Das Vermächtnis (The Legacy)
von Anglachel, übersetzt von Cúthalion

6. Kapitel
Besitztümer

Baumtag, später Abend, am 13. Tag des Halimath

„Nein Frodo, du schließt den Kiefer zu sehr. Lass ihn locker. Runde Lippen, und lass deine Zunge die Arbeit machen.“

Frodo nickte, schloss die Augen und versuchte, die elbischen Worte ohne Auenland-Akzent auszusprechen.

„Ausgezeichnet!“ Bilbo strahlte auf den Jungen hinunter, der am Kamin vor einem kleinen Feuer saß. Frodo grinste zurück, stolz auf seine Leistung. „Und jetzt zähl noch einmal bis zehn.“ forderte Bilbo.

„Minë, atta, neldë, canta, lempë, enquë, otso, tolto, nertë, cainen,“ Frodo sprach die Worte sorgsam aus, aber mit viel mehr Geschick und Selbstvertrauen als zu Beginn des Abends.

„Sehr gut, sehr gut.“ Bilbo fing wieder an, durch den Raum zu gehen. „Und die Monate, noch einmal.“

„Narvinyë, Nénimë, Súlimë, Víressë, Lótessë, Nárië, Cermië, Úrimë, Yavannië, Narquelië, Hísimë, Ringarë!“ Frodo sagte sie viel langsamer als die Zahlen, aber sauber und in der richtigen Reihenfolge.

„Perfekt.“ verkündete Bilbo, „und damit wollen wir unsere Elbisch-Lektion für heute Abend beenden.“ An den letzten drei Abenden seit dem Hochtag war Frodo in Bilbos Zimmer gekommen, um seine Pfeife zu rauchen und ein bisschen Elbisch zu lernen. Heute Abend war Bilbo für die nächste Lektion in Frodos Zimmer gekommen, und auch, um zu sehen, wie es dem Jungen erging.

Alles sah sauber und ordentlich aus. Es gab ein altes, aber solides Bett mit einer Strohmatratze, die ihren Zweck vollkommen erfüllte; sie roch frisch, ohne jeden Hauch von Muffigkeit oder Schimmel, alles sehr passend für einen Zwanziger. Die Bettwäsche war schon älter, sauber und weich, und mehr als ausreichend, um Frodo warmzuhalten, wenn das Feuer ausging. Bilbo erkannte die Steppdecke als eine aus Prims Aussteuer wieder, eines ihrer Lieblingsstücke und diejenige, die üblicherweise auf ihrem und Drogos Bett gelegen hatte, als sie in Beutelsend lebten. Er war froh zu sehen, dass jemand sich genügend Gedanken gemacht hatte, sie Frodo zu geben. Ich frage mich, wo der Rest ihres Hausstandes ist? Das gehört jetzt alles Frodo. Bilbo machte sich eine geistige Notiz, mit Esmie darüber zu reden, wenn er man Merstag mit ihr Tee trank.

Am Fußende des Bettes stand eine kleine Kommode ohne Türen; die war sie an irgend einem Punkt ihres Lebens losgeworden. Sie hatte einer ganzen Reihe kleiner Jungen gehört und jeder von ihnen hatte mit seinem Taschenmesser Initialen und kleine Muster hinein geschnitzt. Frodo hatte Freude daran, ihm die Schnitzereien ganz oben zu zeigen; er stand auf einem Fußende des Bettes, um heranzukommen. Da es keine Türen gab, war es eine einfach Angelegenheit für Bilbo, sich einen Überblick über die Kleidung zu verschaffen, die dem Jungen zur Verfügung stand. Sie sah genauso aus wie das, was er als Zwanziger getragen hatte – eher handfest als fein, aber ohne Löcher oder Flecken und ausreichend, dass er immer genug zum Wechseln hatte. Frodo bestand darauf, ein Hemd herauszuziehen, um Bilbo den sehr merkwürdigen kleinen Vogel zu zeigen (oder war es eine Blume? Eine Katze?), den Merle unbeholfen auf die Manschette gestickt hatte. Frodo war sehr stolz auf ihre Mühe, was immer das Viech auch darstellen sollte.

Ein stabiler, aber leicht abgestoßener Stuhl und ein kleiner Schreibtisch mit einer pockennarbigen Oberfläche standen dicht am Kamin. Frodo hatte ein Stück Leder auf den Tisch gelegt, um eine glatte Oberfläche zum Schreiben zu haben. Ein paar Blätter Papier wurden unter dem Leder flach gehalten und eine Schreibfeder lag neben einem kleinen Tintenfass. Bilbo nahm an, dass dies gut genug war für einen Jungen, aber es ärgerte ihn, einen so ärmlichen Tisch und so wenige Schreibutensilien zu sehen. Er fing an, im Geiste abzuhaken, was er in eine Kiste legen und an Frodo schicken würde; eine richtige Schreibunterlage aus feinem Leder, ein Stapel unterschiedliches Schreibpapier, mehrere Tintenfässer mit Tinte in unterschiedlichen Farben, wenigstens einen Füllfederhalter und einen Satz guter Federn. Und ein Federmesser. Und ein leeres, gebundenes Tagebuch. Er würde sie ihm durch Rory schicken, der sicherstellen würde, dass Sara nicht dazwischenkam.

„Du hast gar keine Bücher, Frodo?“ hatte Bilbo gefragt, höchst befremdet von dem Mangel an Lesestoff in Reichweite.

„Nein, Onkel Bilbo. Onkel Rory sagt, ich bin nicht alt genug, um verantwortungsvoll damit umzugehen.“ gestand Frodo mit einem leicht beschämten Gesicht. „Er sagt, wenn ich sie will, dann muss ich in die Bücherei oder in sein Studierzimmer gehen und sie dort lesen.“

Bilbo bedachte das eine Minute, dann entschied er, dass Rory wahrscheinlich Recht hatte, aber es gefiel ihm immer noch nicht. Von der Zeit an, als er selbst lesen gelernt hatte, war ihm immer erlaubt worden, wenigstens ein paar eigene Bücher zu besitzen. Im Geiste suchte er bereits die Bücher in Beutelsend aus, die Papier, Tinte und Federn auf ihrer Reise zum Brandyschloss begleiten würden.

Was Bilbo am seltsamsten berührte, war, dass es nirgendwo irgendein Durcheinander gab. Es gab keine Vogelnester, keine Steine oder Holzstücke, kein Frosch oder eine Maus in einem Glas als seltsames Haustier, keine Skelette oder andere faszinierende Tier-Überreste, kein Besenstielschwert oder einen Bogen, aus Küchenzwirn und einem gebogenen Weidenzweig gemacht. Nach der Sache mit den Büchern hatte Bilbo mehr oder weniger erwartet, dass alle Spielsachen ordentlich aufgeräumt an ihrem Platz in einer Spielzeugkiste den Gang hinunter im Kinderzimmer sein würden. Aber dass es nicht ein einziges Forschungsobjekt oder sonst einen ekelhaften Gegenstand gab, den Frodo auf irgendeiner Spritztour aufgegabelt hatte, bekümmerte ihn sehr. Als er auf das Fußende des Bettes gestiegen war, um Rorys Initialen auf der Kommode zu lesen, hatte er einen schnellen Blick oben auf den Schrank geworfen, um zu sehen, ob dort irgendetwas versteckt war. Nichts. Der Raum war so sauber wie nur irgendein Gästezimmer in Beutelsend, wenn auch nicht annähernd so gut ausgestattet. Bilbo hatte den Verdacht, dass alles, was der Junge sammelte, wahrscheinlich weggeworfen wurde, oder dass es an einem geheimen Ort in einer Scheune oder in einem Baumloch verborgen lag.

Zu Bilbos großer Erleichterung hatte es in Frodos Benehmen keine weiteren Merkwürdigkeiten wie die gegeben, die er am ersten Abend gesehen hatte, und er war nicht wieder die Zielscheibe irgendwelcher verstörender Blicke gewesen. Da gab es gar keinen Blick zu sehen, schalt er sich selbst, du hast bloß nach Schwierigkeiten gesucht und sie gefunden. Alles, was du gesehen hast, war ein Zwanziger, dem es nicht gefiel, dass irgendein tatteriger alter Onkel in seinem Leben herumstochert und ihn dazu bringt, eine peinliche Geschichte über sich selbst zu erzählen! Er war gewillt, das zu glauben. Frodo war heute Abend ein wenig gedämpft, aber nachdem er den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen war, in der hinteren Küche beim Einwecken zu helfen, war das zu erwarten.

Frodo hatte eine gewisse Scheu an den Tag gelegt, ihm sein Zimmer zu zeigen; Bilbo hoffte, es käme einfach von der Abneigung, irgend jemanden in sein Zimmer zu lassen, und nicht deshalb, weil er es war. Die letzten paar Tage waren nicht einfach gewesen. Bilbo fühlte sich in der Gegenwart des Jungen abwechselnd zornig oder wie ein Schuft. Seit Saras grinsenden Beleidigungen am Hochtag, gemeinsam mit Rorys früherer Lehrstunde darüber, Frodos Respektabilität nicht zu beschädigen, hatte sich Bilbo nicht mehr wohl dabei gefühlt, seinem Jungen allzu nahe zu sein.

Bilbo stellte fest, dass er die Hände zurückzog und sie in seinen Taschen behielt, wenn er eigentlich Frodos Haar zerzausen, ihm einen Klaps auf die Schulter geben oder den Arm um ihn legen wollte. Er erlaubte Frodo lediglich eine oberflächliche Umarmung, und er erwiderte sie nie. Bilbo bot ihm die Wange zum Begrüßungskuss, aber zur Antwort lächelte er nur. Wenn Frodo neben ihm saß, während sich die Familie zum Abendessen versammelte, achtete Bilbo sorgsam darauf, ihm wenig oder gar keine Aufmerksamkeit zu schenken, nicht unter Saras allzu scharfem Blick. Heute Abend hatte Frodo neben Gilda gesessen und ihre Hand gehalten. Bilbo stellte sicher, dass er den Raum nie mit dem Jungen auf den Fersen verließ, so wie er es in der Vergangenheit getan hatte. Frodo war ein wenig verwirrt über Bilbos plötzliche Zurückhaltung, aber er hatte sich nicht beklagt – oder Fragen gestellt.

Bilbo hoffte, Frodo würde nicht denken, dass er etwas falsch gemacht hatte, aber er konnte sich nicht richtig vorstellen, wie er ihm erklären sollte, was vorging. Es tut mir leid, Junge, aber ich muss dich wie jemanden behandeln, den ich kaum kenne, damit niemand denkt, dass ich unnatürliche Dinge mit dir anstellen will. Oh, das wäre eine interessante Unterhaltung! Bei dem Gedanken zog Bilbo eine kleine Grimasse. Es macht dem Jungen keine Not, du Narr. Er wird erwachsen und möchte nicht umsorgt und umhätschelt werden, als wäre er nicht größer als Merry. Du musst dich einfach daran gewöhnen, deine Zuneigung nicht mehr so deutlich zu zeigen. Und wenn er seinen Neffen nicht mehr umarmen konnte, nun, er konnte noch immer mit ihm reden. Daher die Elbisch-Lehrstunden. Am Sterntag hatte er Frodo gebeten, in sein Zimmer zu kommen, sobald er nach dem Abendessen aufgeräumt hatte. Frodo hatte sich an den Kamin gesetzt, während er selbst sich in einem Sessel niederließ und anfing, dem Jungen etwas grundsätzliches Elbisch-Vokabular beizubringen. Der Junge stürzte sich darauf wie die Schwalbe in die Luft, und er lernte eine ganze Anzahl Namen. Morgen würde er mit ein paar Verben und ein paar grundsätzlichen Grammatikregeln weitermachen.

„Also gefällt es dir, Elbisch zu lernen?“ fragte Bilbo und setzte sich auf den wackeligen Stuhl.

„Oh ja! Wirst du mich Elben vorstellen, damit ich es mit ihnen sprechen kann?“ sagte Frodo eifrig; beim Gedanken an die Elben leuchteten seine Augen auf.

„Ich denke, du brauchst ein bisschen mehr Übung, bevor du es an echten Elben ausprobieren kannst, mein Junge.“ gluckste Bilbo, „aber ja, ich glaube, irgendwann wirst du gut daran tun, Elben zu treffen. Ich denke, sie wären amüsiert.“ Er erinnerte sich an seine erste, nahe Begegnung mit Gildor und sein Volk in der Nähe von Waldhof, als er vor ein paar Jahren auf dem Weg nach Bockland gewesen war. Die Elben hatten recht höflich auf seine verbrecherische Verunstaltung ihrer Sprache reagiert.

„Gibt es wirklich Elben im Auenland?“

„Sie sind ganz sicher hier, aber sie sind sogar noch sanftfüßiger als Hobbits und halten sich verborgen.“

Frodo seufzte und stütze die Ellbogen auf seine Knie. „Ich wünschte, ich könnte auf der Stelle Elben sehen.“

„Das wird bald genug geschehen, Frodo.“ versicherte ihm Bilbo. „Weißt du, irgendwann werde ich zurück nach Bruchtal gehen, wo die Elben leben. Wenn ich das tue, dann sollst du mit mir gehen, wenn du möchtest. In Bruchtal befindet sich die erstaunlichste Bibliothek, die zu sehen du jemals hoffen wirst, mein Junge. Herr Elrond ist ein großer Gelehrter und Wissenschaftler. Er hat mehr Bücher, Pergamente und Schriftrollen, als du dir vorstellen kannst! Sie werden in einem großen Raum aus Zedern und Eiche aufbewahrt, mit vielen Elben, die nichts anderes tun, als sich um sie zu kümmern, denn viele davon sind Tausende von Jahren alt und sehr empfindlich.“ Frodo lauschte voller Staunen und Bilbo erwärmte sich dafür, eine seiner liebsten Erinnerungen mit einem sehr dankbaren Publikum zu teilen.

„Da sind Regale voller Schriftrollen, Reihe um Reihe, dreimal so hoch wie der größte Hobbit! Du darfst nichts mit bloßen Händen anfassen und musst immer Handschuhe aus Ziegenleder tragen, damit deine schmutzigen Finger das Papier und Pergament nicht beschmieren oder beschädigen. Auf Ständern am Rand des Lesezimmers sind schöne Bücher unter Kristall ausgestellt, und du kannst die Seiten betrachten, die mit Farbe, mit Gold und Silber verziert sind. Sie haben dort sogar ein Buch, das ist, wenn es aufrecht hingestellt wird, größer als ich! Es ist voller Geschichten aus dem Ersten Zeitalter – den Liedern aus Beleriand – und jeden Tag wird eine neue Seite aufgeschlagen, damit du die Worte lesen und die Bilder anschauen kannst. Die Hüterin des Archivs ist eine wundervolle Frau, mit Haaren wie die Nacht und Augen wie Amethyst, und sie hat mir eine Seite des Buches vorgelesen und auf die Worte gezeigt, die sie las. Ich habe mich entschlossen, Elbisch zu lernen, als ich ihr zuhörte.“

Frodo saß da wie gebannt. Als Bilbo aufhörte, seufzte er. „ich wünschte, wir könnten jetzt gehen.“ sagte er traurig. „Aber ich nehme an, ich muss mehr Elbisch lernen, bevor ich sie besuchen gehe.“

„Es wäre besser, wenn du das tätest, Frodo. Ich hätte viel mehr Freude daran gehabt, wenn ich Elbisch gekonnt hätte, als ich dort war.“ erwiderte Bilbo wehmütig. Er seufzte selbst und wollte an seiner Pfeife ziehen. Sie war ausgegangen. Er grub in einer Tasche nach dem Tabaksbeutel. „Muss deine Pfeife nachgefüllt werden? Meine ist aus.“

„Ja bitte, Onkel Bilbo.“ Frodo reichte seine Pfeife hinüber.

„Weißt du, als wir gestern die Hecke abgeritten haben, da hat dein Vetter Mac gefragt, ob ich einen Zwerg kenne, der bereit wäre, für einen Monat oder so nach Bockland hinunter zu kommen, um Metall- und Steinarbeiten zu erledigen.“ erzählte Bilbo, während er die Pfeifen fertig machte.

„Wirklich?“ Frodo stand auf und reckte sich, dann nahm er die frisch gefüllte Pfeife. „Das wäre mal was anderes. Mac hat gefragt? Das ist anders genug.“sagte er in staunendem Tonfall.

„Die Dinge in der Welt ändern sich, mein Junge. Selbst die sturen Geister der Bockland-Bauern sind reif für eine Veränderung.“ neckte Bilbo mit feierlichem Spott. Frodo lachte und zog an seiner Pfeife. Für ein paar Minuten gab es nichts als Gekicher, als Bilbo versuchte, Frodo beizubringen, wie man Rauchringe blies. Warte, bis er ein paar von Gandalfs Rauchringen sieht. Ich frage mich, wo der alte Taschenspieler wohl ist? Wahrscheinlich zieht er auch an einer Pfeife und plant irgendein Feuerwerk.

Frodo untersuchte wieder seine Pfeife und ließ die Finger über die Silber-Einlagen um den Stiel gleiten und bewunderte die Schnitzerei, die den Kopf umgab. Es war ein Muster aus Raben, hintereinander stehend, Schwanzfeder an Schnabel, immer im Kreis herum. Der Boden des Kopfes war facettiert wie ein Edelstein, und Bilbo nahm an, dass er nach dem Modell des Arkenjuwels gefomt war.

„Hast du deinen sicheren Platz dafür gefunden?“ forschte er ruhig.

Frodo schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Ich denke mir etwas aus.“

„Darf ich einen Vorschlag machen?“ Frodo schaute mit fragendem Blick auf und nickte.

„Warum zeigst du sie nicht deinem Onkel Rory, erklärst ihm, wo du sie her hast, dass es ein Geschenk von mir war und schaust, ob du sie in seinem Studierzimmer mit seinen Pfeifen aufbewahren kannst? So kannst du ihn sehen und mit ihm gemeinsam rauchen. Ich denke, er würde deine Gegenwart wahrscheinlich genießen, und es ist ein guter Weg für euch beide, dem Ärger eine Stunde aus dem Weg zu gehen. Ihr könnt eine regelmäßige Angewohnheit am Nachmittag daraus machen.“Lachfältchen erschienen um Bilbos Augen herum, als er anfangen wollte, ihn noch ein bisschen mehr zu necken, aber beim Anblick von Frodos Gesichtsausdruck hielt er inne. Der Junge starrte ihn verletzt und mit nicht gerade kleinem Zorn an. Bilbo wartete darauf, dass er etwas sagte.

„Warum hast du mich angelogen?“

Bilbo zog kräftig an seiner eigenen Pfeife, dann atmete er den Rauch aus, bevor er antwortete. „Mir ist nicht bewusst, dass ich dich angelogen habe, Frodo. Wärest du so freundlich, mir zu sagen, wobei du glaubst, dass ich gelogen habe?“

„Du hast gesagt, Esmie schickt mich nicht weg! Und sie tut es! Du hast gelogen!“

Bilbo starte ihn verblüfft an, verwirrt darüber, wie sie auf dieses Thema gekommen waren und wieso Frodo so wütend auf ihn war. „Frodo, wieso sagst du das gerade jetzt? Ich dachte, wir reden darüber, wo du deine Pfeife aufbewahren wirst?“

„Nun, das hängt ziemlich davon ab, wo ich lebe, nicht?“ gab der Junge höhnisch zurück, „Und ich kann sie wohl nicht wirklich bei Onkel Rory aufbewahren, wenn ich nicht hier im Brandyschloss bin, oder? Oder ich könnte sie auch einfach Sara hinterlassen! Du hast gelogen. Du bist ein Lügner!“ Frodo biss auf den Pfeifenstiel, lehnte sich an die Wand neben dem Kamin und wartete herausfordernd darauf, das Bilbo ihm widersprach.

Esmie, ich fange an zu glauben, dass du Sara verdienst. Bilbo nahm noch einen tiefen Zug von seiner Pfeife, bevor er antwortete. „Frodo, ich schätze es nicht, von irgendwem Lügner genannt zu werden, nicht einmal von dir.“ Er hielt inne, wartete und betrachtete den Jungen streng. Nach ein paar Atemzügen fing Frodo an, weniger streitlustig auszusehen und ließ den Kopf hängen. Bilbo beobachtete ihn weiter und zog von Zeit zu Zeit an seiner Pfeife.

„Ich entschuldige mich.“ murmelte Frodo endlich, nahm die Pfeife aus dem Mund und fingerte daran herum. „Ich hätte das nicht sagen sollen.“

„Hmm... es klingt, als gäbe es in der Tat ein paar Dinge, die gesagt werden müssen, Frodo.“ erwiderte Bilbo ruhig. „Aber es ist nie akzeptabel, auf solche Weise mit harten, anklagenden Worten und Schmähungen um dich zu werfen. So bekommst du deine Fragen nicht beantwortet, und du endest damit, dass du klingst wie Sara.“ Er sah, wie Frodo bei diesem Vergleich ein wenig zusammenfuhr und eine Grimasse zog. „Nun, Junge – wenn du möchtest, dass ich deine Entschuldigung annehme – und ich versichere dir, das habe ich nicht! – dann wirst du mir in anständigem Ton sagen müssen, was du denkst.“

Eine Weile war es still, während Frodo versuchte, herauszufinden, was er sagen wollte. Bilbo nahm die Geduld eines Lebens zusammen, das schon fast ein Jahrhundert dauerte, und wartete. „Als wir am anderen Abend miteinander geredet haben, and dem Tag, als du gekommen bist,“ begann Frodo zögernd, „da sagtest du, du wüsstest, dass Esmie mich nicht wegschickt.“ Er war eine weitere lange Weile still, dann schaute er zu Bilbo auf. Der Schmerz in seinen Augen war unmissverständlich, und Bilbo konnte sehen, dass der Junge nicht weniger wütend war als am Anfang.

„Heute hat Esmie nach dem Abendessen gesagt, dass sie mit mir über etwas reden muss. Wir sind in Onkel Rorys Studierzimmer gegangen, und sie sagte, sie würde mich wegschicken, dass ich bald, innerhalb der nächsten Monate, fortgehe, um bei Onkel Paladin zu leben.“ Frodo hielt abrupt inne und starrte zu Boden, die Lippen eine schmale Linie, die Wangen errötend unter seiner Sonnenbräune. Mit sehr mühsamer Stimme, jedes Wort sorgsam formuliert, sagte er: „Sie sagten, Ihr beide hättet direkt, nachdem du hier angekommen bist, miteinander darüber geredet, und dass du zugestimmt hättest, dass man mich wegschickt.“ Frodo begegenete wieder seinen Augen und da war viel mehr Zorn als Schmerz. „Also, Onkel Bilbo, kannst du mir das erklären? Ich glaube, ich habe eine Antwort verdient.“

Bilbo hatte nie zuvor der Wunsch gehabt, irgend einem seiner Verwandten körperlichen Schaden zuzufügen, ganz besonders nicht den Mädchen. Warum hat sie ihn über das belogen, was ich gesagt habe? Esmie würde am Meerstag eine ganze Menge zu erklären haben. Aber jetzt war alles, was zählte, dieses erzürnte, verängstigte Kind.

„Also, jetzt verstehe ich, warum du so wütend bist, Frodo. Ich denke, du hast jedes Recht, wütend zu sein.“ Bilbo versuchte zu entscheiden, wie viel Wahrheit er ihm sagen sollte, und auf welche Weise. „Ich habe dich nicht angelogen, obwohl ich zugebe, dass ich dir nicht alles gesagt habe, was ich wusste oder worüber ich mit Esmie gesprochen habe. Vielleicht ist das für dich schon lügen, und du kannst es als Lüge zählen, wenn du willst. Esmie und ich haben über Dinge gesprochen, von denen ich glaube, dass es nicht an mir ist, mit anderen darüber zu reden, dich eingeschlossen. Nun, nachdem sie das Thema mit dir angeschnitten hat, denke ich, du und ich, wir sollten uns unterhalten. Warum setzt du dich nicht hin? Dies könnte ein langes Gespräch werden.“

Frodo starrte ihn einen Moment lang trotzig an, dann ließ er den Kopf sinken und zuckte die Achseln. „Ist egal. Ich kann jetzt sowieso nichts mehr dagegen tun. Es ist entschieden und es macht mir nichts. Du musst gar nichts mehr erklären.“ schloss er mit leiser Stimme.

„Es bedeutet sehr viel für mich, weil Esmie meinen Namen bei diesen Neuigkeiten für dich ins Spiel gebracht hat, und weil sie es so klingen ließ, als wäre ich einverstanden.“

Wieder zuckte Frodo die Achseln, ging hinüber, setzte sich auf das Bett und legte die Pfeife auf den Boden. Bilbo sah, wie er einen Armvoll Steppdecke hochzog und an seine Brust drückte, als wollte er sich selbst umarmen. Er wollte nicht aufschauen.

„Frodo, kannst du mir bitte erzählen, was genau Esmie gesagt hat, das dazu führt, dass du meinst, ich sei einverstanden damit, dass du weggeschickt wirst?“

„Sie sagte, du denkst, dass ich nicht länger in Bockland bleiben sollte, dass ich hier bloß in Schwierigkeiten käme und dass man besser auf mich aufpassen muss. Esmie hat gesagt, ihr wärt beide der Meinung, dass ich von Bockland weg und ins Auenland geschickt werden sollte. Aber du hast mir gesagt, sie würde das nicht tun, und jetzt sagst du, du hättest gewusst, dass sie das vorhat.“ Frodo hielt seine Augen weiter auf den Boden gerichtet; seine Finger gruben sich in die Betttücher und verdrehten den Stoff.

Bilbo wusste, dass er es nicht wagen durfte, Esmie eine Lügnerin zu nennen, nicht Frodo gegenüber. Er wusste nicht, ob Frodo die Wahrheit glauben würde, aber er hatte nichts anderes anzubieten. „Als ich am Meerstag mit Esmie Tee getrunken habe, sprachen wir darüber, ob du in Bockland bleiben sollst. Ich sagte, du wärest meiner Meinung nach alt genug, um eine ordentliche Schulung in Themen zu erhalten, die sich für einen Edelhobbit gehören, wie zum Beispiel Elbisch zu lernen, und dass ich dachte, dass du einen Ortswechsel brauchst... nicht bloß zum Lernen, aber um dir mehr Aufmerksamkeit zu ermöglichen, als du sie hier im Brandyschloss bekommst. Meine Empfehlung war, dich zu fragen, ob du den Wunsch hast, mit mir zu kommen und bei mir in Beutelsend zu leben.“

Frodo kaute einen Moment lang an seiner Unterlippe und verdaute die Information, dann schaute er zu Bilbo auf. Diesmal war der Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen nicht misszuverstehen. Diese eigenartige Mischung aus Widerwillen und Faszination, Wachsamkeit und Verachtung. Und Mitleid. Es war das Mitleid, das Bilbo immer am meisten beleidigend fand... als wäre er eine unglückselige Kreatur. Frodo rutschte unbehaglich hin und her. „Oh.“ Pause. „Wirklich.“ Pause. „Und was hat Esmie dazu gesagt?“ Frodo lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes und zerrte die Decke über seine angezogenen Beine.

Bilbo wusste, er hatte den Jungen verloren. Selbst Frodo vertraut mir nicht mehr. „Sie hat natürlich widersprochen. Sie sagte, sie würde es vorziehen, dass du bei ihrem Bruder und ihrer Schwägerin in den Groß-Smials bleibst. Sie sagte, das Mündel des zukünftigen Thain zu sein wäre gut für dich, eine respektable Situation, in der du vielen wichtigen Leuten vorgestellt werden kannst. Dort wären andere junge Leute, Vettern und so, mit denen du dich anfreunden kannst, und das sei das Beste für dich. Und vielleicht war ich an jenem Abend ein wenig missverständlich, als ich sagte, was Esmie tun oder nicht tun würde. Ich meinte, dass sie dich nicht mit mir gehen lässt. Was sie mir nicht gesagt hat, war, dass sie schon alles geplant hat und dass sie dich so bald fortschickt. Hätte ich gewusst, dass sie bereit ist, so etwas zu tun, hätte ich dir gegenüber andere Worte gebraucht. Es tut mir leid, wenn ich dich in die Irre geführt habe, Frodo.“ Bilbo hoffte, dass der Schmerz in seinem Herzen nicht auf seinem Gesicht zu sehen war.

Frodo starrte gedankenvoll in eine dunkle Ecke des Zimmers. „Aber du willst nicht, dass ich gehe, oder, Onkel Bilbo?“

„Nein... nicht, dass es etwas ausmacht. Da ist nichts, was ich tun kann, oder? Es ist entschieden.“ Es klang bitterer als beabsichtigt. Er zog heftig an seiner Pfeife, dann bemerkte er, dass Frodo ihn neugierig anschaute.

„Du denkst wirklich, das es eine schlechte Sache ist!“ sagte der Junge verwundert.

„Ja, ich denke, es ist eine schlechte Sache!“ sagte Bilbo mühsam beherrscht. „Ich halte nichts davon, dass man dich einfach gedankenlos an einen Ort verfrachtet, wo du gar nicht hingehen willst.“

„Warum nicht?“ schoss Frodo zurück, als sein früherer Zorn wiederkam. „Wolltest du mich nicht gerade nach Hobbingen verfrachten? Ist es nicht das, was ich bin - ,Frodo Beutel’ - bloß ein weiteres Gepäckstück, das man in irgendeine merkwürdige Ecke stopft, zusammen mit dem überflüssigen Krempel und dem weggeworfenen Zeug?“ Während er das sagte, umklammerte er eine Handvoll von der alten Steppdecke und schüttelte sie vor Bilbo, dann ließ er sie voller Abscheu über die Bettkante auf den Boden fallen.

„Mach das nicht!“ donnerte Bilbo, setzte seine eigene Pfeife hastig auf den Tisch und beeilte sich, die Steppdecke aufzuheben, wo sie gelandet war. Er legte sie auf das Bett zurück, rauchend vor Wut. „Wie konntest du das tun – etwas, das deine Mutter mit ihren eigenen Händen gemacht hat, auf den Boden zu werfen? Was ist in dich gefahren?“

Frodo schaute entgeistert zu ihm zurück. „Mama? Das hat meine Mutter gemacht?“ Wieder drückten seine Hände die Steppdecke an sich. „Nein, nein... du lügst schon wieder. Woher weißt du das? Es kann nicht sein! Es ist bloß eine alte Decke hier aus dem Schloss.“

Bilbo saß am Fußende des Bettes. Er sah Frodo an, der zusammengekauert am Kopfende hockte; er sah sehr klein, sehr jung und sehr allein aus. Das Kind presste die alte, aber immer noch wunderschöne Decke an sich. Sie war rosa eingefasst, die Rückseite ein gedecktes Weiß. Innerhalb der Einfassung befanden sich abwechselnde Quadrate in rosa und weiß. Jedes weiße Quadrat war mit einem Blumenkranz geschmückt, die Blütenblätter aus winzig kleinen, eng gestickten Knoten, die Stängel und Blätter aus längeren, grünen Stichen, die die Blumensträußchen zusammenhielten. Zarte weiße Fäden zogen ein Blumenmuster über den Stoff und hielten die Wattierung an ihrem Platz. Bilbo glaubte, dass er sich daran erinnerte, wie Prim Frodo in den Armen hielt, eben erst geboren und winzig genug, dass Bilbo ihn in eine Hand nehmen konnte, die Decke um beide gelegt. Er wusste sicher, dass er sie schon vorher gesehen hatte.

„Nun, Frodo, ich kenne diese Steppdecke schon von früher. Erinnere dich, deine Eltern lebten eine Weile in Hobbingen, bevor sie ins Brandyschloss kamen.“

„Nein, sie haben immer hier gelebt.“ erwiderte Frodo verwirrt. „Ich bin hier geboren.“

„Ja, du bist hier geboren,“ sagte Bilbo zustimmend, „aber nachdem deine Eltern geheiratet hatten, 1348, da zogen sie nach Hobbingen. Oder – eigentlich lebte dein Vater schon in Hobbingen. Er und ich, wir teilten uns damals Beutelsend, obwohl er die meiste Zeit in Bockland verbrachte, deiner Mutter dem Hof machte und Onkel Rory besuchte. Rory und Drogo waren die allerbesten Freunde. So hat Drogo Primula getroffen - weil er der beste Freund ihres ältesten Bruders war. Nach ihrer Hochzeit kamen sie nach Hobbingen und lebten für etwas mehr als drei Jahre bei mir, bis sie in ein nettes, eigenes Häuschen in der Nähe von Oberbühl zogen. Während sie in Beutelsend lebten, sah ich, wie sie diese Steppdecke fertigmachte und es war die, die sie auf ihrem Bett hatten. 1360 sind sie nach Bockland zurückgezogen, und 1368 bist dann du gekommen.“

Frodo starrte ihn an; er wollte es glauben. „Wieso bist du so sicher, dass es ihre ist? Vielleicht sieht sie bloß so aus? Vielleicht irrst du dich!“

Bilbo runzelte die Stirn. Vielleicht irre ich mich. Vielleicht habe ich die Hoffnung meines Jungen geweckt für nichts und wieder nichts. Die Mädchen nehmen die alle die selben Muster für ihre Steppdecken, oder nicht? Er schaute auf die Decke hinunter und lächelte. „ich weiß, wie wir sicher sein können. Schau auf die Unterseite der Ecken.“ Er schlug die Decke um und fing an, nach einem kleinen, eingestickten Zeichen zu suchen.

„Das hier?“ Frodo hielt die Ecke nach vorn, die zerknittert an seiner Brust gelegen hatte, und da war es. Bilbo rutschte vor, nahm den Stoff sanft in die Hand und strich ihn glatt.

„Ja. Du kannst Prims Arbeit immer an dem Schmetterling erkennen. Sie hat ihn erst benutzt, nachdem sie und dein Vater geheiratet hatten. Siehst du, der Körper ist einfarbig, die vier Flügel haben verschiedene Farben. Sie hat es mir eines Tages erklärt. Der Körper und der obere rechte Flügel haben immer die selbe Farbe und sie formen ein ,P’ für ,Primula’. Siehst du?“ Frodo nickte und zeichnete mit einem Finger zögerlich den Buchstaben nach. „Nun, die Flügel, die nach links zeigen und zurückschauen, haben auch die selbe Farbe, und wenn du die Bögen gegen den Körper des Schmetterlings legst, dann gibt das ein umgedrehtes ,B’ für ,Brandybock’, denn das war ihr Mädchenname. Und wenn du den Bogen des ,P’ und den unteren Flügel rechts zusammensetzt, dann geben sie noch ein ,B’, und das steht für ,Beutlin’. Für ihren Ehenamen, und für dich.“

Bilbo lehnte sich zurück und beobachtete, wie der Junge die Stiche mit dem Finger nachfuhr, verzaubert von dem Schmetterling. „Hat dir das keiner gesagt, als sie dir die Steppdecke gegeben haben?“

„Nein.“ Frodo gab keinen Laut von sich, er formte das Wort nur mit den Lippen. Er schluckte und sagte zittrig: „Niemand hat irgendwas gesagt. Ich habe sie in der Leinenpresse unten im Flur gefunden und gefragt, ob ich sie benutzen darf, und es war in Ordnung, also habe ich sie genommen. Sie war nicht sehr neu, obwohl sie hübsch genug aussah, deshalb dachte ich nicht, dass es irgendwem was ausmacht.“

Niemand hat es ihm gegeben. Niemand hat es ihm gesagt. Es war bloß ein glücklicher Zufall, dass er Prims Steppdecke bekommen hat. Bilbo bemerkte etwas, das verdächtig einer Träne ähnelte, auf Frodos Wange und sah, wie der Junge es mit dem Knöchel wegwischte. Er wollte ihn zu sich herüberziehen, ihn festhalten und ihn weinen lassen. Er wagte es nicht, ganz sicher nicht, während er auf einem Bett saß, nicht, nachdem Frodo selbst ihn mit solchem Misstrauen angeschaut hatte. Er fühlte sich so hilflos darin, seinen Jungen vor Dingen zu beschützen, die weh taten und verletzten.

„Was heißt Schmetterling auf Elbisch?“

„Es gibt ein paar Worte. Üblicherweise hörst du gwilwileth, das ist Sindarin. In Quenya sagt man wilwarin. Es gibt ein Sternbild, das wilwarin heißt. Morgen Nacht können wir schauen, ob wir es finden.“

Frodo nickte schweigend, dann sagte er: „Du kennst jeden. Beinahe jedermann.“

„Vielleicht nicht jedermann, aber eine ganze Menge. Wenn du lange lebst, triffst du viele Leute.“

„Wie ist Onkel Paladin? Ich bin ihm noch nie begegnet.“

Bilbo schaute einen Augenblick auf seine Hände; er wollte den Jungen so sehr in die Arme nehmen und ihm versprechen, dass nichts Böses geschehen würde. Dieses Versprechen kannst du nicht geben. Er erhob sich, hob Frodos Pfeife vom Boden auf und legte sie neben seine auf den Tisch, dann setzte er sich auf den Sessel. „Ich bin nicht die beste Person, um danach gefragt zu werden, denn ich komme nicht mit Pal zurecht, und ich weiß nicht, ob ich den Kerl gerecht beurteilen kann.“

„Ist es seinetwegen, dass du nicht denkst, es wäre eine gute Idee, wenn ich in die Groß-Smials gehe?“

Wenn du versuchst, die Dinge zu beschönigen, dann wird er es wissen. Sei ehrlich. „Er ist ein Hauptgrund, warum ich nicht möchte, dass du dort hingehst, aber es gibt andere Gründe. Dein Onkel Paladin ist ein sehr engstirniger Bursche. Er mag keine Leute, die ungewöhnlich sind oder anders, die eigenartig sind oder unnatürlich. Er ist ein ehrlicher Mann und er arbeitet hart. Er wird ein guter Thain sein, wenn die Zeit kommt, aber kein großer. Pal ist nicht wie dein Onkel Rory.“

„Ist er wie Sara?“

Bilbo dachte eine Minute darüber nach. „Nicht so sehr. Er ist kein Trunkenbold, er benimmt sich in der Öffentlichkeit äußerst korrekt und lacht nicht viel. Er wird dir eine ordentliche Tracht Prügel verpassen, wenn ihm nicht gefällt, was du tust, oder er wirft dich stattdessen hinaus, wenn er die Hand nicht gegen dich erheben will. Er hat mir verboten, die Groß-Smials jemals zu betreten, und er hat Gandalf den Zutritt untersagt. Der erste Thain, der jemals einem Zauberer die Gastfreundschaft verweigert hat.“

„Dann würde ich dich nie sehen.“

„Nicht in den Groß-Smials, nein. Ich will auch deshalb nicht, dass du hingehst, eben weil es die Groß-Smials sind. Neben ihnen sieht Brandyschloss klein aus, und es gibt dort Hunderte von Hobbits. Vielleicht liege ich daneben, vielleicht musst du mehr Leute um dich haben, mehr junges Volk wie dich selbst, und neue Freunde finden. Aber ich fürchte, du wirst dort übersehen... dass man dich – wie hast du das gesagt? – ,ganz hinten in eine komische Ecke stopft’?“ Das ist es, was mich wütend macht und weshalb ich glaube, dass es eine schlechte Idee ist.“ Bilbo dachte, es sei auch keine sehr gute Idee, über Rum zu reden.

„Also wieso werde ich dort hingeschickt? Warum will meine eigene Familie mich nicht haben?“

Frodo rollte sich um seine Steppdecke zu einem verkrümmten Ball zusammen.

Bilbo verfluchte seine sämtlichen herzlosen, kurzsichtigen Verwandten mit jedem üblen Gedanken, den er zustande brachte. „Sie wollen dich, Frodo, sie lieben dich! Willst du mir wirklich erzählen, du glaubst, dass deine Oma dich nicht liebt? Oder dass ich dich nicht liebe? Das tun wir, und zwar sehr! Aber manchmal müssen Dinge getan werden, die schmerzen, wenn sie passieren, und doch sind sie mit der Zeit für jedermann das Beste.“ Frodo warf ihm einen äußerst zweifelnden, düsteren Blick zu.

Bilbo versuchte es ein wenig anders. „Deine Oma ist krank, das weißt du. Sie braucht jetzt eine Menge Pflege und Aufmerksamkeit. Dein Onkel Rory wird auch älter. Wir haben dieses Gespräch gehabt, Frodo, und es mag dir nicht gerecht vorkommen, aber Esmie und Sara haben eben nur so viel Aumerksamkeit zu geben. Sollen sie Merle und Merry vernachlässigen, damit du bleiben kannst? Oder deine Oma? Du weißt, Sara ist ein Idiot, und er wird nur immer noch gemeiner zu dir sein. Rory und Esmie möchten auf lange Sicht das Beste für dich, was der Grund ist, weshalb sie wollen, dass du woanders hin gehst. Sie lieben dich!“

Frodo schaute wenig überzeugt drein. „Wenn es so erstrebenswert ist, dass ich woanders lebe, dann sollte ich vielleicht eine Tasche packen und gehen.“ murmelte er. „Vielleicht sollte ich gehen und ein paar Elben finden.“

„Und das Erste, was sie tun würden, wäre dich auf der Stelle hierhin zurück zu schicken.“warnte Bilbo, giechzeitig alarmiert, dass sein Junge daran dachte, fortzulaufen und irgendwie erfreut über Frodos Widerstand dagegen, sich herumschubsen zu lassen. „Frodo, ich weiß, dass du mir nicht sonderlich vertraust, weil ich dir nicht alles gesagt habe, worüber Esmie und ich gesprochen haben,“, und wegen anderer Dinge, von denen wir nicht einmal zugeben dürfen, dass es sie gibt, „aber glaub mir, wen ich sage, dass es nie gut ist, vor dem davonzulaufen, was du fürchtest. Manchmal musst du ein bisschen zurückweichen und etwas Boden verlieren, und ein bisschen rennen, um den Netzen zu entkommen, die um dich her gewebt werden, das ist wahr – aber lass niemals alles fallen und renn weg. Sei immer für einen neuen Kampf bereit, hab ein Auge darauf, einen Vorteil auszunutzen und du wirst ein paar Siege davontragen.“

Frodo erwog Bilbos Worte und löste seinen klammernden Griff um die alte Steppdecke ein wenig. Er warf seinem Onkel einen verstohlenen Blick zu. „Ich nehme an, wir können nicht einfach morgen auf Abenteuer ausziehen und die Elben finden?“

„Nein, nicht morgen, Junge. Noch eine ganze Weile nicht.“ erwiderte Bilbo traurig. „Du bist nicht wirklich groß genug, um auf Abenteuer auszugehen. Du musst an deinem Elbisch arbeiten, ein paar Zwerge treffen und ein rechter Hobbit werden. Dann können wir gehen.“

Frodo schaute betrübt drein und seufzte. „Wie du meinst, Onkel Bilbo. Ich werde nichts Dummes tun. Na ja, nicht allzu dumm,“ neckte er, „und ich gehe und bleibe bei Onkel Paladin.“

„Wir werden auf Abenteuer gehen, Frodo.“ sagte Bilbo sehr ernsthaft. „Hab etwas Geduld, und es wird wahr werden. Es tut nie weh, einen Sprung über den nächsten Hügel zu tun, auf die andere Seite von diesem Fluss oder jenem Feld! Du gewinnst eine bessere Perspektive, wenn du diese seltsamen Abwege einschlägst, auf der Jagd nach geheimnisvollen, unbekannten Dingen. Zu wissen, was direkt hinter der nächsten Biegung liegt, Lust zu haben, Sachen zu begegnen, vor denen Leute mit mehr Sinn und Verstand sich vielleicht fürchten würden... nun, es hilft dir, dich selbst besser zu sehen, es lässt dich innerlich wachsen, im Kopf und im Herzen. Wer weiß, bei all den Dingen, die in der weiten Welt geschehen, taucht das Abenteuer vielleicht geradewegs auf deiner Türschwelle auf und du musst nicht danach Ausschau halten. Es mag nicht respektabel sein, aber es macht jede Menge Spaß!“

„Es ist bloß so schwer, zu warten!“ klagte Frodo.

„Das Abenteuer liegt da, wo du es findest und es ist das, was du daraus machst, Frodo. Und nicht alle Abenteuer sind furchtbar nett. Meine Haare von einer Drachenflamme abgesengt zu kriegen, das gibt vielleicht eine großartige Geschichte, aber es war verdammt beängstigend, und besonders gut angefühlt hat es sich auch nicht.“ Bilbo wedelte mit einem belehrenden Finger vor dem Gesicht seines grinsenden Neffen herum. „Manchmal, Frodo, sind die härtesten Abenteuer die, die am nächsten von Zuhause stattfinden, und die, die nicht nach viel Spaß aussehen.“

Frodo zog ein Gesicht. „Also ist fortzugehen und in den Groß-Smials zu leben, ein Abenteuer?“

„Eines von der ganz großartigen Sorte, mein Junge! Hüte dich vor Köchen in den tiefen Speisekammern, die schlimmer sind als irgendein feuerspeiender Drache! Aber mach dir nicht zu viele Sorgen. Bald genug wirst du ganz allein überallhin ins Auenland gehen können. Hobbingen ist gar nicht so weit weg von Tukhang. Geh einfach auf die Straße und fang an zu laufen.“ Zu Bilbos Entzücken lachte der Junge ein wenig, also fing er an zu singen.

Die Straße gleitet fort und fort
Weg von dem Ort, wo sie begann
Ertrag ich auch kein weit’res Wort
Von dummem Volk, was macht’s? Ich kann
Mit schnellem Schritt von dannen zieh'n
Und Elben und auch Zwerge sehen,
vielleicht zu großen Zauberern flieh’n
und neue, weite Wege geh’n.

Frodo lachte laut und hatte es ganz aufgegeben, sich an die Steppdecke zu klammern. „Du bist verrückt, weißt du das?“ kicherte der Junge. „So etwas Schlimmes zu singen!“

Bilbo zuckte die Achseln. „Die Welt ist ein schlimmer Ort und die Verlockung der Straße ist groß. Ja, eines Tages werden du und ich zusammen auf ein großes Abenteuer ausziehen. Ich denke, wir sollten nach Bruchtal gehen, und von dort aus... hmmm... vielleicht nach Erebor oder nach Süden! Ich bin nie im Süden gewesen, obwohl Gandalf mir Geschichten darüber erzählt hat. Er sagt es sei gefährlich, und es würde noch schlimmer. Ich sollte dort hingehen. Wenn es so gefährlich ist, dann werden sie die Dienste von einem oder zwei Hobbits brauchen!“

Die beiden lachten gemeinsam. Bilbo stand auf, leerte die kalte Pfeifenasche in den Kamin und fing an, sie in die Tasche zu stecken. Er hielt eine Minute lang inne und betrachtete die von Frodo; ihm wurde klar, dass noch nicht abgeschlossen war, womit sie diese scheußliche Unterhaltung angefangen hatten. „Frodo, was wirst du mit der Pfeife machen?“

Frodo war aufgestanden, als Bilbo aufstand, obwohl er neben dem Bett stehenblieb. Er sah die Pfeife an, dann seufzte er. „ich denke, du solltest sie besser behalten, Onkel Bilbo. Ich bezweifle, dass man mir erlauben wird, sie mitzunehmen, und es ist mir noch viel mehr zuwider, dass man sie mir wegnimmt, wenn ich dort hingehe... weil sie von dir ist. Also behalte sie einfach in Beutelsend, bis ich zu Besuch kommen kann. Wenigstens weiß ich, dass sie dort sicher ist. Ich bin nicht sicher, was mit der hier passiert, wenn ich gehe.“ Frodo langte nach hinten und berührte die Steppdecke.

„Sie gehört dir, Junge, niemand kann sie dir wegnehmen. Deine Mutter hat sie gemacht, sie hat deinen Eltern gehört und jetzt gehört sie rechtmäßig dir!“ sagte Bilbo ziemlich hitzig.

„Na ja, was richtig ist und was tatsächlich passiert, sind zwei verschiedene Dinge.“ sagte Frodo ruhig, „und man wird mir nicht erlauben, sie zu nehmen. Sara wird gemein werden, Esmie wird sich aufregen und sagen, dass es sie kränkt, wenn ich solche Sachen nehme, und... na, wenn sie bei dem anderen Leinenzeug liegt, dann wird sie benutzt, aber eben auch hier. Immerhin will ich sie nicht verlieren.“

Bilbo schenkte Frodo ein mutwilliges Grinsen. „Also dann, mein Junge, gönn dir eine ordentliche Nachtruhe – du hast morgen jede Menge zu tun!“

„Wie das?“

„Nun, morgen werden du und ich sämtliche Frauen vom Schloss in den Wahnsinn treiben.“ informierte ihn Bilbo verschwörerisch, ein seltsames Licht in den Augen.

„Onkel Bilbo,“ sagte Frodo in warnendem Tonfall, obwohl er ebenfalls grinste. „was hast du vor?“

Bilbo streckte die Hand aus, drehte die Steppdecke wieder um und zeigte auf die Stelle mit Prims Signatur. „Morgen jagen wir Schmetterlinge. Drinnen. Und wenn wir sie alle eingefangen haben, dann werden wir sie in eine große Truhe packen, die ich nach Beutelsend schicken lasse. Und dort sollen die Schmetterlinge bleiben, bis es Zeit ist, dass du sie bekommst.“

„Onkel Bilbo!“ Frodo warf die Arme um den Hals seines Onkels und klammerte sich an ihn. „Danke schön!“ Bilbo hob behutsam die Hände und erwiderte Frodos Umarmung kurz, dann nahm er den Jungen bei den Schultern und trat zurück.

„Ich werde alles für dich tun, was in meiner Macht steht, Frodo. Erinnere dich daran.“ Er gab seinem Neffen einen nachdrücklichen Kuss auf die Stirn, dann wandte er sich ab und verließ das Zimmer.


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