen Tag wäre sie lachend zurückgewichen. Zum einen wünschte sie nicht, dass er sie für schwach und hilflos hielt. Zum anderen gab es da die ungelöste Frage der Zukunft ihrer Begegnungen.

Sie mochte ihn, sie bewunderte ihn sogar, und sie zog endloses Vergnügen aus dem Wissen, dass er ihre gemeinsame Zeit scheinbar ebenso genoss wie sie. Aber sie hatte ihm auch versprochen, dass sie ihn nie an ihre Seite fesseln würde. Sie leuchtete durch seine strahlende Berührung und badete im Feuer seiner Augen, aber er sollte ihr Herz niemals auf jene Weise beanspruchen, die sie dahinsiechen ließ wie ersterbende Glut in einem Bett aus Asche, wenn er entschied, dass er genug gehabt hatte. Sie dachte, dass es weise sei, bedachtsam und vorsichtig zu sein. Ein wunderbarer Nachmittag von allzu hellem Licht hinter ihren Augenlidern und einem Springfeuer, das ihr Fleisch und Blut in Brand setzte, all das war sehr schön. Aber sie hatte sich geschworen, dass ihr Herz ungerührt bliebe. Wenn das Ende kam – und das würde es, sie machte sich keine Illusionen darüber, ob das, was sie gemeinsam hatten, andauern würde – dann wollte sie ihm mit einem tapferen Lächeln auf dem Gesicht begegnen.

Aber ihr Schwur stellte sich als einer heraus, der höchst mühsam einzuhalten war. Es war eine nur allzu große Versuchung zu glauben, dass es eine Welt gab jenseits ihrer knappen Fluchten in eine Welt, die nur ihnen allein gehörte. Sie wünschte, sie hätte ihr Herz stählen können gegen die alarmierende Leichtigkeit, mit der sie ihm vertraute und sich auf ihn verließ. Aber an manchen Tagen stellte sie fest, dass sie nicht einmal den geringsten Willen aufbrachte, ihm zu widerstehen.

Sie hätte an der Wegkreuzung die linke Abbiegung von der Hauptstraße nehmen können und wäre in sehr kurzer Zeit in ihrem Smial gewesen. Statt dessen war sie dem Pfad den Bühl hinauf gefolgt, sie hatte das Tor zu seinem Garten geöffnet und an seine Tür geklopft. Und das Einfachste, was sie tun konnte, als er mit besorgt gerunzelter Stirn im Eingang erschien, war, ihm in die Arme zu fallen. Es war das Einzige, was sie tun konnte.

Nur für heute, versprach sie sich selbst, als sie tief einatmete und seinen Duft nach Pfeifenkraut, Holzrauch, Tinte und Schlaf in sich hineintrank. Nur für diesen Moment, wiederholte sie für sich.

„Hier“, hörte sie ihn flüstern, als die glatte Rundung eines Tassenrandes gegen ihre Lippen gedrückt wurde. „Er ist noch warm. Hast du heute morgen irgend etwas gegessen?“

Sie nippte gehorsam an dem Tee. Er war warm und süß, und zusammen mit seiner stillen, stützenden Gegenwart war es genau das, was sie brauchte, um ihre überreizten Nerven zu beruhigen. „Nein“, sie schüttelte leicht den Kopf, „Ich konnte nicht. Ich kann immer noch nicht.“

Sie wartete darauf, seinen Tadel zu hören, aber er küsste nur ihre feuchten Lippen und umschloss ihre Wange mit seiner warmen Handfläche. „Wirst du versuchen, ein bisschen zu essen, für mich?“ fragte er ruhig und sah ihr in die Augen.

Sie ließ es zu, das er sie mit kleinen Stückchen Röstbrot fütterte, freigiebig gebuttert und großzügig mit eingemachtem Obst bestrichen. Sie hörte Vögel in den frisch bekleideten Zweigen der Bäume im Garten zwitschern. Aber in der warmen Küche von Beutelsend war das einzig hörbare Geräusch das Klirren der Tasse auf der Untertasse, das Knistern des Feuers, nur unterbrochen von einem gelegentlichen, ermutigenden Murmeln: „Nur ein kleines bisschen mehr, Liebes. So ist es gut.“

Er tauchte gerade ein Stück Brot in den Honigtopf, als sie hervorstieß: „Merle... sie war meine Freundin, seit ich ein Kind war, das war sie. Wir haben immer Puppenkleider und Puppenhüte zusammen gemacht. Sie hat die schönsten Spitzen und Rüschen genäht...“ Ihre Stimme erstarb, während sie auf ihre Finger hinunter schaute, die verschlungen in ihrem Schoß lagen. Kleine Hände, die wenig Hilfe brachten, als ihre liebe Freundin einen aussichtslosen Kampf mit dem Schicksal ausfocht. Kleine Hände, an denen der metallische Gestank von Blut klebte. Kleine Hände, die sich an so viel Kälte auf bleicher, lebloser Haut erinnerten. Sie schauderte und fühlte sich plötzlich sehr verletzlich, gehetzt und verängstigt.

Er hob ihr Kinn an und suchte ihre Augen. Sie hielt seinen Blick fest, ein Fenster zu Licht und Leben, während die Verzweiflung sich um sie schloss wie Schatten in der dunkelnden Dämmerung. Ihr Atem kam zitternd und verzweifelt. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn.

Da war eine ungezügelte Dringlichkeit in der Art, wie sich ihre Lippen um die seinen schlossen. Berühr mich, bettelte sie, wärme mich; erinnere mich daran, was das Leben ist, erinnere mich daran, dass ich am Leben bin. Bring mich dorthin, wo der Schmerz mich nicht erreicht, wo die Trauer keinen Platz hat, und wo nur Licht und lebensspendende Hitze singend durch meine Adern kreist. Berühr mich, schrie sie auf mit ihren wahnwitzigen Küssen, befrei mich. Rette mich.

Viel später erwachte sie aus einem langen, traumlosen Schlaf auf seinem Bett. Er lag neben ihr, die Arme um sie geschlungen... und flüchtig oder nicht, sie wusste, was immer zwischen ihnen bestand, es war die Wahrheit.

*****

Kleine Lederbeutel, mit Schnüren zugezogen und von den getrockneten Kräutern flüsternd, die sie enthielten. Sie hob einen auf und drückte ihn gegen ihre Nase. Konnte sie es diesmal tun? fragte sie sich.

„Danke, dass du gekommen bist“, sagte Rosie und nahm ihr den Mantel ab, während sie auf der Türschwelle zögerte, die sie so viele lange Monate nicht mehr überschritten hatte. „Ich hätte dich selbst holen sollen, aber ich kann Sam nicht mit Herrn Frodo allein lassen. Nicht jetzt. Er könnte etwas brauchen.“

Sie lächelte schief, während sie Rosie durch kerzenerleuchtete Korridore folgte. Sie wusste, sie würde keinen Führer brauchen, um ihr den Weg zu seinem Zimmer zu zeigen. Hatte sie nicht ihren Weg zu diesem Raum viele Male zuvor gefunden?

Sie stellte fest, dass sie in einst vertraute Winkel spähte. Der Stoß Bücher hier, der Stapel kleiner Holzdosen dort. Erinnerungen sprangen ganz neu auf aus Vertiefungen, die sie sicher in ihrem Geist versiegelt geglaubt hatte. Warum war sie einverstanden gewesen zu kommen? Warum hatte sie sich auf die Gelegenheit gestürzt, zurückzukehren? Es gab hier nichts für sie, und es hatte nie irgend etwas gegeben, dachte sie bitter.

„Sam ist da drin bei ihm“, sagte Rosie und zeigte auf die offene Tür zu dem Zimmer, das sie so gut kannte. „Ich mach gerade Tee. Soll ich dir welchen bringen?“

Sie murmelte eine vage Zustimmung und nahm Rosies feste Schritte, die sich in Richtung Küche entfernten, kaum wahr.

Sie stand auf der Schwelle und strich mit den Fingern an der Rundung des Türrahmens entlang, plötzlich atemlos, als Erinnerungen an flüssiges Feuer und blitzhelles Licht auf sie einstürmten. Erinnerungen, lebendig und frisch; an leichtherziges Lachen, and geflüsterte Worte und das Gefühl eines weichen Lächelns an ihrer Haut. All das pulsierte in ihr und sie schlug eine Hand vor den Mund, um das Schluchzen aufzuhalten, das plötzlich in ihrer Kehle aufstieg.

Holzscheite spuckten in einem lodernden Feuer, das den Raum in goldener Glut badete. Ein kleines Becken, ein Krug, ein paar Tassen und Schüsseln und kleine Flaschen drängten sich auf einem Tisch neben dem Bett zusammen, der in ihrer Erinnerung noch nicht da gewesen war. Sam saß gebeugt auf einem Stuhl, das Gesicht in seinen kräftigen Händen vergraben.

Sie stellte ihre Tasche auf den Boden und setzte sich gegenüber von Sam auf das Bett.

„Fräulein Lily,“ hörte sie Sams atemlose Stimme. „Du bist gekommen. Danke. Ich... wir wussten nicht, was wir sonst tun sollten.“

Es war nichts Schönes am Leiden; Schmerz war hässlich, bitter und gnadenlos, dachte sie, erschrocken über ihren eigenen Widerwillen gegen das, was sie sah. Es war ihr nicht fremd, sich um Kranke zu kümmern und normalerweise brauchte es viel, um sie zu erschüttern. Aber das hier...

„Er wollte nicht, dass der Heiler nach ihm schaut“, hörte sie schwach Sams Stimme sagen.

Klauenartige Finger, die sich wie Schraubzwingen in zerwühlte, schweißfeuchte Laken gruben; eine Haut bleich wie Schnee, straff über Wangenknochen gezogen, die so stark hervortraten, dass das Gesicht jedem Hobbit, den sie kannte, unähnlich war, und noch viel unähnlicher dem, der ihr Herz gefangen gehalten hatte seit der Nacht, als sie ihn tanzen sah.

„Ich hab alles versucht, aber nichts scheint zu helfen. Es geht ihm einfach immer schlechter.“ Sams Stimme schwankte am Rande der Tränen. Sie hörte ein schwaches Füßescharren, ein Schniefen und das Geräusch des Kamins, in dem das Feuer geschürt wurde, während die Schatten über die Wand flatterten. „Rosie hat gesagt, wir sollten dich besser her holen. Sie meinte, wenn du in der Nähe wärst, dann erinnert er sich vielleicht an eine bessere Zeit, nicht an irgendwas von der Reise. Das könnte helfen, ihn zurückzubringen; wenigstens hält es die schlechten Träume ab. Ich wollte nicht unverschämt sein, Fräulein. Aber... er hatte dich so gern. Hat er immer noch, glaube ich.“

Blutunterlaufene Augen, blind auf die gewölbte Decke gerichtet; ein Blickvoller Entsetzen und Schmerz, der tiefe Linien in ein Gesicht schnitt, das nichts von seinem früheren, strahlenden Glanz zeigte.

Was sagte Sam gerade? Irgendetwas über eine Messerwunde und Splitter, die im Fleisch zurückblieben, es vergifteten und ihm das Leben raubten?

Wenn er aufschrie und klagte, war seine Stimme rau und kalt, erfüllt von Furcht und Hass. „Weder mich noch den Ring sollt ihr haben!“ schrie er heiser, während er darum rang, vor einem ungesehenen Feind zu fliehen. War das die selbe Stimme, die mit einem einfachen Gruß ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte; die selbe Stimme, die sich einst zu einem wunderschönen Lied erhoben hatte, das nur sie allein gehört hatte; die selbe Stimme, die in ihrem Geist die Bilder von weit entfernten Städten und tapferen Taten aus lang vergangener Zeit malte?

Seine Arme bebten, steif und eisig kalt. Seine rechte Hand umklammerte und zerrte verzweifelt an einem weißen Edelstein, der an einer langen Silberkette um seinen Hals hing. Seine Glieder zuckten rastlos, während Alptraum um Alptraum seinen ohnehin schon schmerzgeplagten Schlaf zerriss. Nichts blieb in seinen Bewegungen von seiner jugendlichen Anmut oder der Wärme, die von seinem Körper ausstrahlte. Nichts blieb von ihm übrig.

Sie starrte auf die Maske von Pein und Qual vor sich und fragte sich, ob ihr Herz sich noch immer für diese erbarmungswürdige Ruine des Hobbits regte, den sie einst geliebt hatte.

Wenn Liebe einen wilden Ausbruch der Freude bedeutete, darüber, dass sie ihn wiedersah, oder ein kaum zurückgehaltenes, hervorströmendes Verlangen nach einer Berührung, die sie lange ersehnt hatte, dann... nein, sie empfand nichts davon. Wenn Liebe hieß, dass ihr Herz dabei blutete, ihn leiden zu sehen, dass sie bei jedem hilflosen Wimmern ungenannten Leidens von seiner Seite vor Schmerz weinte... ja, dann liebte sie ihn immer noch. Aber wen liebte sie? Den Hobbit aus ihrer Vergangenheit, den, der die Sonne mit seinem Lachen verblassen ließ und die Sterne mit seinen Augen beschämte? Oder dieses bemitleidenswerte Überbleibsel einer Seele ohne Heimat? Konnte es nur mehr Mitleid sein, das sie für ihn empfand – die Art von Erbarmen, das sie alten Hunden und hungrigen, streunenden Katzen entgegenbrachte?

Lange Stunden zogen langsam vorbei, während sie bei ihm blieb. Es gab keinen Trost, keinen Aufschub bei der Sorge um eine so schwere Krankheit. Ein paar der letzten Herbstblumen standen in einem Tonkrug auf dem Tisch nahe am Fenster, aber der Geruch von Krankheit, von unberührten Tränken und ungekosteten Tees, von Furcht und Erschöpfung hielt an, klebte an ihrer Haut und sickerte in ihre Kleidung. Sie verfolgte die Erhebungen seines Rückgrates mit einem feuchten Tuch, betäubt angesichts tiefer, scheußlicher Narben, die sich kreuz und quer über seine bleiche Haut zogen. Dies war eine Krankheit jenseits ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten, dachte sie. Dies war eine Wunde jenseits ihrer Hilfe; eine breite, unüberwindliche Kluft, die ihn aus ihrer Reichweite forttrug. Sie fuhr ihm mit den Fingern durch die klammen, silbergefleckten Locken, und sie wusste, dass nicht länger zählte, was ihr Herz empfand. Er lag im Sterben, so viel begriff sie. Ihre Liebe konnte ihn weder zurückholen noch heilen.

Der Morgen des 7. Oktober 1420 nahte bleich und windig heran. Sie schreckte aus einem kurzen Dösen hoch und fand ihren Patienten fest schlafend vor; er sah endlich aus, als wäre er mit sich im Frieden und würde ausruhen. Der Stuhl, auf dem Sam Wache gehalten hatte, war leer und Geräusche kamen aus der Küche. Sie starrte auf den Hobbit vor sich hinunter und strich ihm mit den Fingern durch das Haar.

Ihre Lippen erinnerten sich an den Schwung seiner Stirn, den Abhang seiner geschlossenen Augen. Seine Haut war kühl, seine Lippen aufgesprungen, sein Atem lag sanft auf ihrem Gesicht.

„Leb wohl“, flüsterte sie, stand auf und hob ihre Tasche vom Fußboden auf.

Sie wandte sich zum Gehen und hielt dann inne. Sie dachte, sie hätte seine Stimme gehört, die ihren Namen murmelte, aber als sie ihn ganz aus der Nähe betrachtete, um sicher zu sein, war alles, was sie sah, das friedliche Gesicht, deutlich in tiefem Schlaf; ein weiches Lächeln hob seine Mundwinkel.

Sie ging mit einiger Hast und lehnte Sam und Rosies Einladung zum Frühstück ab: sie versprach, wieder zu kommen, um nach ihrem geliebten Herrn Frodo zu sehen. Aber sie wusste, dass sie Beutelsend nie wieder betreten würde.

*****

Marigold öffnete ihr die Tür und begrüßte sie fröhlich. „Oh, ich bin froh, dass du hier bist, Lily! Sam gluckt herum wie eine Henne, seit er Nibs geschickt hat, um dich zu holen. Er hätte beinahe die Hobbinger Straße abgeklappert, um dich selbst zu suchen.“

Lily lächelte, während sie ihr Umschlagtuch an einen der vielen Pflöcke in der abgerundeten Mauer des Vorraumes hängte. „Frisch gebackene Väter“, gluckste sie, „wenn die bloß auch noch so blieben, wenn das dritte Baby auf dem Weg ist.“ Ist er hier? fragte sie sich.

Marigold lachte. „So, wie Rosie Sam anbrüllt, wäre ich erstaunt, wenn sie auch nur ein zweites kriegt.“

„Wie geht’s Rosie?“ Wo ist er? Was werde ich tun und sagen, wenn wir uns begegnen?

„Oh, ihr geht’s großartig. Sie sagt sogar, sie hätte noch Zeit, etwas für Herrn Frodos Abendessen zu kochen und dann den Teig für das Brot für morgen früh anzusetzen...“

Wie dumm, dass ich mir Sorgen darüber mache, ihn wiederzutreffen. Wieso auch, er wird wahrscheinlich so weit von Rosies Zimmern fernbleiben wie möglich. Es gibt keinen Grund ür ihn, in der Nähe zu sein. Höchstens für Sam vielleicht. Aber selbst so... Sie spähte durch die offene Tür ins Studierzimmer. Auf dem Schreibtisch am anderen Ende des Raumes lag ein unordentlicher Stapel Papier. Das Feuer war angezündet und Kerzen glühten in ihrem Messingständern rings um den Raum, aber da war niemand.

„Warum geht Rosie nicht nach Wasserau zurück, um das Baby zu bekommen?“ fragte Lily, als sie um eine weitere Ecke bogen.

„Na, du kennst sie ja, und Sam auch“, sagte Marigold. „Die beiden würden nie dran denken, Herrn Frodo allein zu lassen. Sie sind wirklich ganz versessen darauf, den alten Hobbit zu verwöhnen. Übrigens ist Frau Kattun gleich mit mir gekommen, als wir die Neuigkeit gehört haben.“ Eine Tür öffnete sich zu einem hell erleuchteten Raum am Ende des Korridors und eine lebhafte Unterhaltung wehte fröhlich heraus. Kann ich noch immer seine Stimme heraushören?

Sie hörte Gelächter; verschiedene Stimmen mischten sich zu einem warmen, heiteren Chor.

Wie geht es ihm?

Er stirbt. Er geht fort. Er...

„... dann sagte Merry: ,Mami, wenn ich kein Pony zum Geburtstag haben kann, kriege ich dann statt dessen ein kleines Brüderchen?’“

Er ist es. Der Klang seiner Stimme, die sich kraftvoll und gleichmäßig erhob, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Es ist Frodo.

Sie betrat einen Raum voller kichernder Hobbits. Da war natürlich Frau Kattun, und Margerite und Maie. Jolly stand dicht am Feuer, die Arme verschränkt. Rosie lag im Bett und sah aus, als würde sie recht bequem von Sam abgestützt, der mit dem Rücken gegen das Kopfende saß. Frodo saß neben dem Bett und hielt aller Aufmerksamkeit mit seiner Erzählung fest. Dann sah Margerite, dass Marigold zusammen mit Lily hereinkam und die entspannte Atmosphäre veränderte sich.

Frodo stand auf und wandte sich zur Tür.

Er war wieder krank, dachte Lily. Er erholt sich noch davon. Sie bemerkte die eingesunkenen Wangen, die dunklen Ringe unter den unlesbaren Augen...

„Hallo, Fräulein Stolzfuß“, grüßte er sie leise und nickte leicht. „Danke, dass du so prompt gekommen bist.“

„Herr Beutlin“, gab sie höflich zurück. Freundliche Bekannte, das ist es, was wir jetzt sind. Nichts mehr als das, erinnerte sie sich selbst. „Wie geht es dir, Herr?“

„Es geht mir gut, danke sehr“, erwiderte Frodo mit einem Lächeln. „Dank Sam und Rosie hier.“

Es hat einmal eine Zeit gegeben, als ich aus der Art, wie seine Augen beim Lächeln leuchteten, sein Herz lesen konnte. Jetzt ist dieses Lächeln ein Mantel, um seinen Schmerz zu verhüllen, und seine Augen sind verschleiert.

„Na schön, der Spaß ist vorbei, Jungs“, sagte Frau Kattun und klang so geschäftsmäßig dabei, dass Rosie stöhnte... was eine besorgte Frage von Sam nach sie zog und ein allgemeines Glucksen von den anderen.

Sein Lachen klingt immer noch herrlich. Wie macht er das – eine Freude vorzuspielen, die er nicht fühlt?

„Ich muss Rosie untersuchen“, verkündete Lily und holte ihre Schürze heraus.

Jolly küsste seine Schwester, bevor er ging. Maie und Margerite gingen hinaus in die Küche und ließen Marigold und Frau Kattun bei Rose zurück.

Frodo nahm Rosies Hand und tätschelte sie sanft. „Du wirst das großartig machen“, versicherte er ihr, bevor er Sam ansah. „Ich bin im Studierzimmer, wenn du mich brauchst.“

Er wandte sich ab und ging in Richtung Tür, ein Lächeln – nach wie vor schön, auch wenn es seine Augen nicht erreichte – umspielte noch seine Lippen. Ihre Hände berührten sich; seine war kalt, die ihre warm. Sie hielten inne und schauten einander an. Dann lächelte Frodo einmal mehr; er nickte höflich, setzte seinen Weg fort und schloss die Tür hinter sich.


Epilog

Ich kann mich noch immer an die Form ihrer Augen erinnern, an den Schwung ihrer Lippen, wenn sie lächelt, an ihre Stimme. Ich erinnere mich daran, wie sich ihre Haut anfühlt, an die Art, wie sie lacht.

Ich erinnere mich. Es ist Ihm misslungen, mir diese Erinnerungen zu nehmen.

Ich erinnere mich.

Ich werde niemals vergessen. Sie wird es vielleicht. Sie muss. Aber ich werde es nicht tun.


ENDE

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