Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
(Following the other Wizard - A Journey into Healing)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion



Kapitel 19
Rings um das Feuer

Der Regen strömte Tag und Nacht hernieder, und Blitze spalteten den Himmel, als hätten die Wolken selbst Feuer gefangen. Donner rollte und hallte in der Steinfestung wider, bis sie davon fast taub waren, und Lash schlug sich mit den Händen auf die Schenkel und brüllte zurück; er ergötzte sich an dem üblen Wetter, als wäre er der Gott der Stürme höchstpersönlich.

„Jetzt werden all diese kleinen Ströme, die wir ausgeräumt haben, voll laufen!” rief er aus. „Diese Samen, die du auf den Boden geworfen hast, werden aufgehen, Heiler. Was wird aus ihnen wachsen?“

Radagast lachte, zog eine harte, kleine Aprikose aus seinem Sack und warf sie ihm zu. „Probier das und sag mir, was du davon hältst – eines Tages könnten sie in deinen Bergen wachsen, wenn mein Werk gedeiht. Was zuerst aufgehen wird, sind Pflanzen, die den Kreislauf beginnen – zähe, niedrige Kräuter, die den Boden bedecken und ihn davon abhalten, dass er austrocknet oder von Überflutungen weggewaschen wird, und eine zählebige Grasart, tief verwurzelt, um das Land neu zu kleiden und Mineralien hervorzubringen, die die Erde anreichern. Wenn es für sie Deckung und Nahrung gibt, dann hoffe ich, dass die Tiere zurückkehren. Ihr mögt in den Jahren, die noch kommen werden, bessere Dinge jagen als Ratten und Schlangen.“

Das Lächeln des Orks war ein Alptraum aus schartig-grauen Zähnen, von denen ein paar fehlten, aber seine offensichtliche Freude rührte Frodo. Von den drei Orks, war es dieser, der ihm am wenigsten Angst machte. Und selbst so hielt er es, als Lash eine Partie Züge spielen wollte, für sicherer, den Ork gewinnen zu lassen – obwohl sich herausstellte, dass das nicht nötig war.

„Wie ein Tark spielst du,“ sagte Lash spöttisch, aber dann ging der Ork zu Frodos Überraschung das ganze Spiel noch einmal mit ihm durch, zeigte ihm all seine Fehler und erklärte ihm, wie er hätte ziehen müssen. „Noch ein Spiel, Halbling. Merk dir, was ich dir gesagt habe, und ehe die Stürme vorüber sind, bist du soweit, gegen Yarga zu spielen.“

„Wir haben letzte Nacht gegen Yarga gespielt, Canohando und ich.“  

Lash grunzte. „Und, habt ihr gewonnen? Yarga spielt wie der Teufel, der er ist – keine schlägt ihn. Aber hör auf mich und du wirst ihm einen Kampf liefern, bevor er dich besiegt.“  

Frodo fand das nicht besonders tröstlich.

Yarga und Canohando hatten sich auf eine Forschungsreise durch die zerstörte Festung gemacht. Sie kamen um die Abendessenszeit mit ein paar toten Ratten und zwei Handvoll kleiner Knochen zurück.

„Kannst du Knöchelchen spielen, Kümmerling?“ verlangte Canohando zu wissen.

„Als Junge hab ich’s getan – lass mich mal sehen.“ Er untersuchte die Knochen erst mit Interesse, und dann mit wachsendem Unbehagen. Sie waren irgendwie anders geformt als die Schafsknochen, die im Auenland üblich gewesen waren… länger, und gröber. Er ließ den einen, den er festhielt, in die Hand des Orks fallen und widerstand dem Drang, sich die Handflächen abzuwischen. „Was für Knochen sind das?“ fragte er, weil er sicher gehen wollte.

„Knöchelchen, hab ich doch gesagt. Von Orks. Das hier sind gute; muss ein großer Stinker gewesen sein.“

„Ihr spielt mit Orkknochen?“ Er konnte das Entsetzen nicht aus seiner Stimme verbannen, und Canohando runzelte die Stirn. „Ich schnitze welche aus Holz – dann spiele ich mit dir.“

Vielleicht würde der Ork ihn niederschlagen, aber in diesem Moment kümmerte er sich nicht darum. Er wandte sich zum Feuer zurück, sah nach, um sicher zu sein, dass nichts anbrannte, was er dort in den Pfannen gelassen hatte anbrannte; er nahm einen Holzstock aus dem Stapel und holte sein Messer heraus.

„Was macht es dir aus, Kümmerling? Sie sind nicht von deiner Art.“ Canohando war ihm gefolgt und kauerte sich neben ihn; noch immer hielt er die Knochen fest.

Er dachte darüber nach, wie er seine Abscheu erklären sollte. „Nein, sie sind nicht von meiner Art. Aber sie sind von deiner Art; es sind keine Tiere. Würdest du Orkfleisch essen?“

Canohando antwortete nicht, und Frodo blickte auf. Was er im Gesicht des Orks sah, sorgte dafür, dass Übelkeit in ihm aufstieg. „Das würdest du! Du würdest deine eigenen Leute fressen!“ Er schauderte und kehrte zu seiner Schnitzerei zurück.

Radagast sprach leise aus den Schatten. „Er hat Recht, weißt du? Orks sind keine Tiere, und ihre Gebeine verdienen Respekt.“

„Das sagst ausgerechnet du, Tark!“ Yarga setzte sich neben den Zauberer, zog sein Messer und fing an, seine Ratten abzuhäuten. „Wann haben die Tarks uns je anders als Tiere behandelt? Oder auch die Elben, die du so gut leiden kannst!“ 

Radagast nickte. „Es gibt eine lange Feindschaft zwischen Orks und den anderen Rassen von Mittelerde, und das aus gutem Grund. Nichtsdestoweniger gehören die Orks zu den Kindern, wenn auch weit entfernt. Was wisst ihr von eurer eigenen Abstammung?“

„Wir kommen aus dem Dunkel.“ Canohandos Stimme war mürrisch. „Wir Orks von Mordor, wir können das Sonnenlicht ertragen, aber viele von denen, die während des Krieges aus dem Norden kamen, konnten es nicht. Das ist unsere Abstammung, alter Mann – Dunkelheit!“

„Das ist sie nicht. Nimm deine Ratten mit da hinüber zur Türschwelle, Yarga; dieser Geruch würde ein Pferd zum Würgen bringen. Nach dem Essen werde ich euch erzählen, wie die Orks entstanden sind.“

Aber als das Abendessen vorüber war, begann er keineswegs mit den Orks. Er zog eine merkwürdige, rundlich aussehende Holzflöte aus seinem Sack, hielt sie an seine Lippen und brachte eine Musik hervor, die herzzerbrechend war in ihrer Schärfe; sie stieg und fiel wie ein Adler, der über den Bergen auf der Strömung des Windes dahinritt. Frodo und die Orks, hielten beinahe den Atem an, um zu lauschen. Der eindringliche Klang trug sie zu irgendeinem Anderswo jenseits der Zeit und weit jenseits von Mordor. Als er endlich die Flöte sinken ließ und zu sprechen begann, hielt die Stimme des Zauberers sie in ihrem Bann.

„Es fing an mit Musik,“ sagte er. „Es fing an, als Eru, der im Jetzt lebt und weder Anfang noch Ende hat, Seinen Gedanken Leben verlieh. Und Seine Gedanken wurden zu den Ainur, und zu denen, die von den Elben Valar genannt werden, und sie sangen vor Ihm. Sie sangen, und so wurde Éa erschaffen, und sie schlossen sich Ihm an und beteiligten sich an Seiner Schöpfung. Aber die Kinder sind Erus Geschöpfe, und Seine ganz allein, und die Valar hatten keinen Anteil daran – und so sind sie von den Tieren getrennt.“

„Selbst am Anfang gab es einen Missklang, und der kam von Melkor. Denn Melkor verlangte es nach seinen eigenen Ruhm, abseits von Eru, und gegen den Willen von Eru suchte er, seine eigene Melodie der Musik aufzuzwingen. Aber Eru verwandelte all seine Misstöne in neue Harmonien, reicher und noch schöner, als sie es zuvor gewesen waren, bis Melkor vor Wut raste. Er führte Krieg gegen seine Brüder, die Valar, und er wurde niedergeworfen, aber er bereute nicht und wartete seine Zeit ab.“

„Viel könnte ich sagen von Melkors Tücke und Eifersucht, und wie er das Werk der Valar verdarb, aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Als endlich die Tage erfüllt waren, wie Eru sie geordnet hatte, da erwachten die Erstgeborenen der Kinder. Aber sie erwachten in Dunkelheit, und die Schatten rings um sie her waren tief, denn ihr einziges Licht kam von den Sternen. Und in den Schatten gab es Furcht. Denn von Zeit zu Zeit mochten manche von ihnen ein Stück von den anderen fortwandern, und sie kehrten nicht zurück und wurden auch nie wieder gesehen, und so fingen die Erstgeborenen an, sich zu ängstigen.“

„Und sie hatten guten Grund für ihre Angst. Denn Melkor lauerte mit seinen Dienern in den Schatten, und die Versprengten der Kinder wurden von ihm ergriffen, und es war ein bitteres Los. Morgoth war er geworden, der Finstere Feind der Welt, und die, die er gefangen nahm, kerkerte er ein und quälte sie über unermesslich viele Jahre hinweg, und er misshandelte sie mit dämonischer Grausamkeit, bis sie verwandelt und bis zur Unkenntlichkeit geschädigt waren. Er verdrehte sie zu seinen üblen Zwecken und versklavte sie, und sie wurden die ersten Orks. Aber an ihrem Beginn waren sie schön und edel, Kinder des Einen.“

Seine Stimme verstummte, und Frodo kam langsam wieder zu sich. Das Feuer war zu roten Kohlen heruntergebrannt, und im Halbdunkel waren die Orks nur Gestalten von noch tieferer Dunkelheit. Radagast zündete sich seine Pfeife an, und für einen Moment wurde sein Gesicht erleuchtet.

„Was wurde aus den anderen – denen, die keine Orks wurden?“ fragte Canohando.

„Nach einer Weile wurden die Valar sich dessen bewusst, dass die Erstgeborenen erwacht waren. Sie sandten einen Boten aus, um sie zu sammeln und in Sicherheit zu bringen, aber durch Morgoth war ihre Furcht sehr groß geworden, und viele von ihnen misstrauten selbst den Valar, die sie nicht kannten. Manche von ihnen wagten die Reise nach Valinor und andere taten es nicht, und so wurde ihr Volk geteilt. Und Morgoth verfolgte sie, und sie litten viel in seinen Händen. Aber die Orks wendete er, so, wie sie jetzt waren, gegen ihre früheren Brüder, und sie erschlugen einander, wann immer sie sich begegneten… und doch war er es, der in Wahrheit der Feind aller war.“

„Und wie nennen wir diese ,Brüder’, die zu unseren Feinden wurden, alter Mann?“

Canohandos Stimme war leise, aber angesichts der Drohung in seinem Ton stellten sich Frodo die Nackenhaare auf.

Radagasts Pfeife glühte rot, als er daran zog, und er sagte ruhig: „Euren Namen für sie kenne ich nicht, Canohando, aber wir würden sie Elben nennen.“

Gebrüll hallte von dein Steinwänden wider, als die Orks schreiend auf die Füße sprangen, und Frodo warf sich flach auf den Boden, als ein riesiger, schattiger Arm nach ihm langte. Er verfehlte ihn, und die Stimme des Zauberers durchschnitt den Aufruhr.

„Setzt euch hin, ihr alle drei! Ich sage nicht, dass ihr noch Elben seid, also braucht ihr euch nicht geschmäht zu fühlen. Morgoth hat sein Werk allzu gut getan, und Sauron hat es noch verbessert. Orks seid ihr, und Orks werdet ihr bleiben, zum Guten oder zum Schlechten.“


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