Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion



Kapitel 14
Die Stadt der Geister

Es dauerte mehr als nur ein paar Tage, bis Frodo ohne Schmerzen laufen konnte, und sie lagerten dort im Freien und warteten darauf, dass sein Fuß heilte. Selbst so war sein Herz leicht, und er lag da, den verletzten Fuß auf sein Bündel gestützt, betrachtete die Wolken und den Flug der Vögel. Er war wieder er selbst; zum zweiten Mal hatte er die Gelegenheit gehabt, das Leben loszulassen, und stattdessen hatte er mit aller Kraft daran festgehalten… diesmal nicht deshalb, weil ihn jemand zurückrief, sondern weil er leben wollte.

„Ich bin geheilt, Radagast,“ sagte er leise und staunend, und der Zauberer lächelte.

„Das bist du wahrhaftig, mein Esel.“ Radagast saß mit seiner Pfeife da und ließ Rauchringe über die grasige Ebene davon tanzen. „Jetzt musst du deine Bestimmung finden. Was willst du mit deinem Leben anfangen?“

Frodo grinste. „Dir folgen – und sicherstellen, dass du anständig isst.“ sagte er, und Radagast lachte so heftig, dass er einen Hustenanfall bekam und seine Pfeife beiseite legen musste.

Endlich zogen sie weiter und bewegten sich in hügeliges Land hinein; sie kletterten Abhänge hinauf, die immer höher anstiegen, je weiter sie nach Süden vorstießen. Eines Tages kamen sie auf die Spitze eines Hügels, der höher war als alles, was sie bisher erklommen hatten, und Frodo rang nach Luft und blieb stehen. Er hätte niemals erwartet, ihn wiederzusehen, aber er kannte diesen Ort. Die marmornen Pflastersteine, der hohe Steinsitz auf seinem Piedestal… Die Knie gaben unter ihm nach und er setzte sich hart auf den Boden.

„Amon Hen, der Hügel des Sehens,“ sagte Radagast. „Bist du schon einmal hier gewesen, Esel?“

Frodo senkte den Kopf. „Als ich vor Boromir geflüchtet bin – ich hatte den Ring aufgesetzt, und ich saß dort - “ Er wurde von einem Zittern geschüttelt, das so heftig war, dass seine Zähne klapperten. „Er hatte mich beinahe,“ flüsterte er; in seiner Erinnerung sah er wieder einen schrecklichen Schatten, der sich von Mordor auszustrecken schien, um ihn zu fangen. Er sprang auf die Füße. „Komm, Radagast, lass uns diesen Ort verlassen. Er ist verflucht!“

Der Zauberer legte einen tröstenden Arm um ihn. „Nicht verflucht, Esel, aber du musst nicht hierbleiben. Geh zum Fluss hinunter und fang an, das Lager aufzuschlagen. Ich möchte schauen, wohin wir gehen, hier, wo ich weit und deutlich sehen kann, aber ich bin bald bei dir.“

Frodo ging; er war stärker erschüttert, als er Radagast sehen lassen wollte. Er achtete nicht auf den Weg und fiel während der ersten zehn Schritte der Länge nach über eine Baumwurzel. Danach ging er vorsichtiger und kam endlich auf der grünen Wiese von Parth Galen heraus. Als Radagast auftauchte, brannte das Lagerfeuer und Frodo plantschte im Fluss und tauchte den Kopf ins Wasser, als könnte er damit üble Erinnerungen abwaschen.

„Bevor es dunkel wird, möchte ich nach etwas suchen; komm und hilf mir, Esel,“ rief Radagast. Frodo watete aus dem Wasser und trocknete sich ab, und der Zauberer ging ihm voraus, zurück unter die Bäume. „Schau nach Dickichthaufen; stocher darin herum und sieh nach, ob irgendetwas drin ist.“ sagte er.

Frodo starrte ihn einen Moment an, ehe er begriff. „Du suchst nach dem anderen Boot? Natürlich; Aragorn hat es hier versteckt, nicht wahr, bevor er Merry und Pippin gefolgt ist.“

Aragorn hatte es an jenem lang vergangenen Tag eilig gehabt, und sie brauchten nicht lange, um das aufgegebene Boot zu finden. Es war mit Zweigen bedeckt, die hastig von den Bäumen in der Nähe geschnitten worden waren und unter dem gefallenen Laub der vergangenen Jahre begraben.

Radagast drehte es herum und zerrte es zum Wasser hinunter, und Frodo folgte ihm mit dem einen Paddel, das übrig war; die anderen waren vom Liegen auf dem Boden verrottet. Das Boot hingegen war noch immer heil und ganz; am nächsten Morgen überquerten sie darin den Fluss darin, und das Elbengefährt leckte fast überhaupt nicht. Sie drehten es über der Hochwassermarke mit dem Kiel nach oben, bemühten sich aber nicht, es zu verstecken, bevor sie das Flussufer verließen und sich auf den Weg den steilen Hügel hinauf machten.

Die rauen Abhänge des Emyn Muil waren so mitleidlos und ohne Gnade wie sie es gewesen waren, als Frodo und Sam sich gemüht hatten, einen Weg hindurch zu finden, aber dieses Mal verirrten sie sich nicht – Radagast hatte einen Orientierungssinn, der nie versagte. Am Ende des Tages war Frodo müde bis auf die Knochen, aber es war nur körperliche Müdigkeit, nicht die sinkende, hoffnungslose Erschöpfung von den letzten Wochen der Fahrt.

Endlich standen sie da und blickten über die Sümpfe hinweg. Die Sonne neigte sich hinter ihnen dem Westen zu und warf lange Strahlen aus goldenem Licht, aber im Osten war es bereits dunkel. Tiefe, purpurne Dunkelheit; dieses Mal kein zorniges, rotes Glühen am Horizont. Der Berg schlief.

„Wird er jetzt für immer schlafen?“ fragte Frodo. Seine Stimme durchbrach die Stille, und er blickte zurück, als befände sich vielleicht etwas hinter ihm.

„Für immer ist eine lange Zeit, Esel. Aber ich denke, dass der Berg jetzt für viele Jahre ruhen wird, vielleicht für ein Zeitalter der Welt. Dein Finger hat uns eine lange Spanne des Friedens erkauft, als er ins Feuer ging. Teuer für dich, aber ich glaube, es war den Preis wert.“

„Und es wäre nicht besser gewesen, wenn der Rest von mir mitgegangen wäre.“ Frodo konnte lächeln, als er das sagte, und das bewies, wie weit er gekommen war – nicht nur in Meilen gerechnet – seit er mit dem Zauberer auf Reisen war.

„Nein, in der Tat! Der Rest von dir hat andere Arbeit zu tun. Komm, wir werden uns einen Platz suchen, um unser Lager aufzuschlagen.“

„Werden wir durch die Totensümpfe gehen müssen?“

„Kein Durchmarsch, den du genießen würdest, was, Esel? Genauso wenig wie ich. Wir werden einen Weg außenherum finden – wir können ganz offen reisen, du und ich, nicht in Angst um unser Leben, so wie du es zuvor getan hast.“

Die Totensümpfe waren noch das Wenigste, aber Frodo brachte es nicht über sich, von seiner wahren Furcht zu sprechen. Sie reisten in aller Offenheit, wie der Zauberer sagte, und die Ringgeister waren nicht mehr. Sie konnten mutig in das Morgultal hinein wandern, die Straße hinauf und über die Brücke geradewegs vor die Tore. Es würde nicht nötig sein, die Gerade Treppe zu nehmen, die Gewundene Treppe, den lichtlosen, luftlosen Tunnel…

Er stolperte und wäre fast gefallen, und Radagast bekam ihn am Ellbogen zu fassen. „Bleib stehen, Junge, dieser Platz ist so gut wie jeder andere, um die Nacht zu verbringen.“ Frodo bebte, als hätte er Schüttelfrost, und Schweiß glänzte auf seiner Stirn, aber er gab keinen Laut von sich. Radagast ließ ihn zu Boden gleiten, schob eine Decke unter ihn und legte ihm eine weitere um die Schultern, ehe er sich abwandte, um ein Feuer zu machen.

„Trink das hier, Esel.“ Ein Becher mit irgendeinem duftenden Kräutergebräu wurde ihm an die Lippen gehalten, und er trank. Nach ein paar Schlucken nahm er den Becher selbst, wärmte dankbar seine Hände daran und atmete den Dampf ein, während er daran nippte.

Radagast beschäftigte sich mit dem Feuer; er summte tonlos vor sich hin, holte einen Topf und allerlei Lebensmittel aus seinem Sack und brachte das Abendessen zum Kochen. Die ganze Zeit beobachtete er Frodo, scheinbar, ohne es zu tun. Endlich legte er einen Deckel auf den Topf und kam, um Frodos Becher nachzufüllen.

„Manchmal bist du tapferer als du weise bist, Esel. Wieso sagst du mir nicht, wenn dir etwas Kummer macht?“

Frodo zuckte die Achseln, „Wie du gesagt hast, es war ein Spuk.“ Er nahm einen großen Schluck von seinem Sud. „Wir müssen doch nicht vorbei an der – der Spinne - “ Er leerte seinen Becher in einem Zug. Radagast füllte ein drittes Mal nach und gab ihn ihm zurück.

„Ah.“ Jetzt verstand der Zauberer. „Ungolianths Kind. Das ist in der Tat ein Spuk, mit dem man rechnen muss. Ich hatte vergessen, dass sie ihr Nest im Morgultal hat.“ Er setzte sich zu Frodo und ließ die Hand unter die Decke in dessen Nacken gleiten, um die alte Narbe zu massieren. Frodo spürte, wie der eisige Schmerz nachließ und schwand.

„Ich könnte dich in Ithilien lassen, Esel, während ich nach Minas Morgul gehe.“

Ja, dachte Frodo, bitte ja! Lass mich in Ithilien! Ich fürchte die Spinne, wie du die Nazgûl gefürchtet hast, und vielleicht ist sie immer noch da – sie ist wohl kaum geschwunden, als Sauron fiel. Aber wie sollen wir Mordor betreten, wenn nicht durch den Morgulpass?

Er setzte sich aufrechter hin. „Ich gehe mit dir.“ sagte er.

*****

Sie hatten keine Schwierigkeiten, die Totensümpfe zu meiden. Sie kamen von den Emyn Muil auf die alte Orkstraße hinunter; sie war mit Steinen gepflastert, um der Schnelligkeit der Diener des Dunklen Herrschers willen. Sie gingen zwischen den Sümpfen im Norden und dem Fennfeld im Süden hindurch, ohne den Fuß in eines der beiden Feuchtgebiete zu setzen, und endlich kamen sie in Nord-Ithilien heraus. Frodo atmete den Duft aus seiner Erinnerung mit Entzücken ein, und er brachte andere Erinnerungen mit sich.

„Wir könnten anhalten und Faramir sehen,“ sagte er, „wenn wir wüssten, wo er zu finden ist.“

Radagast betrachtete ihn überrascht; in all der Zeit, die sie beieinander waren, war dies das erste Mal, dass Frodo dem Wunsch Ausdruck verlieh, irgendjemanden zu besuchen. „Ich kann ihn wahrscheinlich für dich finden, Esel, wenn du ihn gern sehen möchtest.“

„Das möchte ich. Er war ein guter Freund, als ich dringend einen nötig hatte. Und er könnte auch Sam eine Nachricht schicken…“ Seine Stimme erstarb.

„Heimweh, Esel?“ fragte der Zauberer, aber Frodo lächelte.

„Kein Heimweh, nein. Schick mich nicht weg, Radagast! Nur dass ich jetzt geheilt bin; Sam würde das gern wissen.“

„Das würde er.“ Das dunkle Gesicht des Zauberers verzog sich zu einem breiten Lächeln. „Das würde er wirklich!“

Ithilien war jetzt nicht mehr so ausgestorben wie damals, als Frodo es zuerst gesehen hatte. Sie kamen an vielen Dörfern vorbei, angenehme Orte mit sauberen Häusern und blühenden Gärten, aber jedes einzelne davon war von Mauern umgeben. Die größeren davon wurden von Wällen aus Stein bewacht; die kleineren Flecken mochten nur eine Holzpalisade haben, die Enden angespitzt, aber es gab kein Dorf ohne schützende Barrikade. Frodo und Radagast sahen kein Zeichen von irgendeinem Feind, aber die zurückgekehrten Siedler von Ithilien waren ganz eindeutig auf der Hut.

Die Leute begrüßten sie allerdings mit Freundlichkeit, luden sie zu einer heißen Mahlzeit ein und boten ihnen einen Platz, um die Nacht zu verbringen. Wenn Radagast fragte, ob das Land denn wirklich so unsicher sei, selbst jetzt noch, so viele Jahre nach dem Krieg, dann wusste immer irgendwer eine Geschichte über einen Angriff irgendwo weit weg, gegen ein anderes, namenloses Dorf. Ein Mann erzählte, er hätte im letzten Herbst einen Ork in den Wäldern gesehen; später sagte Radagast Frodo ganz privat, dass sich das Ganze mehr nach einem abgestorbenen Baum im Zwielicht anhörte, den die Furcht in ein Monstrum verwandelt hatte.

Endlich erreichten sie den Kreuzweg und stellten fest, dass dort eine steinerne Garnison erbaut worden war, bemannt mit Soldaten aus Gondor. Eine kleine Stadt war rings um die Garnison gewachsen, ummauert wie all die anderen. Der Ort hatte sogar ein Gasthaus, vermutlich für die Beamten des Königs, die in Ithilien zu tun hatten, und Frodo fand das Bier in der Schankstube fast so gut wie das im Grünen Drachen zuhause.

Als sie am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkamen, wartete ein Soldat auf sie. „Bitte um Verzeihung, meine Herren,“ sagte er, „ich habe die Order, Euch zum Quartier des Befehlshabers zu bringen, damit Ihr mit ihm gemeinsam frühstückt.“

Radagast zog die Augenbrauen hoch. „Habt Ihr das? Nun, das ist ein netter Gedanke. Sehr schön, mein Freund, führt uns dorthin.“ Er lächelte, aber der Mann wahrte ein nüchternes Gesicht, steif und korrekt.

Sie folgten ihm durch Straßen, die zu dieser frühen Stunde schon belebt waren, in die Garnison hinein, einen schmalen Aufgang hinauf, der bei jeder vierten Stufe eine scharfe Biegung beschrieb. „Zur Verteidigung,“ sagte Radagast leise zu Frodo, „zwei Männer könnten diesen Aufgang gegen eine ganze Horde von Feinden halten.“ Es war eine weitere Erinnerung an die Wachsamkeit von Ithilien.

Das Quartier des Befehlshabers war geräumig und bequem. Wandbehänge verhüllten die Mauern und ein dicker Wollteppich wärmte den kalten Steinfußboden; ein massiver Tisch war für vier Personen gedeckt, aber niemand befand sich im Zimmer. Ihr Führer öffnete ihnen die Tür und salutierte zackig, dann zog er sich auf die Stufen zurück.

„Also,“ sagte Radagast. „Komm herein, Esel; ich nehme an, unser Gastgeber wird bald bei uns sein. Ein schöner Raum ist das, für eine Garnison, selbst wenn der Ausblick ein bisschen eingeschränkt ist.“

An jeder Mauer gab es ein einzelnes Fenster, höher als ein Mensch, aber so schmal, dass selbst Frodo sich nicht hätte hindurchzwängen können. Ein vielarmiger Kandelaber auf dem Tisch hielt ein Dutzend brennender Kerzen; die Flammen tanzten in dem zugigen Zimmer. Plötzlich öffnete sich eine Tür und zwei Männer kamen herein. Der eine war ganz klar der Befehlshaber, mit strengem Gesicht, grauem Haar und Bart. Der andere -

„Faramir!“ rief Frodo voller Freude, und der Mann lachte und trat mit ausgestreckten Händen vor.

„Du bist es, Frodo! Wir hatten vor Monaten Nachricht von Gimli, dass du in Rohan gewesen warst – als ich hörte, das ein Halbling die Stadt betreten hat, in Gesellschaft eines Mannes in braunen Gewändern, da hoffte ich, dass du es sein könntest.“ Faramir bückte sich, um Frodo auf die Stirn zu küssen, seine Hände auf den Schultern des Hobbits. „Kommandant, ich möchte, dass Ihr Frodo, Sohn des Drogo willkommen heißt, der den Ring nach Mordor trug.“

Der Offizier starrte Frodo mit offenem Staunen an, ehe er sich tief verneigte, und Frodo wurde rot, verneigte sich aber ebenfalls. „Und dies ist mein Freund und Lehrmeister, Radagast vom Rhosgobel, aus dem selben Orden wie Mithrandir.“ sagte er.

Die Männer grüßten Radagast mit Respekt, und Faramir führte sie zu Tisch. „Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, Frodo, dann sind deine Leute berühmte Esser. Ich hoffe, du hast ordentlich Appetit, denn ich habe den Koch ein Frühstück für sechs starke Männer vorbereiten lassen – oder vier Halblinge.“

Frodo lachte. „Ihr habt mich und Sam zum Abendessen eingeladen, als wir in der Wildnis halb verhungert waren, Faramir, aber ich will nicht leugnen, dass ich bereit bin für’s Frühstück! Ich denke, ich kann heute Morgen die Ehre des Auenlandes aufrechterhalten!“

Diener brachten Platten und zugedeckte Schüsselchen, bis auf dem großen Tisch kaum noch ein freier Platz zu finden war, und während sich das Frühstück bis zur Mittagszeit ausdehnte, gab es jede Menge, worüber sie während der Mahlzeit reden konnten. Der Kommandant aß schweigend und warf Frodo und dem Zauberer neugierige Blicke zu, aber Faramir war voller Fragen.

„Wann bist du aus dem Auenland weggegangen, Frodo? Vor zwei Jahren – und jetzt erkundest du Mittelerde in der Gesellschaft dieses braunen Wanderers, nicht wahr?“ Er lächelte den Zauberer an. „Ich habe von Euch gehört, Herr, von Mithrandir, aber er gab mir zu verstehen, dass Ihr Euer Heim westlich vom Düsterwald selten verlassen habt.“

„In den letzten Jahren bin ich gereist,“ sagte Radagast gelassen, „und ich habe ein paar gute Freunde gefunden, denen ich nicht begegnet wäre, wäre ich daheim geblieben – dieser Hobbit ist von allen der Beste.“

„Ja,“ stimmte Faramir mit einem Lächeln zu, „er ist wahrhaftig ein Juwel, und auch ich bin stolz, ihn Freund zu nennen. Also, wo geht ihr jetzt hin, ihr beide? Nach Minas Tirith, hoffe ich; König Elessar wird begierig sein, euch zu sehen.“

Frodo nahm sich noch eine Scheibe Rindfleisch, ohne zu antworten; ihm war nicht wohl dabei, Faramir zu erklären, wo sie jetzt hingingen. „Nein,“ sagte Radagast,. „ Wir gehen nicht nach Gondor hinein, fürchte ich. Ich habe Arbeit zu tun, in Mordor.“

Faramir verlor sein Lächeln; er starrte vom Zauberer zu Frodo. „Mordor! Und du, gehst du mit ihm, zurück an diesen verfluchten Ort?“

„Ja, das tue ich. Radagasts Arbeit ist auch die meine.“

„Was gibt es in Mordor denn zu tun, für jeden von euch beiden?“ verlangte Faramir zu wissen. „Nur die letzten Diener des Feindes zu jagen und zu vernichten, und das ist Arbeit für bewaffnete Soldaten. In diesem Land gibt es keine Vögel für Euch zu zähmen, Radagast der Braune.“

„Das ist meine Aufgabe. Die Vögel zurückzubringen – Heilung in ein Land zu bringen, das seit dem Zweiten Zeitalter unter einem Fluch gelegen hat.“

Faramir schüttelte den Kopf. „Ich denke, das geht selbst über die Grenzen eines Zauberers hinaus. Sogar die Valar hätten es schwer, dieses Land wieder zum Leben zu bringen – und es ist kein Ort für Frodo! Er hat genug gelitten; wenn Ihr wahrhaftig sein Freund seid, dann werdet Ihr ihn nicht wieder nach Mordor zerren!“

„Er zerrt mich nicht, Faramir. Ich gehe aus eigenem Willen.“

„Ist dir klar, wohin du gehst?“ Faramir war aufgestanden und lief mit langen Schritten um den Tisch herum, als könnte er nicht stillsitzen. „Es ist totes Land, Frodo; wenn irgendetwas noch schlimmer ist als zu der Zeit, als du dort warst, dann ist es der Berg, der seinen verderblichen Abfall rings um sich ausgeworfen hat. Es gibt dort kein Wasser, und alles, was ihr dort finden werdet, ist übel oder giftig – oder noch schlimmer. Wir schicken noch immer Patrouillen hinein, um Orkbanden zu jagen! Ihr seid nicht bewaffnet?“ fragte er den Zauberer.

„Ich habe meinen Stab; das ist der ganze Schutz, den wir brauchen.“ Radagast betrachtete ihn freundlich. „Es gibt Bedrohungen in dieser Welt, die noch tödlicher sind als Orks, mein Freund. Eine der schlimmsten ist die, keine Bestimmung für sein Leben zu haben. Frodo hat einen heftigen Kampf um sein Leben durchgemacht, es geht ihm gut und er ist stark, bereit für diese Herausforderung. Ich werde über ihn wachen, seid dessen sicher!“

Faramir betrachtete ihn zweifelnd, dann wandte er sich an Frodo. „Es gibt viel in Ithilien zu tun, Frodo. Ich wäre froh, dich an meiner Seite zu haben, während ich daran arbeite, dieses Land wiederherzustellen; du musst nicht nach Mordor gehen, um Arbeit zu finden, die deiner Anstrengungen würdig ist.“

Frodo ging zu ihm und zog ihn zu einem Stuhl hinüber. „Setzt Euch hin, Faramir; Ihr seid zu groß für mich!“ Er suchte den Blick des Mannes und sprach in ernsthaftem Ton. „Ich würde gern bei Euch bleiben, wenn ich könnte; Ihr seid ein wahrer Freund und ich wollte Euch wiedersehen. Ich habe es Radagast gesagt.“ Der Zauberer nickte. „Aber ich werde Radagast nicht allein nach Mordor gehen lassen, und dort muss er hin. Er hat mir das Leben gerettet, und ich wäre undankbar, wenn ich ihn im Stich ließe.“

Der Zauberer runzelte die Stirn. „Du musst nicht aus Dankbarkeit mit mir kommen, Esel,“ sagte er, aber Frodo gluckste.

„Aus Dankbarkeit, aus Freundschaft, was macht’s? Ich gehe mit, Radagast, du wirst mich zu einem Bündel verschnürt nach Hause schicken müssen, um mich loszuwerden, wie mein Vetter dem Herrn von Imladris gesagt hat! Aber, Faramir,“ er wurde wieder ernst, „es gibt einen Gefallen, um den ich Euch gern bitten würde, wenn Ihr dazu bereit seid.“

„Was immer auch in meiner Macht liegt, Frodo.“ Er lächelte schwach. „Aus Freundschaft – und Dankbarkeit.“

„Könntet Ihr einen Weg finden, Samweis im Auenland eine Nachricht zu schicken? Ich war nicht ganz - wohl, als er mich zuletzt gesehen hat. Ich würde ihn gern wissen lassen, dass es mir jetzt gut geht.“

„Schon aus diesem Grund allein würde ich einen Reiter schicken, Frodo, aber das ist nicht notwendig. Wir haben jetzt reguläre Kuriere, die durch das ganze Königreich ziehen; einer von ihnen wird deine Nachricht mitnehmen. Würdest du gern einen Brief schreiben?“

Ein Brief… er hatte nicht an einen Brief gedacht! „Ja, bitte! Darf ich mir Papier und Tinte ausborgen?“

Faramir gab ihm, was er brauchte, und sie ließen ihn allein, um seinen Brief zusammenzustellen. Er arbeitete eine Stunde daran, und als er fertig war, da war es ein dickes Sendschreiben; aber nur er und Sam würden jemals wissen, was er geschrieben hatte, es sei denn, dass Sam es vielleicht Rosie zeigte. Er versiegelte ihn und legte ihn Faramir in die Hände.

„Er wird morgen abgehen,“ versprach der Mann. „Gibt es noch irgendetwas anderes, das du brauchst, Frodo? Wenn ich dich nicht von diesem Abenteuer abhalten kann, dann möchte ich dich wenigstens so wohl versorgt wissen, wie es möglich ist.“

Frodo lächelte zu ihm auf. „Da gibt es nichts, was wir noch brauchen; nur Euren guten Willen. Danke, dass Ihr meinen Brief abschickt.“ Er nahm Faramirs Hand in seine beiden Hände, aber Faramir ließ sich auf ein Knie nieder und umarmte ihn.

„Geh mit meinen Segen, Frodo, und mögen die Mächte Euch beide beschützen! Wandert mit Vorsicht in diesem Land, denn dort lauert noch immer Gefahr.“

„Wir werden wachsam sein,“ versicherte Radagast ihm.

Sie brachen am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf. Faramir begleitete sie zum Stadttor, denn sie wollten sich nicht länger aufhalten, obwohl er sie mahnte, ein paar weitere Tage zu bleiben und sich auszuruhen. Sie sagten ihm Lebewohl und nahmen die Straße nach Osten. Als sie das Morgultal betraten, lag es noch tief im Schatten, aber während sie wanderten, stieg die Sonne über die Berge und das Tal füllte sich mit Licht.

Der Vormittag war halb vorüber, als sie an einen Ort kamen, wo die Straße sich teilte; die linke Gabelung führte weiter in das Tal hinein und noch steiler den Hang hinauf. Aber die rechte Abbiegung endete abrupt am Rand einer flachen Vertiefung; das Straßenpflaster war abgebrochen, als hätten Riesen es fortgehackt.

Frodo schaute von der abgebrochenen Straße über das Tal hinweg. Ein schmaler Strom rann den Talgrund entlang, und auf der gegenüber liegenden Seite befand sich in einer Kluft zwischen den Bergen ein kahler, steiniger Felsvorsprung. Mehr war da nicht, und doch ---

„Das ist die Stelle.“ sagte er.

Die Stadt, an die er sich erinnerte, schien geradewegs aus dem Felsen zu wachsen; ihre Türme und Zinnen in der Umschlingung der Berge in einem bösartigen Licht schimmernd, ihre eisernen Tore ein Schlund mit schartigen Zähnen. Alles war weg. Selbst die bleichen Blumen, deren tödlicher Duft in jener fürchterlichen Nacht seinen Geist umnebelt hatte, waren verschwunden. Es war nichts geblieben als die abgebrochene Straße und der Strom, und der leere Felsvorsprung ein Stück die Klippe hinauf.

„Elessar war sehr gründlich,“ sagte Radagast. Er klang erleichtert.

„Ich hatte vergessen, dass er sagte, er würde es zerstören lassen,“ sagte Frodo. „Er meinte, das Böse würde selbst dann noch lange Zeit hier verweilen.“

„Kein Zweifel!“ sagte Radagast. „Ich würde mir hier kein Zuhause aufbauen!“

Frodo ging zur anderen Seite der Straße hinüber. Die alte Steinmauer war immer noch da; sie schien das einzige, von Menschenhand gemachte Ding zu sein, das stehen geblieben war. Er folgte ihr, bis er zu der Lücke kam, und er stand da und blickte hindurch auf einen schmalen Pfad, der sich die Seite des Berges hinauf wand.

„Bist du sicher, dass das hier die Stelle ist?“ fragte Radagast leise hinter ihm, und Frodo fuhr zusammen. Der Zauberer legte ihm eine beruhigende Hand auf die Schulter.

„Ja. Das ist der Weg, den wir nach Cirith Ungol genommen haben – er sieht genauso aus wie damals.“ Seine Augen folgten dem Pfad mit Widerwillen, aber die Festung, die den hohen Pass bewachte, konnte er von hier aus nicht sehen. Er hoffte, dass Aragorn jenen Turm ebenfalls zerstört hatte.

„Diesen Weg gehen wir nicht, Esel. Komm, wir sind den ganzen Morgen gelaufen. Es ist Zeit für eine Rast.“ Radagast lief ein Stück und setzte sich an die Straßenkante. Seine Beine hingen über das abgebrochene Stück hinunter, und er langte in seinen Sack. Er holte seine Pfeife und einen Lederbeutel heraus; Frodo lächelte und zückte seine eigene Pfeife.

„Ich wusste nicht, dass wir noch Pfeifenkraut übrig haben,“ sagte er.

„Faramir hat es mir gegeben; er sagte, es sei etwas vom Besten.“ Der Zauberer füllte seine Pfeife und reichte Frodo den Beutel hinüber. „Man hat mir erzählt, dass Saruman Gandalf für seine Liebe zu diesem Blatt, das deine Leute anbauen, zu verspotten pflegte. Vielleicht wäre er in seinem Handeln weniger hart gewesen, wenn er sich hier und da Zeit für eine Pfeife genommen hätte.“

„Später fing er an, es zu mögen,“ sagte Frodo trocken. „Er hat genügend Ärger verursacht, Sarumans Geschmack für unser Kraut, aber weiser schien es ihn nicht zu machen.“

„Nein, vielleicht nicht. Das ist eine traurige Nebenwirkung von Stolz, Esel. Wenn der Stolz zur Tür hereinkommt, dann flüchtet die Weisheit aus dem Fenster. Erinnere mich daran, wenn es nötig werden sollte.“ Er paffte seine Pfeife und starrte über die leere Fläche hinweg, wo einst die Stadt des Mondes gewesen war, und Frodo saß rauchend da, ließ die Beine baumeln und dachte darüber nach, wie sehr er daran zweifelte, dass er jemals gezwungen sein würde, Radagast vor Stolz zu warnen.

Endlich rührte sich der Zauberer, klopfte seine Pfeife aus und steckte sie in seinen Gürtel. „Hier ist nichts geblieben als Wasser und Stein. Wenn ich darin versagt habe, meinen Teil zu tun, dass dieses Übel besiegt werden konnte… besiegt wurde es dennoch. Wir wollen das Morgultal hinter uns lassen. Wenn wir die Beine in die Hand nehmen, dann können wir den Pass erreichen, ehe der Tag vorüber ist.“

Sie wandten sich von der alten Stadt an und folgten der linken Biegung der Straße das Tal hinauf. Binnen kurzem beschrieb der Weg eine Kurve um die Seite des Berges, und die Aushöhlung der zerstörten Stadt war außer Sicht. Radagast holte einen Schlauch mit einem milden, süßen Getränk heraus, und sie reichten ihn zwischen sich hin und her. Er hielt Frodo ein kleines, in Blätter gewickeltes Bündel hin.

„Lembas?“ sagte Frodo überrascht, und der Zauberer lächelte. „Magst du die? Wir wollen essen, während wir laufen.“

Als sie die oberste Höhe des Passes erreichten, war der Himmel hinter ihnen ein prachtvolles Gemälde aus Gold und Purpur. Sie saßen eine Weile dort, betrachteten das Spiel aus Licht und Farben und aßen noch mehr von den Lembas, bis die rote Sonne hinter dem Horizont versank. Dann wandten sie dem Westen den Rücken zu und brachen auf, den Berg hinunter… nach Mordor, wo die Schatten droh’n.


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