Wolfsmond
von Cúthalion


Kapitel 1:
Eine Hauselfe namens Winky

„Dromeda? Brauchst du irgendwas vom Markt?”

Ruta Lupin stand in der Küche des Hauses , das Andromeda Tonks in St. Mary Green besaß und steckte ihre Geldbörse in den großen Weidenkorb, den sie immer benutzte, wenn sie einkaufen ging.

„Nein, Liebes!“ Die Stimme der älteren Frau kam aus dem oberen Stockwerk, wo sie zweifellos das letzte Durcheinander entfernte, das Teddy in seinem Zimmer angerichtet hatte. „Wir sind drüben in Berwick, um Ginny Potter zu besuchen. Sie hat uns zum Mittagessen eingeladen.“

Andromeda war zu Recht stolz auf ihr Geschick mit Reinigungszaubern – eine Fähigkeit, die sich nur noch verbessert hatte, als sie die Pflege für ihr verwaistes Enkelkind übernahm. Ruta beherrschte diese Art Magie gut genug, aber ihre eigene Spezialität war der Umgang mit allem, was wuchs. Während ihrer Zeit in Hogwarts war sie eine begeisterte Schülerin im Unterricht von Professor Sprout gewesen. Der dauerhafte Zauber gegen Mehltau bei teuren Edelrosen, den sie während ihres letzten Jahres entwickelt hatte, war einer der Hauptgründe für das Ohnegleichen gewesen, das sie in ihrem Kräuterkunde-U.T.Z. errungen hatte.

Ruta lächelte und langte nach ihrer Strickjacke am Haken neben der Tür.

„Dann komme ich übermorgen vorbei,“ rief sie. “Ich denke, bis dahin sollte Harry wieder zurück sein, gemeinsam mit Professor Longbottom… das heißt, wenn sich seine Großmutter bis dahin besser fühlt.“

Sie freute sich wirklich darauf, Neville zu sehen. Er war jung genug, um ihr Sohn zu sein - jedenfalls so gut, wie – und sie hatte ihren Abschluss kurz vor seinem ersten Geburtstag gemacht. Aber nur sehr wenige Leute teilten ihre Leidenschaft für die Gärtnerei so sehr wie dieser bescheidene junge Mann, der in Hogwarts den Unterricht in Kräuterkunde übernommen hatte, nachdem Pomona Sprout vor zwei Jahren in den Ruhestand gegangen war. Es hatte einiges an Gerede gegeben deswegen – Neville war einer der jüngsten Professoren, die Hogwarts je gehabt hatte - aber Ruta überraschte es nicht, dass man ihm die Stelle angeboten hatte. Als ihr Cousin Remus von dem plumpen, schüchternen Gryffindor-Jungen erzählt hatte, der im Schatten von Harry Potter und seinen weit aufgeschlosseneren Freunden lebte, hatte sie ihm geschrieben, und seitdem gingen immer wieder einmal Briefe hin und her.

Sie verließ das Haus, ging durch den Garten und machte sich auf den Weg die Straße hinunter. Jeden Samstagmorgen kamen die Farmer aus der Gegend ins Dorf, um Obst und Grünzeug zu verkaufen, aber auch Schafsfelle und Keramik. Das meiste Gemüse, das Ruta bei ihren Mahlzeiten auf den Tisch brachte, zog sie in ihrem eigenen Küchengarten, aber heute hoffte sie, einen besonderen Schafskäse aufzutreiben, mit dem sie ihr Abendessen aufwerten wollte.

Sie schlenderte an den Hecken und Mauern entlang und erhaschte plötzlich einen kurzen Blick auf das Cottage, dem sie vor drei Tagen unfreiwillig einen Besuch abgestattet hatte. Teddy schmollte ununterbrochen, seit sie ihm wegen seines Streiches die Leviten gelesen hatte, und die Lage wurde nicht eben dadurch verbessert, dass Andromeda den Vortrag Wort für Wort wiederholt hatte, sobald sie von der Eskapade erfuhr. Der Besuch in Berwick würde sowohl für den Jungen als auch für seine Großmutter eine hochwillkommene Abwechslung sein.

Sie brauchte eine Weile, um die Veränderung zu entdecken, aber dann registrierte ihr geschultes Gärtnerauge mit freudiger Zustimmung, dass die Beete von ihrer erstickenden Decke aus Brennnesseln und Löwenzahn befreit worden waren. Das Dornendickicht hinter der Gartenmauer war verschwunden, ersetzt durch eine lange Reihe von Dahlien in munteren Farben.

Sie hatte den Garten schon hinter sich gelassen, als sie plötzlich stehen blieb und die Stirn runzelte. Natürlich konnte eine geschickte Hand das Chaos eines lang vernachlässigten Gartens in sauber geordnete Schönheit verwandeln… aber sie war erst gestern spätnachmittags an diesem Cottage vorbei gekommen. Und sie hätte schwören können, dass der Garten da noch ziemlich genauso ausgesehen hatte wie an dem Tag, als Teddy beschloss, herauszufinden, wie sich die Türglocke anhörte.

Sie drehte sich um und ihr Stirnrunzeln vertiefte sich.

Niemand, nicht einmal der beste Gärtner, konnte all diese Arbeit über Nacht erledigen… es sei denn, er war ein Zauberer.

Aber wieso hatte er sich dann dafür entschieden, in St Mary Green zu wohnen, anstatt sich in Berwick niederzulassen, wo weit mehr Zauberer lebten? In Berwick hätte sich niemand über eine so plötzliche Veränderung gewundert… dort war es völlig normal, Magie zu benutzen.

Ruta selbst war nach St. Mary Green gezogen, nachdem Ihr Cousin Remus und seine Frau in der letzten Schlacht gegen Voldemort umgekommen waren – um Andromeda zu unterstützen, die mehr als niedergeschmettert gewesen war über den Verlust von Ehemann, Tochter und Schwiegersohn in diesem grimmigen, verzweifelten Krieg, und die sich jetzt damit konfrontiert sah, für das letzte verbliebene Mitglied ihrer engsten Familie sorgen zu müssen. Ted Tonks hatte das Cottage von seinen Eltern geerbt, und Andromeda schwor, dass sein Namensvetter im Haus der Familie aufwachsen sollte. Aber Ruta hatte den Verdacht, dass sich Andromeda in Wahrheit in dieser kleinen Muggelgemeinde sehr wohl fühlte. Sie konnte Freunde in Berwick besuchen, wann immer ihr der Sinn danach stand, und diese Besuche wurden noch häufiger, nachdem Harry Potter, Teddys legendärer Pate, sich in dem Zaubererdorf talabwärts niedergelassen hatte.

Ruta erlaubte ihren Gedanken, zu ihrem ersten Besuch in St. Mary Green zurück zu wandern. Es war der Tag gewesen, an dem Remus Nymphadora heiratete, und plötzlich sah sie die Braut deutlich vor ihrem inneren Auge… ein solches Glück trotz aller Gefahren, eine solche Hoffnung trotz Remus’ mehr als spürbaren Befürchtungen. Ruta hatte an jenem Morgen als Remus' Botschafterin den Brautstrauß überreicht, und es endete damit, dass sie bei den Vorbereitungen half, bevor die Hochzeitsgesellschaft nach Berwick aufbrach. Ted Tonks war ziemlich gelassen, aber die arme Andromeda war beinahe so besorgt gewesen wie der Bräutigam. Doras Mutter empfand eine ehrliche Zuneigung für ihren zukünftigen Schwiegersohn. Aber sein besonderes… Problem war eine Pille, an der sie schwer zu schlucken hatte. Eine Verwandte von der Lupin-Seite zu finden, die ihr „normal“ vorkam und die das Gärtnern sogar noch mehr liebte, als sie es tat, das war ein Balsam für ihre Nerven. Sie hatten eine rasch wachsende Freundschaft geschlossen, gehärtet in den Feuern der schweren Zeiten, die darauf folgen sollten.

Alles, was jetzt noch blieb, war der Junge.

Sie stellte fest, dass sie jetzt schon seit mehreren Minuten an der selben Stelle ins Leere starrte; als ihre Augen sich wieder auf den Garten des Cottage richteten, merkte sie, dass der neue Bewohner auf dem Weg neben einem der Beete stand und sie anschaute.

Es war das erste Mal, dass sie die Chance hatte, mehr von ihm zu sehen als bei dem kurzen Blick von vor drei Tagen, als er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Er war groß, größer als sie, und sie war nicht gerade eine kleine Frau. Sein Gesicht war lang und schmal und trug die verblassende Erinnerung an dunkle Sonnenbräune. Vielleicht hatte er einige Zeit in wärmeren Ländern verbracht. Sein Haar war kurz geschnitten, jettschwarz, aber von feinen, grauen Strähnen durchzogen, seine Züge nicht die eines jungen Mannes, aber sie erschienen ihr eigenartig alterslos – als hätte die Zeit sich entschieden, ihm eine Atempause zu gönnen, bevor sie ihn gnadenlos in Richtung seiner späteren Jahre drängte.

Sie nahm sich zusammen und hob die Hand zu einem zwanglosen Winken.

„Guten Morgen!“ rief sie. „Sie müssen glauben, ich bin stumpfsinnig – ich habe Sie überhaupt nicht bemerkt. Es war so eine Art Tagtraum.“

Sie hatte erwartet, dass er sich wortlos umdrehen und in seinem Haus verschwinden würde; aber zu ihrer Überraschung kam er näher, die dunklen Augen ohne ein Lächeln unverwandt auf sie gerichtet.

„Ein Tagtraum von was, Miss… Lupin, nicht wahr?“

Ruta wandte ihren Blick von ihm ab und betrachtete die Dahlien zwischen ihnen; dann folgte sie einem plötzlichen Impuls und sagte das erste, was ihr in den Sinn kam.

„Von Ihren gärtnerischen Fähigkeiten, wenn ich ehrlich bin.“ Sie lächelte ihn an. „Gestern kam ich an Ihrem Zaun entlang und dachte, ich sollte Ihnen mit Ihren überwucherten Beeten und all diesen Brennnesseln vielleicht eine helfende Hand anbieten. Und jetzt ist bloß eine Nacht vergangen, ich komme wieder, und ganz plötzlich wäre Ihr Garten der Stolz jeder ländlichen Hausbesitzerin in dieser Gegend.“

Seine Augen wurden schmal, und sie sah plötzliches Interesse darin aufblitzen, gepaart mit kalter Wachsamkeit.

„Zweifellos werden Sie mir jetzt mitteilen, welche Schlussfolgerungen Sie daraus ziehen.“ Seine Stimme war fast so dunkel wie seine Augen, ein wenig rau, als hätte er sie in letzter Zeit nicht sehr häufig benutzt.

„Erstens: ich glaube, Sie sind ein Zauberer, Sir. Und obwohl ich mir, was das angeht, ziemlich sicher bin – ich glaube nicht, dass Sie all diese Wunder ganz allein bewerkstelligt haben.“ Sie hob eine Hand und zeigte ihm ihre schwielige Handfläche mit den schwachen Erdspuren, die sich tief in die Haut eingegraben hatten. „Ein wahrer Gärtner benutzt nicht immer seinen Zauberstab… und viele vergessen sogar von Zeit zu Zeit ihre Handschuhe. So wie ich.” Sie blickte auf seine Hand hinunter. Lange, schlanke Finger, die Handfläche ebenfalls von Schwielen gezeichnet. „Sie arbeiten ganz eindeutig mit Ihren Händen, aber Erde ist da nirgendwo zu sehen,“ bemerkte sie leichthin. „Womit auch immer Sie sich beschäftigt haben, mit Gärtnerei im Freien hatte es nichts zu tun.“

Wieder begegneten sich ihre Augen; die frühere Wachsamkeit war durch etwas ersetzt worden, das wie schwache Belustigung aussah.

„Jetzt werden Sie mich gleich fragen, ob ich eine Frau habe.“

„Ziemlich unwahrscheinlich,“ sagte sie, wieder, ohne nachzudenken. „Sie sehen nicht aus wie ein verheirateter Mann.“

„Oh?” Noch immer lächelte er nicht, aber eine Augenbraue stieg steil in Richtung Haaransatz.

„Ich denke, es ist wahrscheinlicher, dass Sie einen Hauself haben,“ sagte sie und erinnerte sich flüchtig an eine kleine Gestalt, die am Tag zuvor Blumentöpfe durch den Gang des Gewächshauses von Fionnula Flannagans Fröhlicher Flora in Berwick hatte schweben lassen.

„Das habe ich tatsächlich. Bravo, Miss Lupin,“ sagte er mit etwas, das fast wie eine Verbeugung aussah. „Ihr Name ist Winky. War es ihre Vorliebe für Dahlien, die mich verraten hat?”

Ruta lachte.

„Nur ihre erstaunliche Schnelligkeit… aber ich nehme an, langsamer zu arbeiten wäre ganz und gar gegen ihre Natur gewesen.“

„Wie wahr. Aber ich werde sie anweisen, von nun an vorsichtiger zu sein.“

„Und ich würde sie gern eines Tages kennen lernen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Heutzutage bekomme ich sehr selten Hauselfen zu sehen.“

„Sie ist sehr scheu.“

Er trat zurück und sie begriff sofort, dass ihre letzte Bemerkung das Gleichgewicht ins Wanken gebracht hatte - zwischen einer entspannten Plauderei unter Nachbarn und etwas anderem, das er eindeutig als Aufdringlichkeit betrachtete, wie unbeabsichtigt es auch gewesen sein mochte.

„Ich muss gehen, Miss Lupin.“ Er verbeugte sich knapp und höflich. “Wie beim letzten Mal war es ein Vergnügen, Sie zu sehen. Meine Grüße an Ihren Jungen… Teddy?“

„Teddy, ja. Aber ich habe ihn nur leihweise. Er wird von seiner Großmutter aufgezogen.” Irgendetwas flackerte in seinen Augen, und sie fügte hinzu: „Seine Eltern sind tot, alle beide.“

„Wie überaus tragisch.“ Da war keine Bestürzung in seiner Stimme; es war eine ruhige Feststellung, und er schien sich nur noch weiter in die unsichtbare Schale zurückzuziehen, die ihn umgab. „Ich nehme an, er sollte dankbar dafür sein, dass es Leute gibt, die für sein Wohlergehen sorgen.“

„Das ist er auch, jedenfalls meistens.“ erwiderte Ruta und nickte steif; sie hatte irgendwie das Gefühl, mit Bestimmtheit an ihren Platz verwiesen worden zu sein. „Auf Wiedersehen, Mr. Seeker.“

„Leben Sie wohl, Miss Lupin.“

Leicht verwirrt und mehr als nur ein wenig irritiert sah sie zu, wie er ins Haus zurückkehrte. Mit diesem Mann zu reden war ihr vorgekommen wie einer der komplizierteren Tests während ihres siebten Jahres in Hogwarts, und sie war sich nicht ganz sicher, was sie von Stephen Seeker halten sollte… nicht einmal, ob sie ihn mochte oder nicht.

Was machte er hier?


Top           Nächstes Kapitel          Harry-Potter-Stories              Home