Ein wirklich gutes Jahr (Pretty Good Year)
von Mary Borsellino, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 5
Schmutziges Wasser

In letzter Zeit weinte Elanor mehr als üblich; sie weckte jedermann Nacht für Nacht zweimal oder öfter mit ihrem Geschrei und wollte sich nicht beruhigen lassen. Sam machte sich Sorgen, aber Rosie sagte ihm nur, er solle sich nicht so anstellen, sie sei ebenfalls ein eigensinniges Baby gewesen und es gäbe keinen Grund, sich aufzuregen. Sie schliefen alle in einem Zimmer, denn wenn es nicht das Baby war, das brüllte, dann war es Frodo, der im Schlaf würgte, der wortlos klagende, leise Schreie ausstieß und mit flatternden Händen unaufhörlich nach seinem Hals tastete. Und wenn es nicht das war, dann kamen Rosies Alpträume, dass Sam erneut gegangen wäre, ohne ihr zu sagen, wohin, und Sam konnte es kaum ertragen, zu schlafen, wenn es ihm nicht gelang, sie allesamt zu trösten.
Die Wiege stand an der Wand, die der Außenseite am nächsten lag und die Wärme des Tages die ganze Nacht hindurch bewahrte. Im Mittelpunkt des Zimmers befand sich das weiche Doppelbett, das Rosie und Sam benutzten. Frodo schlief auf einem kleinen Lager auf der anderen Seite des Raumes. Sam hatte das Gefühl, das sei nicht recht, aber Frodo versicherte ihm, es sei vollkommen in Ordnung so. Er schien sich allerdings niemals wirklich zu entspannen, wenn er schlief und Sam überlegte oft, ob es nicht einen sinnvolleren Weg gäbe, die Dinge zu regeln.
Elanor begann zu wimmern. Sam seufzte in sein Kissen und raffte die Energie zusammen, aufzustehen und nach ihr zu schauen. Rosie gab ihm einen sanften Klaps auf den Rücken und strich ihm mit den Fingern durchs Haar.
„Schlaf weiter, Sam, ich sehe nach ihr.“ wisperte sie. Sie schlüpfte aus dem Bett, hob das blasse Bündel aus der Wiege und wiegte es hin und her. Das Geschrei wurde lauter und Rosie warf einen schnellen Blick hinüber zu Frodo, der sich im Schlaf bewegte.
„Ich nehme sie mit hinaus, bis sie sich beruhigt.“ erklärte Rosie, glitt aus dem Raum und schloss die Tür gegen den Lärm von Elanors Protest. Sam seufzte und versuchte, zurück in seine Träume zu finden.
„Sam?“
Seine Augen flogen auf beim Klang seines Namens. „Oh, Herr Frodo, es tut mir leid, dass das Baby dich geweckt hat.“
„Schon gut. Diese Träume enden sowieso besser früher als später.“ Frodo hörte sich sehr alt an in der Stille, einsam, ruhig und traurig.
„Ist das alles, was du nachts vor Augen hast?“ sagte Sam in das dunkle Zimmer hinein, während er versuchte, in der Schwärze ein paar Umrisse auszumachen. „Hast du nicht auch ein paar hellere Gedanken?“
„Erinnerst du dich an das alte Wasserfass, das die Straffgürtels früher hatten? Sie ließen es vollaufen und es wurde stockig und grün von Algenschaum. Und dann haben sie es stundenlang ausgewaschen und mit klarem, frischen Wasser gefüllt, aber man konnte immer noch die Stellen sehen, wo das schmutzige Wasser gewesen war, und sobald sie frisches Wasser hineingegossen hatten, wurde es sofort brackig.“
„Vergleich dich doch nicht mit irgendeinem rostigen Kübel!“ Sams Stimme war hitzig von Unglückseligkeit und Zorn. Rosie Stimme, die Elanor vorsang, wehte herein. All des Königs Rösser und all’ des Königs Mannen brachten Humpty Dumpty doch nicht mehr zusammen…
„Tut mir leid, Sam. Schlaf weiter.“ sagte Frodo in das lange, wortlose Schweigen hinein, das auf Rosies Lied folgte.
„Ich wünschte, ich könnte dir in deine Träume hinterherkommen. Dort kann ich dich nicht beschützen und deshalb weiß ich nicht, was ich anfangen soll.“ Sam hielt inne. „Komm hier rüber, es ist genug Platz im Bett. Ich werde dich behüten, so gut ich kann, während du schläfst, und vielleicht werden deine Träume davon auch besser.“
Frodo lachte weich.
„Rosie würde ein oder zwei Dinge dazu zu sagen haben, dass ich mich in deinem Bett breit mache.“
„Na ja, bis du eine eigene Frau hast, wird sie mich halt mit dir teilen müssen.“ sagte Sam leichthin. Frodo holte tief Atem und antwortete nicht. „Herr Frodo?“
„Sam… ich werde nicht heiraten.“
„Sei dir da nicht so sicher. Ich habe auch nie gedacht, dass ich’s tun würde, bevor Rosie mir geradezu befahl, sie zu fragen. Sie wusste, ich würde nichts für mich selbst verlangen, bevor mich nicht jemand anderes dazu zwingt. Irgend ein Mädel wird schon deinen Blick einfangen und du wirst dich wieder ganz wie ein Zwanziger fühlen.“
Ein langes Schweigen von Frodos Seite des Zimmers, dann… „Sam, das Wasserfass… als sie das schmutzige Wasser ausgeschüttet haben, war es leer. Ausgetrocknet. Es ist nichts zurückgeblieben.“
„Die Zeit wird dich neu ausfüllen. Ich weiß, das wird sie.“ Sam musste es einfach glauben. Wenn es nicht stimmte, wozu war dann das Ganze gut gewesen?
„Nein. Der…“ Frodo gab einen würgenden Laut von sich, als versuchte er, nicht zu weinen. „Der Ring hat mich irgendwie dazu gebracht, nichts anderes mehr zu verlangen als ihn, und außer ihm wird sich wohl nie wieder etwas je schön oder gut anfühlen. Ich schmecke dein Essen kaum noch, selbst wenn du stundenlang dafür kochst, und mein Körper… das einzige, was noch fehlt, ist, dass ich sterbe.“
Sam fühlte ein Stechen in den Augen. Es war nicht gerecht. Wenn er bei Rosie lag, war er imstande, alles zu vergessen, was sie durchgemacht hatten; es war wie die Heimkehr nach einem harten Tag auf dem Feld. Zu denken, dass sein lieber Frodo so etwas niemals haben würde, brach ihm das Herz.
Sam schwang die Füße über die Bettkante, tat sein Bestes, den Weg durch das Dunkel zu finden und trat an die Seite von Frodos Schlaflager. Er schlug die Bettdecke zurück und hob den kleineren Hobbit so behutsam hoch, wie er konnte.
„Sam, was tust…“
„Still, Herr Frodo, es ist schon recht so. Ich dachte nur, du würdest dich in dem großen Bett viel behaglicher fühlen.“ Er legte Frodo hin, kletterte neben ihn und ließ seinen Arm über die schmale Brust gleiten, deren Herzschlag durch den Stoff des Nachthemdes hämmerte. Frodo seufzte, ringelte sich dicht neben Sam zusammen und atmete den warmen Frischluftgeruch seiner Haut ein. Sam küsste ihn sachte auf die Stirn, dann wanderten seine Lippen leicht Frodos Schläfe hinunter und über die Wange. Frodo seufzte erneut, die Wimpern flatterten und ein Atemstoß teilte seine Lippen. Ohne zu zögern, änderte Sam seine Lage, so dass sich ihre Münder trafen.
Frodo machte ein kleines, erschrecktes Geräusch und versuchte, sich ihm zu entziehen. Sam ließ ihn nicht; er hielt seinen Kopf unnachgiebig am rechten Platz, genauso, wie er Elanor zur Vernunft brachte, wenn er sie im Arm hatte. Einen Herzschlag später schmolz Frodo ihm entgegen, seine Zunge glitt heraus, um der von Sam zu begegnen. Da waren Tränen auf seiner Haut, aber sie waren heiß, und Frodo war kühl, so kühl, das Sam vermutete, es müssten seine eigenen sein.
Er knöpfte Frodos Nachthemd auf, streifte es langsam herunter und ließ seine Fingerspitzen über die dicken, zornigen Narben gleiten, die das weiche Fleisch entstellten. Frodo versuchte noch einmal, sich zurückzuziehen, aber wieder brachte Sam ihn dazu, stillzuhalten.
„Wunderschön. So wunderschön.“ wisperte Sam mit plötzlich heiser werdender Stimme und küsste sehr sanft die alten Wunden. Ein Wimmern kam ganz hinten aus Frodos Kehle, und er wölbte sich der stetigen, zarten Berührung entgegen. Das genügte, dass Sam seine Hand hinunterbewegte und die elegante Linie von Frodos Hüfte streichelte, seine Handfläche schweißfeucht auf der seidigen Haut.
„Sam, oh Sam“ keuchte Frodo, vergrub sein Gesicht in der Höhlung von Sams Schulter und ein gebrochenes, halbes Schluchzen entrang sich ihm.
„Still,“ flüsterte Sam wieder, ließ sein Bein zwischen die Beine von Frodo gleiten und drückte sich gegen ihn, um ihn nochmals zu küssen.
Danach waren sie fast lautlos, wagten kaum zu atmen, aus Furcht, den Zauber zu brechen. Frodo zitterte und schauderte. Er weinte leise gegen Sams Haut, seine Hände glitten über Sams Rücken, wie von Sinnen umhertastend, als suche er nach einem Rettungsanker, der ihn davor bewahrte, diesen Augenblick zu verlieren. Sam hielt ihn, liebkoste ihn, berührte seinen Körper überall, wo er ihn mit Händen und Mund erreichen konnte, und das alles mit soviel Zartgefühl, als sei er aus feinem Porzellan. Zuletzt fiel Frodo rückwärts gegen die Kissen, nach Luft ringend, knochenlos und schweißüberströmt.
„Jetzt träum nur, ich werde dich beschützen.“ befahl ihm Sam. Er ließ eine seiner Hände direkt über Frodos Herz ruhen, damit seine unruhigen Finger ein Ziel hatten, wenn sie im Schlaf nach Trost suchten.

 
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